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Geht es auch ohne EWG?

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Friedrich Wlatnig hat seinem ersten Buch über Österreichs Integrationspolitik, das 1966 unter dem Titel „Die Quadratur der Integration“ erschienen war, nun eine zweite, sehr kritische Betrachtung über das gleiche Thema hinzugefügt. In dem neuen „Krise der Integration“ betitelten Buch ist Wlatnig wieder — und mit Erfolg — bemüht, die in Österreich so stark verbreitete Einseitigkeit in der Betrachtung dieses Themas zu durchbrechen.

Wlatnigs Warnung, daß Österreich im Begriffe sei, sich gegenüber der EWG in ein dichtes Netz von Verpflichtungen zu verstricken, welches seine Souveränität wesentlich einschränken und seine wirtschaftlich-und handelspolitische Freiheit de facto weitgehend ausloschen müßte, kommt zu einem Zeitpunkt, da ähnliche Besorgnisse in Österreich, aber auch im interessierten Auslande — und zwar im Osten wie auch im Westen — in immer stärkerem Maße laut werden. Nach Ansicht des Verfassers wurden im Laufe der Verhandlungen in Brüssel die von Österreich angemeldeten Neutralitätsvorbehalte materiell verwässert, wenn nicht gar ausgehöhlt.. Man würde sich wünschen, daß dieses so entscheidende Thema noch übersichtlicher und präziser dargestellt wäre.

Wlatnig weist richtig darauf hin, daß der in Österreich so forcierte Drang zur EWG tiefe emotionelle und irrationale Wurzeln habe: Vor allem der Zweifel an sich selbst und das mangelnde Selbstvertrauen; die Teilnahme an der EWG werde fälschlicherweise mit wirtschaftlichen Erlösungsvorstellungen verbunden.

Die in Wlatnigs Buch gegebenen statistischen Zahlen entziehen der weitverbreiteten Ansicht den Boden, daß die in Österreich seit dem Ende der fünfziger und in den sechziger Jahren bemerkbare Abschwächung des Wirtschaftswachstums auf die Nichtteilniahme an der EWG beziehungsweise die Zolldiskriminierung durch die EWG zurückzuführen sei. Es wird nämlich an Hand der Statistiken gezeigt, daß in der Phase von 1958 bis 1964 die industrielle Erzeugung in Österreich schneller gewachsen ist als in Frankreich und Großbritannien, langsamer aber als in Finnland, Dänemark, der Schweiz, Italien und den Niederlanden; das Wachstum in Österreich entspreche etwa jenem in Belgien, Schweden und Norwegen. Auch der länderweise Vergleich der Exportzuwachsräten zeigt eine Differenzierung, die in keinem Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu der einen oder der anderen europäischen Integrationsgruppe steht.

Diese Zahlen lassen den Schluß tu, daß die Entwicklung von Wirtschaftswachstum und Export wesentlich von anderen Faktoren als von der Zugehörigkeit zu EWG oder EFTA abhängen. Übrigens gewinnt ja auch in Österreich die Überzeugung an Boden, daß Österreichs wirtschaftliche Schwierigkeiten ihre wahren Ursachen in bestimmten strukturellen Schwächen des österreichischen Wirtschaftsgefüges haben. Die Ausmerzung dieser Schwächen würde keineswegs die automatische Folge einer Teilnahme an der EWG sein, Österreich werden eigene Anstrengungen nicht erspart bleiben.

Als eines Anti-EWG-Affektes unverdächtiger Zeuge für diese, auch von Wlatnig vertretene Auffassung kann der brillante österreichische Wirtschaftspublizist Horst Knapp angeführt werden, der im Mai d. J. in den „Finanz-Nachrichten“ schrieb, daß wir uns endlich zur

Einsicht bequemen müßten, daß das Abkommen mit der EWG für die Höhe des österreichischen Wohlstandes in 10 oder 20 Jahren nur noch marginale Bedeutung hätte. Knapp fuhr fort: „Hören wir endlich damit auf, uns selber einzureden, daß Österreichs Wohl und Wehe von der EWG abhängt. Gewiß, mit der EWG ginge es leichter; aber ohne EWG geht es, wenn wir nur wollen, (fast) genauso gut.“

Wlatnigs Buch, „Die Krise der Integration“ erscheint zur rechten Zeit und ist ein wichtiger Beitrag zu der nun doch qualifizierter werdenden österreichischen Integrationsdiskussion.

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