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Die große Heimkehr

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Großbritannien tritt auf Grund einer Abstimmung im britischen Unterhaus der EWG bei. Mit Großbritannien werden verschiedene Mitgliedstaaten der bisherigen EFTA, wie zum Beispiel Norwegen und Dänemark, Irland und Portugal, diesem Schritt folgen.

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Großbritannien tritt auf Grund einer Abstimmung im britischen Unterhaus der EWG bei. Mit Großbritannien werden verschiedene Mitgliedstaaten der bisherigen EFTA, wie zum Beispiel Norwegen und Dänemark, Irland und Portugal, diesem Schritt folgen.

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Die EWG erhält dadurch eine Bedeutung und Ausdehnung, die ihresgleichen sucht:

• Die Bevölkerungszahl der neuen EWG wird um rund 16 Millionen die Bevölkerungszahl Sowjetrußlands übersteigen.

• Die Rohstahlproduktion der neuen EWG überwiegt von nun an die Stahlproduktion der USA.

• Um rund 20 Millionen haben die EWG-Länder mehr Beschäftigte als Rußland und um rund 25 Millionen mehr als die USA.

• Die Autoproduktion der EWG-Länder überwiegt sogar die Autoproduktion der USA.

Natürlich findet dies alles das besondere Mißfallen Moskaus. Seit Jahren hat es sich bemüht, Europa aufzuspalten, um eine Vereinigung Europas zu verhindern. Jetzt, da ihm dies fast gelungen ist, muß ihm der Beitritt Großbritanniens zur EWG besonders unangenehm sein, denn dieser Beitritt zieht weitere Schritte nach sich:

Als England seinerzeit die EFTA gründete, war es allen Eingeweihten klar, daß es mit der Gründung der Freihandelszone sich nur ein großes Heiratsgut schaffen wolle, um seinen Beitritt zur EWG um so schmackhafter zu machen. Die Kalkulation Londons ging tatsächlich auf, denn mit ihm werden vier weitere Mitgliedsstaaten der EFTA, nämlich Dänemark, Norwegen, Irland und Portugal der EWG beitreten und deren wirtschaftliche Kraft verstärken.

Großbritannien bringt aber nicht nur diese EFTA-Länder mit, sondern auch in einer indirekten Form sein ganzes Commonwealth.

Die deutsche Politik während des ersten Weltkrieges, wie auch während des zweiten Weltkrieges baute fest auf den Zusammenbruch des britischen Commonwealth. Man glaubte als sicher annehmen zu können, daß die sehr lockeren Bindungen der einzelnen Teile des Riesenreiches einer kriegerischen Belastung nicht standhalten würden. Man vergaß, daß das britische Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den einzelnen Teilen des Commonwealth enorm war und ist und wahrscheinlich bleiben wird. „The british way of life — der britische Lebensstil“ prägt alle Länder, die zur Pax britannica gehören und schafft eine Verbundenheit, die stärker ist als alle Verträge.

Das Commonwealth wird somit nicht auseinanderfallen. Dieses Riesenreich war in den letzten Jahrzehnten nur von einer einzigen

Sorge beherrscht: Daß Großbritannien selbst aus diesem Riesenreich austreten könnte. Ein Gedanke, der den verschiedensten Commonwealth- Mitgliedstaaten eine panische Angst ein jagte.

Der Beitritt Großbritanniens zur EWG wird vielleicht für manche Commonwealthländer vorübergehende wirtschaftliche Nachteile bringen. Aber das britische Zusammengehörigkeitsgefühl einerseits und die Angst anderseits, Großbritannien könnte aus dem Commonwealth überhaupt austreten — und der Beitritt Londons zur EWG gäbe tatsächlich die Chance dazu —, wird es mit sich bringen, daß die Commonwealthstaaten sich in irgendeiner Form mit der EWG assoziieren. Das bedeutet, daß nicht nur Großbritannien Mitglied der EWG ist, sondern hinter dieser auch das gigantische Potential des Commonwealth steht.

Großbritannien bringt durch seinen Beitritt zur EWG nicht nur einen Teil der EFTA-Länder und indirekt seine Commonwealthländer mit, sondern indirekt auch die USA. Die amerikanische Politik schwankt seit jeher zwischen dem Bestreben, sich aus allen Händeln der Welt herauszuhalten, das heißt, isolationistisch zu sein oder sich aus irgendwelchen Gründen in diese Händel der Welt einzumischen. Sehr oft geschah dies, um Großbritannien zu retten. Gerade jetzt, da der Senat die Auslandshilfe der USA streichen will und Nixon sich energisch bemüht, diese Maßnahmen rückgängig zu machen, wird dieses Schwanken der amerikanischen Politik zwischen Isolation und Intervention ganz besonders offensichtlich. Aber in allen Momenten der Krise gab es ein britisches Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen dem Vereinigten Königreich und den USA und ließ Washington immer wieder an die Seite Londons treten. So kann aus diesen Gründen angenommen werden, daß auch jetzt hinter dem Beitritt Londons zur EWG in irgendeiner Form die wirtschaftliche und poltische Kraft der Vereinigten Staaten den EWG-Län- dem zunutze kommen wird.

Denn das britische Zusammengehörigkeitsgefühl ist so stark, daß es in kritischen Augenblicken sogar abgefallene Teile des Commonwealth erfaßt Das typische Beispiel dafür sind die USA, diese ehemalige Kolonie Londons. Sowohl im ersten wie im zweiten Weltkrieg traten die USA aus keiner erklärlichen Ursache an die Seite Großbritanniens in die Weltkriege ein und entschieden dadurch diese zugunsten Londons. Der Hintergrund für diese erstaunliche Tatsache ist einfach der, daß die USA sich im Unterbewußtsein eben immer noch als ein Teil des britischen Riesenreiches betrachten. All dies stärkt das freie Europa.

Eins soll bei diesen Gedanken nicht übersehen wreden: Es waren Konservative, die diese Stärkung Europas herbeiführen, und es waren Konservative, die diesen revolutionären Schritt auf dem Weg zum Vereinigten Europa getan haben. Mit dieser Tait Londons hat der konservative Gedanke in Europa erneut seine große Bedeutung bewiesen. Nach mehr als 600 Jahren kehrt Wilhelm der Eroberer nach Europa zurück. Seine Rückkehr bedeutet fast eine Rettung für die alte Heimat. Er kann mit seiner Tat zufrieden sein.

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