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Schwarzer Hinterhof fur den Klub der Kolonialisten?

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Seit dem 1. Jänner 1973 wurde durch die Schaffung einer erweiterten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft das Gleichgewicht der Welt wesentlich verändert. Nach jahrelangen Bemühungen um einen wirtschaftlichen Zusammenschluß ganz Westeuropas ist damit der entscheidende Durchbruch gelungen: Die neue EWG hat eine Bevölkerung von 250 Millionen, verglichen mit den 205 Millionen der USA und den 244 Millionen der UdSSR. Besonderes Gewicht kommt der neuen Gemeinschaft im Welthandel zu: 4U“/o der gesamten Welteinfuhren gehen auf das Konto des neuen Wirtschaftsgiganten, verglichen mit 13,6,o beziehungsweise 15,3% Anteilen der USA und nur 4'Vo, beziehungsweise 4,6 Anteilen der UdSSR. Doch der Einfluß der EWG auf Welthandel und internationale Politik ist noch größer, da die Gemeinschaft darüber hinaus Assoziierungs- und Handelsverträge mit mehr als 30 Staaten hat, und noch weit mehr Staaten um ein Abkommen mit der EWG bemüht sind. Der Kreis der assoziierten und teilassoziierten Staaten wird durch den Eintritt Großbritanniens in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in diesem Jahr um eine große Zahl von Commonwealth-Staaten erweitert werden.

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Seit dem 1. Jänner 1973 wurde durch die Schaffung einer erweiterten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft das Gleichgewicht der Welt wesentlich verändert. Nach jahrelangen Bemühungen um einen wirtschaftlichen Zusammenschluß ganz Westeuropas ist damit der entscheidende Durchbruch gelungen: Die neue EWG hat eine Bevölkerung von 250 Millionen, verglichen mit den 205 Millionen der USA und den 244 Millionen der UdSSR. Besonderes Gewicht kommt der neuen Gemeinschaft im Welthandel zu: 4U“/o der gesamten Welteinfuhren gehen auf das Konto des neuen Wirtschaftsgiganten, verglichen mit 13,6,o beziehungsweise 15,3% Anteilen der USA und nur 4'Vo, beziehungsweise 4,6 Anteilen der UdSSR. Doch der Einfluß der EWG auf Welthandel und internationale Politik ist noch größer, da die Gemeinschaft darüber hinaus Assoziierungs- und Handelsverträge mit mehr als 30 Staaten hat, und noch weit mehr Staaten um ein Abkommen mit der EWG bemüht sind. Der Kreis der assoziierten und teilassoziierten Staaten wird durch den Eintritt Großbritanniens in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in diesem Jahr um eine große Zahl von Commonwealth-Staaten erweitert werden.

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Das Europa der Neun wird sowohl der bedeutendste Abnehmer von Produkten aus den Entwicklungsländern, wie auch der größte Geber von Entwicklungshilfe sein. Etwa 2,5 Milliarden Dollar werden pro Jahr aus diesem Raum in die Dritte Welt fließen. Dazu kommen weitere 4 Milliarden Dollar an privaten Investitionen. Außerdem wird der Entwicklungshilfefonds der EWG, ein Fonds zur Unterstützung von sogenannten Entwicklungsländern, in den Jahren 1971 bis 1975 rund 900 Millionen Dollar an Entwicklungshilfe vergeben.

Was bedeutet diese neue Macht-konstelilation für Afrika? Wie es ein afrikanischer Journalist in Brüssel darstellte, ist die Erweiterung der EWG die für Afrika bedeutendste und folgenschwerste Entwicklung seit der Berliner Kongokonferenz, auf der Afrika unter den europäischen Kolonialmächten aufgeteilt wurde. Zum Unterschied von der Berliner Konferenz jedoch, da Afrika vor ein fait accompli gestellt wurde, hat dieser Kontinent heute die Möglichkeit, die Entwicklung mitzubestimmen. Bis Mitte 1973 haben die Commonwealth-Staaten Afrikas Zeit, sich für oder gegen eine Assoziierung mit der erweiterten Gemeinschaft zu entscheiden.

Von Anfang an hat die EWG besondere Beziehungen zu den afrikanischen Staaten gesucht. Der Vertrag von Rom sah Bindungen zwischen der Gemeinschaft und den Kolonien Frankreichs, Belgiens, Italiens und der Niederlande vor. In den sechziger Jahren hatten jedoch die meisten afrikanischen Kolonien ihre Unabhängigkeit erlangt, und die EWG bot nun diesen jungen Staaten an, die Assoziierung auf der Basis der politischen Gleichberechtigung neu auszuhandeln. Das Ergebnis war das erste Abkommen von Yaounde, das von 1964 bis 1969 in Kraft war und dann in dem zweiten Abkommen von Yaounde mit einer Laufzeit von 1969 bis 1974 erneuert wurde.

Zur Yaounde-Gruppe gehören 18 afrikanische Staaten — das gesamte frankophone Afrika also. Diese Staaten dürfen fast zollfrei in EWG-Länder exportieren, doch behalten sich die europäischen Staaten das Recht vor, bestimmte Restriktionen zu verhängen. Die . assoziierten Staaten ihrerseits sind verpflichtet, einheitliche Zölle auf Waren aus EWG-Ländern zu erheben, haben aber bei der Zollsenkung weitgehende Freiheit.

Auch andere Staaten, die nicht ehemalige Kolonien der Sechs waren, haben Verbindungen mit der Gemeinschaft angestrebt. 1966 unterzeichnete Nigeria einen Assoziierungsvertrag, der dann allerdings nicht ratifiziert wurde, da Frankreich im nigerianischen Bürgerkrieg die Partei Biafras ergriffen hatte.

Die drei ostafrikanischen Staaten Kenia, Uganda und Tansanien paraphierten in Arusha, dem Sitz der Ostafrikänischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1969 ein Assozüerungsabkom-men mit der Sechsergemeinschaft, das 1971 in Kraft trat. Der Arusha-Vertrag zwischen EWG und Ostafrikanischer Gemeinschaft sieht gegenseitige Handelspräferenzen für eine Vielzahl von Waren vor. So erlaubt er den Exporten der drei ostafrikanischen Staaten zollfreie Einfuhr in den EWG-Raum, allerdings mit Quotenbeschränkungen für Kaffee, Gewürznelken und Ananaskonserven. Er verfügt auch Restriktionen für landwirtschaftliche Produkte. Die ostafrikanischen Staaten haben ihrerseits Zollsenkungen für eine Liste von 60 Waren aus den EWG-Staaten garantiert.

Seit November 1972 gehört auch der ehemals britische Inselstaat Mauritius der Yaounde-Gruppe als 19. Mitglied an.

Die übrigen Commonwealth-Staaten Afrikas, die sich nun bis Mitte des Jahres entscheiden müssen, ob sie eine Assoziierung auf der Basis des Yaounde-Abkommens wünschen, oder nicht, stehen zumeist vor einer schwierigen Entscheidung. Die Frage für sie ist, ob die wirtschaftlichen Vorteile, die eine Assoziierung ohne Zweifel mit sich brächte, die daraus erwachsenden politischen Nachteile überwiegen.

Die hauptsächlichen afrikanischen Bedenken gegen die EWG sind politischer und emotioneller Natur. Die erweiterte Europäische Gemeinschaft bringt alle ehemaligen europäischen Kolonialmächte unter einem Dach zusammen, und das Ressentiments gegen die einstigen Herren ist noch zu stark — die Unabhängigkeit noch zu jung. Die Afrikaner fürchten, durch eine Assoziierung mit diesem „Klub der Kolonialisten“ erneut zu „Vasallen Europas“ zu werden.

Die Furcht, daß eine Assoziierung mit den „reichen Herren der EWG“ Afrika wieder in Abhängigkeit führen könnte, ist ein immer wiederkehrendes Argument in den Debatten der Afrikaner für und wider eine Assoziierung mit dem Europa der Neun. Ein ghanaischer Delegierter in Brüssel gab der Anti-EWG-Haltung pointierten Ausdruck, als er sagte: „Wir müssen uns hüten, Europas wirtschaftlicher Hinterhof zu werden.“ Auch fürchtet man, daß eine enge Bindung an Europa es den afrikanischen Staaten unmöglich machen werde, ihre blockfreie Außenpolitik beizubehalten. Denn es gilt als selbstverständlich, daß Europa von Ländern, mit denen es assoziiert ist, und denen es in erhöhtem Ausmaß Entwicklungshilfe gewährt, freundschaftliche Beziehungen erwartet. Die von Afrika so virtuos beherrschte Praxis, unter dem Mantel der blockfreien Außenpolitik den Osten gegen den Westen — genauer die UdSSR gegen Rotchina und beide gegen den Westen — auszuspielen, um ein Maximum von allen Seiten zu erhallten, wird nicht mehr so leicht beizubehalten sein.

Bei allem Verständnis, das man dem afrikanischen Zögern entgegenbringt, kann es sich dieser Kontinent dennoch nicht leisten, der größten Handelsmacht der Welt, dem neuen Europa, den Rücken zu kehren.

Am meisten Enthusiasmus für eine EWG-Assoziierung zeigen die Staaten, die an Südafrika grenzen — Malawi, Botswana, Lesotho und Swasiland.

Sambias wichtigster Handelspartner ist heute Japan. Doch bei ständig sinkenden Weltmarktpreisen für Kupfer, Sambias Hauptexportprodukt, erhofft sich dieses Land von einer Assoziierung doch Hilfe bei der Entwicklung seiner Landwirtschaft. Allerdings ist die EWG-Begeisterung der Sambier heute nicht mehr so groß wie noch vor sechs Monaten.

Ghana, das den Großteil seiner Ausfuhren in Europa verkauft, wird wohl, wenn auch zögernd, das Ja zur Assoziierung einlösen, das der im Vorjahr gestürzte Dr. Busia der Gemeinschaft gegeben hat. Auch Gambia wird voraussichtlich der politischen Vernunft folgen und im Interesse einer engen nachbarschaftlichen Beziehung zum Yaounde-Staat Senegal seine Zustimmung geben. Desgleichen ist zu erwarten, daß Sierra Leone, das sich aus der einseitigen Abhängigkeit vom Diamantenexport zu lösen bemüht, seiner aufstrebenden exportorientierten landwirtschaftlichen Produktion die europäischen Märkte zu sichern suchen wird. Allerdings könnte die enge Bindung Sierra Leones an Sekou Toures Guinea, das als einziger frankophoner Staat nicht der Yaounde-Gruppe angehört, eine andere Entscheidungen bewrken.

Einziger Commonwealth-Staat, der aus seiner Anti-EWG-Haltung kein Hehl macht, ist Nigerien. Hinter den Kulissen, so verlautet aus Brüsseler Kreisen, sei eine rege Verhandlungsaktivität im Gange. Nigerien macht angeblich sein Ja davon abhängig, daß die erweiterte Gemeinschaft den afrikanischen Assoziierten bessere Handelsbedingungen zugesteht. Nigerien kann es sich auch am ehesten leisten, außerhalb zu bleiben: sein Erdöl verkauft es so oder so. Allerdings kann es für seine Kakao- und Erdnußproduktion kaum auf den europäischen Markt verzichten. ■

Der Hauptgrund für die kühle Haltung Nigeriens gegenüber der EWG liegt jedoch in seinem Ressentiment gegenüber Frankreich, das 1966 die Ratifizierung des Vertrages der Sechs mit Nigerien im Zuge seiner Parteinahme für Biafra verhindert hat.

Der große Verlierer nach dem britischen Eintritt in den Gemeinsamen Markt ist die Republik Südafrika. Eine Assoziierung des Apartheid-Staates auf der Basis des Yaounde-Abkommens ist unmöglich.

Zusammenfassend ließe sich sagen, daß Afrika zwar keine Herzensbeziehungen, wohl aber eine Vernunftbindung mit der EWG eingehen wird, und daß pragmatischer Realismus über die Polemik siegen wird.

Die Vorteile einer Assoziierung sind für Afrika auch zu offenkundig. Und eine für viele Afrikaner bittere Wahrheit ist es, daß Afrika Europa braucht, nicht umgekehrt. Vor allem aber könnte eine Assoziierung mit dem Europa der Neun der so nötige Katalysator für die Bildung eines

gemeinsamen afrikanischen Marktes sein. Die Erweiterung des Yaounde-Abkommens auf ganz Schwarzafrika würde neben einem raschen Wachstum des Handels mit Europa auch dazu führen, daß Afrika zum erstenmal in seiner Geschichte Europa gegenüber als einheitlicher Block auftreten könnte. Das wäre der wichtigste Schritt in Richtung auf eine Realisierung des großen Traumes von Panafrika. Vielleicht wird witschaftlichem Pragmatismus Erfolg beschieden sein, wo die Ideologie versagte.

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