6742498-1966_47_07.jpg
Digital In Arbeit

Vierpunkteprogramm der Opposition

Werbung
Werbung
Werbung

Im Mittelpunkt des Heath’schen Programms steht allerdings ohne Zweifel der bedingungslose Ruf nach einem Eintritt Großbritanniens in die EWG. In seiner Schlußansprache auf dem Kongreß sowie in einer Rede in Harrogate in Yorkshire entwickelte der Oppositionsführer ein Vierpunktprogramm. Erstens sollte die Regierung eine Erklärung ihrer Absicht abgeben, daß Großbritannien ein Vollmitglied der EWG werden möchte und daß der Vertrag von Rom und die Organe des Gemeinsamen Marktes, wie sie sich seit 1956 herausgebildet haben, vollinhaltlich angenommen werden; die Regierung müßte den Gegenstand der Verhandlung genau umreißen; nach Ansicht Mr. Heath’s müßten es sein:

• Großbritanniens Schuld beim Internationalen Währungsfonds von 800 Millionen Pfund Sterling;

• die künftige Rplle des Sterlingblocks;

• das Verteidigungssystem Europas; • die künftige politische Entwicklung der erweiterten Gemeinschaft. Mr. Heath unterstrich die Dringlichkeit einer raschen und eindeutigen Entscheidung, da die Zeit gegen Großbritannien arbeite.

Opposition der „Montaggesellschaft“

Man wäre nicht England, wenn in einer Großpartei die Dissonanz einer Splittergruppe nicht vernehmbar würde. Diesen unharmonischen Kontrapunkt bildet die sogenannte „Montaggesellschaft“, in der sich die extremen Rechten der Partei unter Führung des Marquis von Salisbury und des Lord Chandos zusammengefunden haben. In einer Tagung, die vor kurzem in Hatfield House stattfand, konzentrierten sie sich auf jenes Problem, das die Parteiführung in Blackpool bewußt nur am Rande anklingen ließ, nämlich: Rhodesien. Ein Mr. Harold Soref forderte vehement, daß alle Energie aufgebracht werden müsse, um eine gerechte Behandlung für das stabilste, politisch loyalste Land Zentralafrikas durchzusetzen. Eine solche könne nur darin bestehen, den „rassischen Typ des rhode- sischen Volkes zu bewahren — eines europäischen Volkes“. Der Gründer der Gesellschaft bemängelte, daß die gegenwärtige Führung der Tories offenbar nicht wissen, „was wir zu konservieren wünschen“.

Man könnte noch lange mit eindrucksvollen Zitaten fortfahren und Stoff für ein abendfüllendes Kabarett liefern. Das Gebotene dürfte ausreichen, um das Weltfremde dieser gar nicht so einflußlosen Splittergruppe aufzuzeigen. Aber gerade die Tatsache, daß die offizielle Partei ihre Basis verbreitern will und Anschluß an den neuen Mittelstand der Industrieangestellten sucht und sich offensichtlich mit einer längeren Daiu r dpr Onnnsitionsrolle ah-

gefunden hat, macht solche reaktionären Gruppen gefährlich. Sie könnten nämlich einen echten parteiinternen ideologischen Konflikt auslösen — den Mr. Heath bisher geschickt vermied — und einen sich steigernden selbstzerstörerischen Prozeß in Gang setzen.

Diese drohenden Schwierigkeiten mögen dem Premierminister zwar sehr gelegen kommen, sie gleichen jedoch seine eigenen Schwierigkeiten in der Partei und Regierung nicht aus. Das Land steht noch immer vor den gleichen ungelösten Fragen wie vor der Wahl im Frühling 1966 oder vor einem Jahr. Der Rhodesienkonflikt konnte keinen Schritt näher an eine brauchbare Lösung gebracht werden. Allgemein befürchtet man sogar, daß Wilson in seiner Auseinandersetzung mit der Rebellenregierung in Salisbury schließlich doch unterliegen wird. Der frühere, wirklich fortschrittlich eingestellte rhodesische Ministerpräsident Garfield Todd, der vor kurzem aus dem Hausarrest entlassen worden ist, erklärte auf seinem Gut einem Vertreter der „Sunday Times“, daß er keine Möglichkeit einer friedlichen Lösung mehr sehe. „Falls es eine multi-rassische Regierung gibt, wird es eine afrikanische sein und keine europäische.“

Eine Antwort wird der Premierminister auch bald auf die Rolle Großbritanniens im Indischen Ozean finden müssen. Ein großer Teil der Partei verlangt einen völligen Rückzug, wodurch ihrer Meinung nach wertvolle Devisen eingespart werden können. Eng damit verbunden ist ein allgemeines Verteidigungskonzept, das die sozialistische Regierung bisher schuldig blieb. Schließlich wird sich der Premierminister über das Commonwealth und die Stellung Großbritanniens in Europa schlüssig werden müssen. Wird Mr. Wilson, dessen patriotische Vorliebe für das Commonwealth bekannt sind, die Realität zur Kenntnis nehmen, daß Großbritannien zu einer bloßen europäischen Macht zusammenschrumpfte? Wird für all das die ihm von der Arbeiterpartei zugebilligte Gnadenfrist von einem Jahr reichen, von einer dauernden Kur der wirtschaftlichen Malaise gar nicht zu reden?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung