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Erfolg der Kennedy-Runde?

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Die reichliche Erfahrung, die die Welt mit Konferenzen in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, belehrt, daß es bei jeder internationalen Zusammenkunft einen Zeitpunkt gibt, der über ihr Weh oder Wohl entscheidet. Er liegt meistens nach dem Ende der Einleitungsgespräche, und alte Konferenzhasen wissen von diesem Zeitpunkt an, ob die Sitzung sachlich erfolgreich sein oder nur aus Formalgründen weitergeschleppt werden wird.

Dieser Zeitpunkt ist bei der Kennedy-Runde, die seit Mai d. J. im konferenzgewohnten Genf tagt, jetzt gekommen. Diese Wirtschaftstagung, die noch von Präsident Kennedy ins Leben gerufen wurde, ist bisher sehr zu Unrecht von der Öffentlichkeit zu wenig beachtet worden. Im Gegensatz zur spektakulären Welthandelskonferenz kann sie nämlich wirklich viel-für den Freihandel tun.

Freihandel, wie er vor dem ersten

Weltkrieg praktiziert wurde, ist das Fernziel, das alle ,Teilnehmern vorschwebt.

Die Kennedy-Runde - -ist keine eigene Institution, sondern wird im Rahmen des GATT abgewickelt. Das GATT (Allgemeines Zoll- und Han-

delsabkommen) wurde im Jahre 1947 gegründet und vereinigt neben allen wichtigen westlichen Industriestaaten auch eine Reihe von südamerikanischen und afrikanischen Ländern. Als einzigen Ostblockstaat die ČSSR. Polen hat sein Interesse für die Kennedy-Runde angemeldet, doch wurde über eine Zulassung noch nicht entschieden.

Das GATT, eine der erfolgreichsten Einrichtungen, hat auch tatsächlich durch Einführung der Meistbegünstigung und Begrenzung der absoluten Höhe der Zollsätze den internationalen Handel sehr gefördert. Jedes Mitgliedsland muß die Änderung seines Zolltarifes dem GATT melden, und in einer Reihe von Konsultationen werden diese Änderungen mit betroffenen Ländern besprochen. Hiebei werden Staaten, die Zollerhöhungen planen, zur Gewährung von Konzessionen auf anderen Handelsgebieten veranlaßt. Die im Rahmen des GATT eingegangenen Absprachen sind verpflichtend und haben bisher zu beachtlichen Zollerleichterungen geführt. Allerdings wurde in der letzten Zeit das System des „do ut des“ soweit geführt, daß es zu einer Erstarrung des Zollniveaus führte.

Revolutionäre Zollsenkungsvorschläge

So wurden die Vereinigten Staaten initiativ und propagierten eine allgemeine lineare Zollsenkung. Es kam zur sogenannten Dillon-Runde, bei der die amerikanischen Vertreter revolutionäre Zollsenkungs- vorschläge machten, ohne allerdings hiefür vom Senat ermächtigt worden zu sein. Aus der nicht gerade rühmlichen Geschichte klug geworden, versah sich John F. Kennedy mit den nötigen Vollmachten, und die US-Delegierten konnten in Genf bei der sogenannten Kennedy-Runde folgende Vorschläge machen:

• Die Mitgliedsstaaten senken ihre Zölle linear um 50 Prozent.

• Ausnahmen hievon sollen eng begrenzt und Gegenstand eines Ge- genüberstellungs- und Rechtfertigungsverfahrens sein.

• Die Zollsenkung betrifft nur Industriewaren, für landwirtschaftliche Produkte sind Verhandlungen zu führen, die ihnen den Zugang zu den Weltmärkten öffnen sollen.

• Die Frage der Entwicklungsländer soll beachtet werden, und es ist die Möglichkeit ins Auge zu fassen, ihnen gegenüber die Zölle um mehr als 50 Prozent zu senken oder sogar Zollfreiheit zuzugestehen.

Die mit großem Optimismus vorgetragenen Wünsche der Vereinigten Staaten, für die der weltweite Freihandel ein echtes Anliegen ist, stießen jedoch bald auf den Widerstand Frankreichs und der übrigen EWG- Staaten, die einem regionalen Freihandel den Vorzug geben. Es ist nicht ganz präzise, hier von den EWG-Staaten zu sprechen, besser wohl nur von Frankreich, da die Bundesrepublik Deutschland seit der Kanzlerschaft Erhards sich den amerikanischen Intentionen zuneigt.

Frankreich will erst das einheitliche europäische Wirtschaftsgebieit der Sechs verwirklicht haben, bevor es Konzessionen an Drittstaaten macht.

Zwei politische Konzepte

Es stehen sich hier zwei politische Konzepte gegenüber. Die Vereinigten Staaten sind für kleine Erfolge bei der Beseitigung der Handelshemmnisse auf weltweitem Gebiet. Frankreich unter Leitung von De Gaulle ist für eine vollkommene Beseitigung der Handelshemmnisse auf einem beschränkten Gebiet, nämlich dem der sechs EWG-Staaten.

So legten Frankreich und die übrigen EWG-Staaten nicht ganz ohne inneres Wohlbehagen das Problem der Zolldisparitäten auf den Konferenztisch. Sie argumentierten sehr zu Recht, daß der EWG-Zolltarif bei sehr vielen Positionen wesentlich niedriger ist, als zum Beispiel der der Vereinigten Staaten. Wenn also der niedrige und der hohe Zollsatz je um 50 Prozent gesenkt werden, so kann für das eine Land praktisch der Zollschutz beseitigt werden, während er für das andere noch besteht. Die Vereinigten Staaten sind ein Hochzoll-Land, während die meisten EWG-Staaten Niedrigzoll- Länder sind. Die Frage der Zolldisparitäten ist also eine echte Schwierigkeit, die auch nicht von den Vereinigten Staaten negiert werden kann. Um die beabsichtigte Zollsenkung gerecht auf alle Beteiligten zu verteilen, wurden in Genf Pläne ausgearbeitet, die für Niedrigzoll-Länder eine geringere Zollsenkung vorsehen. Das Problem wird also, wenn auch'nach mühseligen Verhandlungen, zu lösen sein.

Gemäßigter Optimismus

Ob die Grundeinstellung Frankreichs zu einer weltweiten Zollsenkung allerdings eine Änderung erfahren wird, muß derzeit noch offen bleiben. Es ist jedoch zweifellos Optimismus angebracht. Und zwar aus zwei Gründen: Die Franzosen sind nüchterne Denker. Je weiter die Integration der EWG fortschreitet, desto notwendiger ist es im Interesse der freien Welt, in deren Boot sie ja auch sitzen, die Zollschranken mit den übrigen westlichen Ländern nicht zu hoch zu belassen. Einen tiefen Graben um die EWG-Burg wünscht niemand. Und dann ist wohl auch die Erhardsche Wirtschaftspolitik mitbestimmend, die, wie sich bereits bei den internen EWG-Verhandlungen über den Agrarmarkt ganz deutlich gezeigt hat, interne Zugeständnisse in der EWG von einem Erfolg der Kennedy-Runde in Genf abhängig zu machen versteht.

Wie ist nun die Einstellung Österreichs zur Kennedy-Runde? Als kleines Land haben wir alles Interesse, daß die Handelsschranken in der Welt abgebaut werden, um unseren Markt zu vergrößern. Vom rein wirtschaftlichen Standpunkt aus ist daher der Kennedy-Runde voller Erfolg zu wünschen. Es wird allerdings dabei zu beachten sein, daß Österreich nicht so weit vorprellt, daß es den Unmut Frankreichs erregt. Brüssel ist uns nicht nur geographisch näher als Washington.

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