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Hlt das Commonwealth noch?

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Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges, des großen Kampfes für das Recht dies Menschen auf Persönlichkeit, vereinigt sich von Zeit zu Zeit eine Commonwealth-Konferenz in verschiedenen Hauptstädten, ursprünglich, um die Grundsätze von einst weiterzuverkünden und noch stärker au betonen; zuletzt jetzt im Londoner. Marlborough House, n sie in ihr Gegenteil umzuwandeln! Die Mitgliedschaft des Commonwealth — diesen Eindruck hat man beim Anhören der Reden in Marlborough House diesmal gewonnen — wird ziemlich einheitlich gedeutet, wenigstens von den Afrikanern: alle wollen noch mehr Rechte und noch weniger Verpflichtungen (wenn überhaupt noch welche). Allein Großbritannien teilen solche Delegierte Verpflichtungen zu: England solle die Guerillas gegen Rhodesien bewaffnen, es solle helfen, die Einheit Nigeriens zu bewahren oder wiederherzustellen, es solle sich anstrengen, die Lebensmittelnot Indiens zu beheben. Dazu käme noch womöglich ein kleiner Kreuzzug gegen die Südafrikanische Union, um dort die Gleichberechtigung aller Rassen durchzusetzen.

Etwas ernstere Worte und Ratschläge hörte man freilich von den Commonwealth-Staaten Australien und Neuseeland. Dort wird die Zugehörigkeit zur britischen Volksgemeinschaft loyal verstanden, und zwar nicht nur von den Bürgern britischer Abstammung, sondern auch von den Maoris von Neuseeland, einer fremden Rasse, die gar keinen Grund zu einem Protest welcher Art auch immer findet. Immerhin sind gerade diese Staaten das wesentlichste Hindernis für England in seinem jetzigen Bestreben nach einem Anschluß an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Sie liefern nämlich an England billige Agrar-produkte, und gerade diese billigen Agrarprodukte möchte Frankreich nicht als Konkurrenz auf dem europäischen Markt haben; dies wird zwar in der Presse als „Gaullismus“ verschrien, es ist jedoch wahrscheinlich, daß gerade darüber ein anderer Regierungschef als General de Gaulle in Paris nicht anders denken würde. Australien und Neuseeland sind Musterdemokratien nach dem englischen Vorbild, und aus diesem Grund hat noch Gaitskell. Harold Wilsons Vorgänger an der Spitze der Labour Party, diese Commonwealth-Staaten einst als Alternative zur Europagemeinschaft bezeichnet.Jedoch trennt uns von jener Zeit eine Periode von sechs Jahren, und viereinhalb Jahre davon entfallen auf die Regderungszeit Wilsons. Die Zeit und die Regierungserfahrung haben Wilson und seinen Anhang davon überzeugt, daß keine Verjüngung der Commonwealth-Idee die Verbindung mit der Europagemeinschaft ersetzen könnte, selbst wenn die inneren Schwierigkeiten des Gemeinsamen Europamarktes noch lange nicht überwunden sind, und der Anschluß Englands durchaus nicht alle Schwierigkeiten Englands mit einem Schlag aus der Welt schaffen würde. Die Labour-Regierung hat vielmehr einen anderen Grund für ihre Vorliebe für Australien und Neuseeland. Die Regierung Wilson möchte Englands militärische Verpflichtungen „östlich von Suez“, wie es heißt, bis zum Jahr 1971 liquidieren, eine Richtlinie für die nächste Zukunft, welche bei der Commonwealth-Konferenz-Vertretung von Hongkong keineswegs Beifall fand. Südostasien hat ein Vertragssystem für Verteidigung, das ohne britische Beteiligung im Ernstfall kaum funktionieren würde, und Australien beziehungsweise Neuseeland vermögen die Lücke, die im Vertragssystem Südostasiens durch Englands Rückzug entstehen dürfte, einigermaßen zu schließen.

Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, wozu eigentlich das Commonwealth noch da sei? Eine ideologische Gemeinschaft der Demokratie, wie sie von seinen einstigen Theoretikern, etwa von Lord Bryce oder Lionel Curtis, geplant wurde, ist es schon lange nicht, Commonwealth-Staaten haben Putschregierungen und Diktatoren. Ein Militärbündnis ist es ebenfalls nicht; Indien bekannte sich, bald nach seiner Unabhängigkeit, zur sogenannten „dritten Welt“ der Neutralen im zu erwartenden Weltkonflikt. Eine Wirtschaftsgemeinschaft ist es noch weniger; Großbritannien, Australien, Kanada, Neuseeland haben ihren Europahandel und ihre Handelsbeziehungen zu Amerika unabhängig voneinander, während der Austritt Südafrikas nichts an der intensiven Handelsverbindung Großbritanniens mit der Union geändert hat, die seit Südafrikas Austritt eher zugenommen als abgenommen hat. Geographisch hängt das Commonwealth-Gebiet keineswegs eng zusammen, ein Mittelpunkt dafür ist geographisch undenkbar. Entfernte Gebiete darin brauchen Entwicklungshilfe; Anleihen und technische Hilfe erhalten sie indes zunehmend von außerhalb /des Commonwealth, aus Deutschland und anderen Staaten, die nie dem Commonwealth angehört haben. Ernstlich wurde von konservativer Seite, in einem Leitartikel des „Daily Telegraph“ über die MarlboroughrtHous&Konfä9?enz, der Gedanke eines Austritts von Großbritannien aus dem Commonwealth angeregt und sogar befürwortet. Freilich würde dieser Schritt das Ende der ganzen Institution bedeuten.

Die Vereinten Nationen in New York bedeuten für keine Nation etwas, weder Macht noch Geltung noch Schutz vor Gefahren oder kulturelle Zugehörigkeit. Ein Afrikanischer Staatenbund wieder wurde in diesen letzten Jahren öfters versucht; er hat mehr zur Entfernung der Afrikaner voneinander als zu ihrer Annäherung beigetragen. Weder ethnographisch noch kulturell noch sprachlich ist Afrika eine Einheit, selbst eine Regionalisierung dieses Kontinents wäre äußerst verfrüht, wenn nicht überhaupt unmöglich. Obwohl das Commonwealth sehr lose zusammenhängt und praktisch nicht viel bedeutet, mag es noch eine gewisse kulturelle und zivilisatorische Einheit darstellen. Eine andere Sprache als Englisch ist in weiten Regionen Asiens und Afrikas als internationale Sprache undenkbar.

Allerdings drückt sich der englische Geist in den früheren Kolonien nicht immer in Regierungsformen und Methoden aus; die typisch britischen Institutionen bestehen dort entweder gar nicht oder sie stehen nur auf dem Papier geschriebener Verfassungen, während bekanntlich die Staatslehrer des alten England der Königin Victoria mit besonderem Stolz in ihren Lehrbüchern zu verkünden pflegten, daß England nur eine ungeschriebene Verfassung besaß und daß diese ungeschriebene Vorfassung die einzige in der Welt war, die in der Praxis beachtet wurde und sich bewährte.

Die heutige Atmosphäre Englands ist freilich wenig geeignet, den englischen Geist und die englische Kultur zum wahren Mittelpunkt eines sonst zerfallenen Commonwealth zu machen. Und einen anderen gemeinsamen Nenner für auseinanderstrebende Völker und Staatswesen als die englische Kultur findet man wohl nicht.

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