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Die weißen Herren
Der Kolonialismus wird heute nicht mehr als Pioniertat wagender Kaufleute oder Krieger, söndern einfach als Form der Ausbeutung der Arbeitskraft und der Naturschätze eines Volkes durch eine fremde Herrenschichte verstanden. Diese Art des Kolonialismus stirbt ab.
Und gerade jetzt, da allenthalben die weißen Herren mit einer beachtlichen Würde und in einer bemerkenswerten Restsouveränität ihre .Stellungen räumen. Jetzt, da fast-ganz Asien und tein Drittel. Afrikas unabhängig geWordeflrskid\-i [jst nevterjjch -eiifc K lopialismusdebatte į eiftr' standen. Worum es in den Kolonialismusgesprächen geht, ist nicht etwa die begründete Angst vor der Wiedererrichtung verdeckter Kolonialherrschaften, sondern in einem gewissen Sinn die nachträgliche Rechtfertigung, wenn auch nicht des Kolonialismus an sich, so doch einzelner seiner Methoden. Diese Rechtfertigung, sicherlich noch reichlich unpopulär, ist überhaupt erst möglich, seit man in weiten Teilen der Welt das Kolonialproblem nur noch als eine geschichtliche Angelegenheit betrachten kann. Jetzt vermag man das Erbe zu sichten und die Spuren jahrhundertelanger Kolonialherrschaft festzustellen.
Nun kann man, soll der Kolonialismus unbefangen beurteilt werden, nicht in der gleichen Weise verfahren, wie das schon bei der antiken Sklaverei der Fall war; auch sie versuchte man mit den Maßstäben einer Zeit zu beurteilen, in der bereits die Würde der menschlichen Person geachtet und Sklaverei als ein skandalöses Vergehen gegen die Auffassung vom Werte der menschlichen Person angesehen wurde.
Sicherlich war der Kolonialismus auch eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte, anderseits aber war der Kolonialismus nicht allein Anschauungsunterricht, wie Menschen nicht geführt und ihre Belange nicht verwaltet werden dürfen, sondern in seiner Spätepoche auch eine Demonstration durchaus demokratischer Lebensweisen, Menschen vorgeführt, die noch nicht die Reife zur Selbstverwaltung und zur Nutzung der gegebenen sachlichen Möglichkeiten besaßen.
Neben der Kolonialisierung und Gewalt gibt es noch eine geradezu erbetene Kolonialisierung. Die unterentwickelten Völker, die, obzwar souverän und in allen internationalen Gremien sitzend, für ihre Bürger nur einen unterdurchschnittlichen Lebensstandard herauswirtschaften können, erbitten umfangreiche Hilfeleistungen an Kapital und Beratungsdiensten, die sie schließlich in die faktische Abhängigkeit von Kreditnehmern und Instruktoren bringen muß. Durch den Zwang, Kredit und Lehrkräfte nehmen zu müssen, und wenn auch nur, um als Herrenschichte selbst an der Macht bleiben zu , können, entstehen neue, besondere Spannungen.
Es entsteht vor allem die Abneigung des Be schenkten gegenüber dem Geber, der urmensch- liche Widerspruch zwischen dem Kreditgeber und Kreditnehmer, lediglich auf politische und weltpolitische Formeln gebracht.
Darüber hinaus übersetzen die Führer der farbigen Völker, wie erwähnt, oft ihre inneren Spannungen in eine antikoloniale und antiwestliche Haltung. Je mehr die neuen farbigen Staaten in eine volle, vor allem politische Souveränität j hineinwachsen, um so nachdrücklicher i-neigeÄP-Sfe der Durchsetzung deäl0rfaCT rialftaSf- rtic etf ziiSt f %lT'Um s.O sich ihre gegenseitigen Spannungen zu jenen Auseinandersetzungen, wie wir sie unter den Nachfolgestaaten der alten Monarchie beobachten konnten, die das, was sie den „Völkerkerker" des alten Oesterreichs nannten, verließen, um flugs neue Kerker für jene Minderheiten zu errichten, die sie bei den von „genialen" Politikern des Westens veranstalteten Versteigerungsaktionen ab 1918 erworben hatten.
Um die Einheit der farbigen Völker zu erhalten, müssen ihre Führer den Widerpart „Kolonialismus" haben. Wo er nicht mehr besteht, müssen andere Formeln, wie „Imperialismus“, „drohende Aggression“ und ähnliches, gefunden und erfunden werden, einfach deswegen, weil man als Ganzes nur im Widerspruch zum alten Herrn leben kann.
Anderseits schreitet die Europäisierung der Nichteuropäer fort. In der Technik, in der Arbeitsordnung und in der Arbeitsdisziplinierung wie in der familiären Organisation. Noch mehr in der Kleidung. Das, was zum Beispiel Afrikas Führer an Kleidungsstücken tragen, sind die perfekten modisch gestalteten Uniformen der „Kolonialherren“.
Die kulturellen Leitbilder schließlich sind europäischen Ursprungs, ein Umstand, den. gerade Europäer selbst beklagen, wenp es nicht gar dazu kommt, daß Weiße das Kulturerbe der Farbigen gegen den Willen ihrer Führer zu erhalten suchen. In weiten Teilen der farbigen Welt entsteht daher so etwas wie eine Stil- losigkeit, wenn nicht ein „moralisches Vakuum“ (siehe „Commonwealth“, NY, 11. November 1955), in dessen Bereich sich ein Primitiv- Materialismus festzusetzen vermag, das Unvermögen, zu genießen, kombiniert mit einer nicht zu bewältigenden relativen Güterfülle.
Die weiße Rasse hat die Kunst der Selbst- beziqhtigung zu meisterlicher, krankhafter Vollendung gebracht. Auch in der Sache „Kolonialismus". Es täte gut. wenn man sich auch einmal, gerade jetzt, da der klassische Kolonialismus in die Epoche seines Absterbens getreten ist, auch der positiven Leistungen der kolonialen Herrschaft besinnen würde. Gerade wir in Oesterreich, die wir kaum durch die Epoche des Kolonialismus in den Augen der Welt belastet sind, können dies leichter tun als andere.
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