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Schwere Tage in Downing Street

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Der Zeitpunkt der diesjährigen Commonwealth-Konferenz ist der britischen Regierung sehr ungelegen gekommen, und wenn ein plausibler Grund zur Hand gewesen wäre, hätte sie zweifellos eine Verschiebung vorgeschlagen. Wenn es auch, abgesehen von dem dornigen Problem Südafrika, eine Reihe von Fragen gemeinsamen Interesses für die beteiligten Staaten zu besprechen gab — so die Voraussetzungen und Aussichten für eine allgemeine Abrüstung, die den Ereignissen im Kongo gegenüber einzunehmende Haltung, sonstige die UNO betreffende Angelegenheiten —, das wichtigste, alle Mitglieder des Commonwealth unmittelbar berührende Thema, das künftige Verhältnis Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und zu den europäischen Einigungsbestrebungen überhaupt, konnte sozusagen nur am Rande gestreift werden; aber wie dieses Verhältnis sich gestalten soll, darüber sich Klarheit zu verschaffen, ist der britischen Regierung trotz aller Bemühungen bis heute nicht gelungen. London hatte sich eine Assoziierung mit der Wirtschaftsgemeinschaft auf rein kommerzieller Grundlage und im wesentlichen so vorgestellt, daß die Tore zum eigenen und zu den Märkten des übrigen Commonwealth für EWG- Exporte weit geöffnet würden, gegen gleichwertiges Entgegenkommen natürlich seitens der EWG. Inzwischen aber hat sich die Annahme, daß die wirtschaftlichen Vorteile der gedachten Assoziierung ohne das Eingehen politischer Bindungen zu haben wären, als eine Illusion erwiesen.

Grenzen der Europapolitik

Damit steht die britische Regierung vor Schwierigkeiten, deren Umfang noch nicht zu übersehen ist. Politische Bindungen an den Kontinent in dem Sinn, wie er manchen kontinentalen Europäern vorschwebt, darunter führenden Männern in der Gemeinschaft der Sechs, also föderativer Zusammenschluß unter Preisgabe bestimmter einzelstaatlicher Souveränitätsrechte, und, als selbstverständliches Korrelat, eine gemeinsame Außenpolitik, sind dem englischen Denken völlig fremd, und es würde einer langen und intensiven Aufklärungskampagne bedürfen, um den geschlossenen Widerstand der von Natur aus insular eingestellten breiten Massen, gleich welcher Parteirichtung, zu überwinden. Als Harold Macmillan seine damals aufsehenerregende Moskaureise antrat, mit der erklärten Absicht einer west-östlichen Entspannung, hatte er so gut wie die gesamte Bevölkerung des Vereinigten Königreichs hinter sich; heute wäre las genaue Gegenteil der Fall, träte :r mit einem Projekt an die Öffent- ichkeit, demzufolge sich die „ehr- vürdige Mutter der Parlamente” zu Westminster den Beschlüssen einer mit gesetzgebender Gewalt ausgestatteten ibernationalen Körperschaft beugen nüßte. Freilich wäre es auch denkbar, ;ine Form der Assoziierung zu finden, lie genügend Spielraum ließe, um der jritischen Öffentlichkeit allmählich ikzeptabel zu erscheinen, ohne den Iweck, den die Föderalisten im Auge laben, illusorisch zu machen. Aber velcher Weg immer gewählt würde, es st als ausgeschlossen zu betrachten, laß das Commonwealth als Ganzes sofern man da von einer Ganzheit sprechen kann — bereit wäre, dem britischen Beispiel einer politischen Bindung an unseren Kontinent zu folgen; vielmehr ist es mehr als wahrscheinlich, daß ein solcher Schritt Großbritanniens die Auflösung der britisch geführten Völkerfamilie zur Folge hätte.

Das Commonwealth: Mythos und Wirklichkeit

Oberflächlich gesehen, schiene der Verlust erträglich. Das Commonwealth ist eine kaum zu definierende, irgendwie schattenhafte Institution; es besitzt keine effektive Macht, und seine Zukunft ist höchst ungewiß. Trotzdem sind die Elemente, die es Zusammenhalten, nicht zu unterschätzen. Gefühl und i radition, verwandtschaftliche Beziehungen der Hälfte aller britischen Familien mit den früheren Dominions, vor allem Kanada, Australien und Neuseeland, die im gesamten Commonwealth herrschende Stellung der englischen Sprache und Literatur und die Beliebtheit englischer Lebensart, die Anhänglichkeit an das ehemalige Mutterland, die sich auch in den afroasiatischen Gebieten des früheren Imperiums immer wieder äußert, nicht zuletzt durch die überaus große Zahl der Söhne jener Länder, die an englischen Hochschulen studieren, das alles bilden ein Kapital, welches der Weltgeltung Großbritanniens in hohem Maße zugute kommt und von keiner britischen Regierung leichtfertig aufgegeben werden kann. Das war aber nicht der einzige Grund, weshalb der britische Premier, unterstützt übrigens bis zur Grenze des Möglichen auch von seinen afro-asiatischen Kollegen, die größten Anstrengungen gemacht hat, um Dr. Verwoerd wenigstens zum Versprechen einer Milderung seiner Rassenpolitik zu bewegen und so dem Ausschluß oder dem erzwungenen Austritt der Südafrikanischen Union aus dem Commonwealth vorzubeugen; auch die Erwägung, daß das Ausscheiden der Union die Lage ihrer farbigen Bevölkerung keinesfalls verbessern, für den Staat selbst und für die Gesamtheit seiner Bürger, von denen mehr als eine halbe Million britischer Abstammung sind, schwerwiegende Folgen wirtschaftlicher und politischer Natur nach sich ziehen würde, war bloß ein mitbestimmendes Moment. Seine dringendste Sorge muß der eigenen Stellung Großbritanniens gegolten haben. Man kann sich zur Rassenpolitik der südafrikanischen Nationalisten stellen wie man will, man kann sie als unklug und kurzsichtig ablehnen oder auch als grausam und unsittlich aufs schärfste verurteilen, der Vorwurf ist nicht zu erheben, daß Henrik Verwoerd und seine Anhänger versucht hätten, diese Politik zu exportieren und anderen Staaten zur Nachahmung aufzudrängen. In diesem Sinn ist Apartheid — „gute Nachbarlichkeit” nennt Verwoerd diese Methode — eine innere Angelegenheit der Union, in die sich einzumischen, wie es auf der Konferenz durch die Stellungnahme einer Reihe von Teihneh- mern gegen Verwoerd geschehen ist, einem der bisher sorgfältig beobachteten Grundsätze des Commonwealth klar widerspricht. Ein Präzedenzfall, der fatale Folgen selbst für die führende Macht im Commonwealth nach sich ziehen könnte.

Wetterwinkel Südostafrika

Den von Großbritannien als Kolonien oder Protektorate bzw. treuhänderisch verwalteten Gebieten von Rhodesien und Njassaland, Kenia, Tanganjika und Uganda steht die Unabhängigkeit in sicherer Aussicht, aber zu noch nicht mit Sicherheit bestimmbaren Terminen. Keine Regierung in London kann daran denken, diese Länder aus britischer Obhut zu entlassen, ehe für ihre Eigenstaatlichkeit nicht halbwegs verläßliche Grundlagen gegeben sind, und das wird voraussichtlich bei jedem von ihnen verschieden lange Zeitspannen erfordern. Welche Probleme da vorerst zu lösen sind, ist beispielsweise an dem Widerstand zu erkennen, den der Premier der Föderation Rhodesien und Njassaland, Welensky, der Verfassungsreform entgegensetzt, die London im Interesse künftiger guter Beziehungen zwischen dem zahlreichen weißen Element und der afrikanischen Mehrheit in Rhodesien für geboten hält; oder an dem sehr bedeutenden Anhang, den der in leichter Schutzhaft gehaltene Mau-Mau-Führer Jomo Kenyatta unter der Bevölkerung Kenias noch immer besitzt. Jeder etwaige offene Versuch anderer Commonwealth-Staaten, Großbritannien zur vorzeitigen Freigabe dieser Länder zu bewegen, könnte im gesamten, noch von London abhängigen südostafrikanischen Raum, der auf drei Millionen Quadratkilometer 30 -Millionen Menschen umfaßt, verhängnisvolle Wirklingen auslösen.

Die Revolte der Altkonservativen

Über die Revolte Lord Salisburys, des altkonservativen Bannerträgers, gegen die Regierung Macmillan, .der er allzu rasche und weitgehende Nachgiebigkeit gegenüber den Forderungen der Afrikaner vorwirft, braucht sich der Premierminister keine grauen Haare wachsen zu lassen. Mit der Niederlegung seiner parteiamtlichen Funktionen hat Salisbury sich selbst der Chance begeben, innerhalb der Partei eine Gruppe zu bilden, deren Angriffe gegen die Afrikapolitik der Regierung bei den weißen Siedlern in jenen Gebieten die gefährliche Illusion erwecken könnte, daß sich die weiße Vorherrschaft vielleicht doch noch aufrechterhalten ließe. Bei parteipolitischen Betrachtungen in Downing Street muß eher der Umstand zur Nachdenklichkeit zwingen, daß sich im Heerlager der Konservativen eine gewisse Müdigkeit geltend macht; was freilich nach zehn Jahren ungefährdeter Machtausübung fast unvermeidlich sein mag.

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