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Vormarsch in die Vergangenheit

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Südafrika ist aus dem Commonwealth of Nations ausgetreten. Das Echo in der Weltöffentlichkeit war mit Recht enorm. Bedeutsam und weittragend aber ist dieser Schritt der Südafrikanischen Union nicht allein deshalb, weil er etwa große äußerliche Folgen nach sich zieht, sondern weil sich darin das äußert, was man in Variierung von Toynbees Formulierung den „Niederbruch einer Idee“ nennen könnte. Es sei dahingestellt, ob überhaupt ein Ereignis geschichtsmächtig zu werden vermag, das nicht Symptom einer bestimmten Idee und eines sich verwirklichenden Prinzips ist. Südafrika aber ist heute zweifellos das eindringlichste Beispiel für die tödliche Sogwirkung dessen, was man als das Prinzip des Kolonialismus bezeichnet — eindringlichstes Beispiel vielleicht deshalb, weil die „causa Südafrika" das Phänomen „Kolonialismus" sozusagen auf den Kopf gestellt darbie t.

Als eine Überraschung im eigentlichen Sinn kann der Austritt Südafrikas aus dem Commonwealth wohl kaum bezeichnet werden. Er war vielmehr seit einem halben Jahrhundert als zwangsläufige Folge klar vorauszusehen.

An der verschiedenen Stellung zur Rassenfrage und damit an einem kolonialen Grundproblem ist die Verbindung zwischen England und Südafrika nun auf jener verhängsnivollen Londoner Konferenz endgültig gescheitert. Klar vorgezeichnet aber war diese Trennung der Wege schon 1919.

Die Vision vom Weltreich

Im Unterbewußtsein des Mitteleuropäers existiert Südafrika vielleicht auch heute noch als ein Teil jenes großen kolonialen Weltreiches, das Malaya und Indien ebenso umfaßte wie Kanada. In Wirklichkeit ind die Gegensätze zwischen Mutterland und Kolonie kaum anderswo im britischen Weltreich so frühzeitig akut geworden wie zwischen England und Südafrika. Vor 1919 konnte dies weniger auffallen, denn da bewegte sich der Staat eines Cecil Rhodes lediglich im Fahrwasser der allgemeinen Selbständigkeitsbestrebungen der anderen Dominions. Kanada, Neuseeland und Australien drängten in ähnlicher Weise nach Festigung ihrer eigenstaatlichen Position

Zuvor aber noch ein Rückblick auf die Lage vor 1914, als sich verschiedentlich im British Empire das Streben nach Selbständigkeit schon deutlich bemerkbar machte. Old England war viel zu erfahren, um diese Dinge nicht vorauszusehen und schon Gladstone und Salisbury hatten sich mehr als einmal geäußert, wie gut es sei, daß es in Afrika und im Pazifik deutsche Kolonien gebe.

Gerade die Angst vor der deutschen Nachbarschaft hat bewirkt, daß das Interesse Südafrikas, Australiens und Neuseelands am Mutterland längst nicht so weit erkaltete, wie es sonst vielleicht geschehen wäre. Man brauchte eine Rückendeckung — und

England konnte sie geben. Die Dominions wären anderseits 1914 wohl kaum mit der gleichen Bereitwilligkeit in den Krieg gegen Deutschland eingetreten, wenn es nicht in ihrer Nähe deutsche Kolonien gegeben hätte,

über die man herfallen konnte. Ganz abgesehen vom allgemeinen Selbständigkeitsstreben schied sich aber damals schon die Ansicht Englands und Südafrikas in einem Grundproblem des Kolonialismus, in der Rassenfrage. England erkannte bald die Notwendigkeit zum Einlenken, Südafrika nicht.

Wilson und die Wirklichkeit

Als 1919 der amerikanische Präsident Wilson mit seinen Plänen für die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Völker und Rassen zur Friedenskonferenz nach Paris kam, war es nicht die englische Regierung, sondern es waren die Vertreter der britischen Dominions die dem Idealisten aus dem Weißen Haus offen ins Gesicht sagten, daß sie überhaupt nicht daran denken, die eroberten deutschen Kolonien herauszugeben — ganz gleich, was Wilson bezüglich der Frei heit und Selbstbestimmung der Schwarzen und Polynesier verlangen sollte. Als dann das Mandatssystem geschaffen wurde und Südafrika vom Völkerbund das Mandat über das einstige deutsche Südwestafrika erhielt, war das wiederum nichts anderes als ein Sieg der südafrikanischen Interessen obwohl die Mandatsidee in der Theorie bereits dem Kolonialismus den Boden unter den Füßen wegzog. Südafrika aber war es, im Verein mit anderen Verbündeten, gelungen, den Mandatsgedanken so zu durchlöchern, daß Südwestafrika einfach einen Gebietszuwachs alter Gattung für die südafrikanische Union bedeutete. Südafrika war gewillt, dort genau so oder noch schärfer Rassenpolitik zu betreiben wie im eigenen Haus. Auf der jüngsten Londoner Commonwealth- Konferenz standen die südafrikanischen Methoden in Südwestafrika nicht zu Unrecht im Mittelpunkt der Diskussionen ...

Die Zeit bleibt stehen

Die Trennung der kolonialpolitischen Auffassungen Englands und seines afrikanischen Dominions war damit bald vollzogen. Während England

— weniger aus gutem Willen denn auf Grund übler Erfahrungen — seineit Kolonialvölkern gegenüber einzulenken begann, hielt man in Südafrika

— und nicht nur dort — zum harten Kurs. Die folgenden Jahrzehnte und vollends die Ereigniswelle des zweiten Weltkrieges, lehrte jedoch schließlich alle Kolonialmächte, daß man vor der herankommenden Mündigkeit der „untergebenen" Völker ni:ht mehr den Kopf in den Sand stecken könne.

Die Verwirklichung des Mandatsgedankens auf der Pariser Friedenskonferenz von 1919 bedeutete theoretisch bereits das Ende jedes Kolonialismus, denn der Besitz von überseeischen Ländern konnte nun nicht mehr Herrschaftsausübung, sondern nur noch Treuhänderschaft 'tn Interesse der unterentwickelten Völker mit einer Verantwortlichkeit vor der Weltöffentlichkeit sein. In der Praxis allerdings mußte erst die Zeit kommen, bis die bevormundeten Völker auf diese ; ibffe, ‘RWrlftfe' pochen -k8ni j £itf ' stetsjin ;cför Gpschiehfe ist, so:,Tląt aūčh iri'aieseM Fäffe ein Krieg (fir'Biitwicfc lung schubartig weitergetrieben — mit 1945 begannen die zahlreichen kolonialen Aktschlüsse.

Es darf in diesem Zusammenhang aber nicht übersehen werden, daß es gerade in England im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten meisterhaft gelang, die Lawine des kolonialen Zusammenbruchs zu entschärfen und durch einp neue, konstruktive Idee fruchtbar für die Zukunft zu arbeiten: Es fand im Commonwealth of Nations eine ganz neue Form des Zusammenlebens 'der Völker, die in ihrer Bedeutung nicht hoch genug ein/eschätzt werden kann. Gleichberechtigung und Zusammenwirken im Sinne einer wechselseitigen Hilfsbereitschaft sind hier an die Stelle einstiger Gewaltpolitik getreten.

Die Ironie des Schicksals wollte es, daß Südafrika diese Entwicklung, die ihm das Mutterland vorexerzierte, nicht mitzumachen geneigt war.

Die Tragik der Isolierung

Wenn man also als wesentliche Kriterien kolonialistischer Haltung nicht das Vorhandensein eines Mutterlandes und einer Kolonie, sondern die Zielsetzungen des Beherrschens einer anderen Rasse durch die weiße ansieht, so kann man sagen, daß Südafrika heute Kolonialpolitik betreibt, wie sie das einstige Mutterland England aufgegeben hat. Der Kolonialismus scheint damit auf den Kopf gestellt: Eine einstige Kolonie treibt heute das, was am Beginn ihres staatlichen Bestehens stand. Südafrika hat gleichsam im eigenen Staatskörper eine Kolonie sitzen — und dieser Pfahl im Fleisch sitzt so tief, daß er ein Brandherd erster Ordnung zu werden scheint.

Gerade das offene Bekenntnis der Südafrikanischen Union zu den Zielsetzungen des Kolonialismus dokumentiert wie nichts anderes den Niederbruch dieser Idee, weil sich dieses Beharren unter Begleitumständen vollzieht, die nur allzu deutlich aufzeigen, daß die geschichtliche Idee des Kolonialismus heute tot ist. Der Hintergrund des Vorganges ist von grotesken Farben erhellt. Ein Beharren muß zur allgemeinen Ächtung führen. Südafrika nimmt damit eine Isolierung auf sich, die jener des Don Quichotte in nichts nachsteht und gleich tragisch ist.

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