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Das erste schwarze Dominion

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Am 17. Juni dieses Jahres ist zum ersten Male in der afrikanischen Kolonial- und Staatengeschichte ein Abgeordnetenhaus gewählt worden, das ausschließlich aus Afrikanern besteht. Die Goldküste als die entwickeltste englische Domäne auf afrikanischem Boden wurde hiermit zum ersten schwarzen Dominion innerhalb des britischen Commonwealth. William A. K w a k u, ein Student von der Goldküste, vermag uns dank persönlicher Anschauung und Eindrücke ein besonders unmittelbares Bild des Werdens und der jetzigen Situation seiner Heimat zu vermitteln. Darüber hinaus wird dabei aber noch ein Wesentliches klar: die Goldküste in ihrer umfassenden Bedeutung ist nicht als lokale Erscheinung zu werten, sondern dank ihrer wirtschaftlichen und politischen Vorrangstellung im gesamten afrikanischen Raum als ein Barometer in der Entwicklung dieses Kontinents.

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Am 17. Juni dieses Jahres ist zum ersten Male in der afrikanischen Kolonial- und Staatengeschichte ein Abgeordnetenhaus gewählt worden, das ausschließlich aus Afrikanern besteht. Die Goldküste als die entwickeltste englische Domäne auf afrikanischem Boden wurde hiermit zum ersten schwarzen Dominion innerhalb des britischen Commonwealth. William A. K w a k u, ein Student von der Goldküste, vermag uns dank persönlicher Anschauung und Eindrücke ein besonders unmittelbares Bild des Werdens und der jetzigen Situation seiner Heimat zu vermitteln. Darüber hinaus wird dabei aber noch ein Wesentliches klar: die Goldküste in ihrer umfassenden Bedeutung ist nicht als lokale Erscheinung zu werten, sondern dank ihrer wirtschaftlichen und politischen Vorrangstellung im gesamten afrikanischen Raum als ein Barometer in der Entwicklung dieses Kontinents.

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Ein Verständnis der Goldküste, wie sie sich heute darstellt, setzt eine beiläufige Kenntnis der Entwicklungsfaktoren voraus. Deshalb zunächst eine kurze Skizzierung der geschichtlichen Hintergründe meiner Heimat. Den ersten Kontakt zwischen diesem Land, das sich ungefähr 500 Kilometer an der westafrikanischen Küste entlang erstreckt, und der europäischen Welt stellten die Portugiesen am Ende des 15. Jahrhunderts her. Sie hinterließen eine Reihe von Befestigungsanlagen, die heute noch zu Wohnzwecken benutzt werden. Ihre Zeit, die noch nichts vom Sklavenhandel wußte, wurde bald von den verschiedenen anderen europäischen Kolonialmächten abgelöst, die sich ihrerseits auch Stützpunkte an der reichen Westküste zu sichern trachteten. Dem Handel mit den diversen Landesgütern, wobei an der Goldküste eben das Gold eine hervorragende Rolle spielte (und heute noch spielt), folgte bald ein hemmungsloser Handel mit menschlicher Ware. Durch nahezu 300 Jahre handelte der weiße Mann in Afrika mit „schwarzem Elfenbein" — bis 1833 die englische Regierung ein Gesetz gegen den Sklavenhandel erließ. Als moderne Auswirkungen jener Zeit treten heute die vielgestaltigen Probleme in der gesellschaftlichen Struktur sowohl der Vereinigten Staaten von Nordamerika als auch der mittel- und südamerikanischen Staaten auf.

Im Jahre 1844 schlossen die Engländer einen Freundschaftsvertrag mit den führenden Häuptlingen des Küstengebietes. Damit war der Ansatz für die Entwicklung der Kolonie gegeben. Im Gegensatz zu dieser Küstenregion, der eigentlichen „colony", konnte aber das Königreich Aschanti noch lange Zeit hindurch seine Selbständigkeit bewahren: es wurde erst um 1900 auf Grund der überlegenen technischen Mittel von England okkupiert. — Die nächsten Jahrzehnte standen unter dem Zeichen der englischen Kolonialherrschaft, was, wie in der Geschichte aller Kolonien, in erster Linie eine wirtschaftliche Ausbeutung des Landes bedeutete. Der Wille zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit war aber gerade an der Goldküste immer sehr stark, so daß es nicht sonderlich wundernimmt, wenn bereits im Jahre 1917 der erste westafrikanische Kongreß in der Hauptstadt Akkra zusammentrat: nationalistische Vertreter aller vier englischen Kolonien Westafrikas machten hier den ersten Schritt in der Richtung zu Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Schon in den zwanziger Jahren gestalteten die Engländer ihre koloniale Herrschaft nach dem Prinzip von Lord Lugar d s „indirect rule".um, d. h. die Verwaltung des Landes wurde in die Hände der Häuptlinge gegeben, wenn auch die erste und entscheidende Instanz im Lande der englische Gouverneur blieb.

Eine rasche technische Entwicklung des Landes und das bewußte Erlebnis zweier Weltkriege schufen — nicht nur in dieser Kolonie — eine breite Basis für die Verwirklichung demokratischer Gedanken und Grundsätze, die im übrigen bereits viel Verwandtes in der bodenständigen sozialen Struktur antrafen — im Gegensatz zu den meisten ostafrikanischen Kulturen; woraus sich auch die verschiedenartigen Haltungen der Kolonialmacht gegenüber leichter verstehen läßt.

Bald nach dem zweiten Weltkrieg, 1948, kam es dann zu einem kurzen, aber blutigen Zusammenstoß zwischen der englischen Polizei und eingeborenen Kriegsveteranen, als diese in einer Demonstration die Hebung des Lebensstandards in der Goldküste forderten. Damit waren auch hier die ersten Schüsse gefallen — das Zeichen für den endgültigen Umbruch war gegeben. Nun ging alles recht rasch. Die Engländer setzten die sogenannte Watson-Kommission ein, die in ihren Zugeständnissen die Grundsteine für die Selbständigkeit der Goldküste legte. 1950 wurde von der englischen Regierung die neue Verfassung anerkannt, die von dem afrikanischen Richter C o u s s e y vorgelegt wurde. Nun konnten zum ersten Mal in der Geschichte Afrikas schwarze Menschen mit modernen demokratischen Mitteln das Geschick ihres Landes selbst bestimmen-! Die CPP (Convention People’s Party —- Volkspartei), geführt' von dem amerikanisch erzogenen Dr. Kwamb Nk tuma h, ging mit großer Mehrheit als Sieger aus diesen ersten selbständigen Wahlen in der Goldküste hervor. Das Kabinett, das nun von Nkrumah als Ministerpräsidenten gebildet wurde, setzte sich aus sechs afrikanischen und drei englischen Ministern zusammen. Außerdem wurde der englische Gouverneur weitgehend in seinen Entscheidungen vom Ministerpräsidenten des neuen Staates abhängig. Die endgültige Entscheidung in der Entwicklung zur Selbständigkeit der Göldküste fiel nun am 17. Juni 1954. Nachdem sich England bis auf den Gouverneur-General, dessen Stellung aber bereits auch weitgehend nur noch nominellen Charakter hat, aus der Goldküstenregierung zurückgezogen hatte, konnte Nknimah nach diesen letzten Wahlen ein ausschließlich afrikanisches Kabinett bilden —. ein nicht hoch genug einzuschätzender Schritt, wenn man sich die wenigen Entwicklungsjahre, die zur Verfügung standen, vor Augen hält. Das erste schwarze Dominion ist Wirklichkeit geworden.

Was sind nun die Möglichkeiten und Kräfte, die diesem Land eigen sind, und wie sehen die Bedingungen, aus, unter denen der junge Bürger des neuen Staates zu leben hat?

Die drei Gebiete, die heute zur Goldküstenföderation zusammengeschlossen sind — das sind die eigentliche Goldküste, das Aschantikönigreich und die Northern Territories —, machen insgesamt eine Fläche von zirka 250.000 Quadratkilometer aus, was beiläufig den Ausmaßen der Britischen Inseln entspricht. Auf dieser Riesenfläche leben aber nur etwa 4,5 Millionen Menschen, die sich vor allem in und um die Städte Akkra (230.000), Kumasi, Takoradi und Tamale konzentrieren. In den Küstenstädten leben etwa 7000 Nichtafrikaner, die als Techniker, Beamte und Kaufleute im Lände tätig sind. Von der Küste (Takoradi) führt eine Hauptbahnlinie nach Kumasi und von dort wieder zurück an die Küste nach der Hauptstadt Akkra. Ein ausgebautes Straßennetz von etwa 12.000 Kilometer Länge und Flugverbindungen mit allen wichtigen Orten, haben das ganze Land heute schon weitgehend erschlossen.

Was die wirtschaftliche Kapazität anlangt, steht die Goldküste an .der Spitze aller afri kanischen Kolonien. Als führendes Ausfuhrland für Kakao (über 40 Prozent der Weltproduktion) nimmt sie daneben aber auch noch im Export von Feingold, Manganerz, Diamanten und Nutzholz erste Stellen in der Weltwirtschaft ein. In den letzten Jahrzehnten kam dazu noch die Entdeckung überreicher Bauxitlager, die die Goldküste bei Nutzung nur eines Teiles der Möglichkeiten zum ersten Aluminiumproduzenten der Welt machen können. Doch diese und ähnliche wirtschaftliche Fragen sind in erster Linie von der mehr oder weniger raschen Industrialisierung des Landes abhängig. In diesem Zusammenhang muß auch noch das Volta-Projekt erwähnt werden, ein gegenwärtig noch im Bau befindliches Großkraftwerk, das nach der Fertigstellung die ganze Goldküste elektrifizieren wird.

Die besondere Eigenart, die die Goldküste in soziologischer Hinsicht unter vielen afrikanischen Ländern auszeichnet, ist ein fruchtbares Nebeneinanderleben von ungebrochener Stam- mestradition und modernen sozialen und kulturellen Einrichtungen. So hat z. B. einerseits der König von Aschanti, Nana Agyeman- Prempeh II., eine vom zentralen Gerichtshof in Akkra unabhängige Gerichtsbarkeit an seinem Hof in Kumasi, und niemand darf auch mit ihm ohne vermittelndes Sprechmedium verkehren; anderseits aber kann z. B.' heute jeder junge Mann ein Mädchen — entweder kirchlich oder nur standesamtlich —- heiraten, ohne mit ihren Eltern das früher notwendige „Heiratsgeschäft" abschließen zu müssen. Dieses organische Uebergehen vom Alten zum

Neuen schaltete von vornherein jede Möglichkeit zur Entwicklung von • akuten Rassenproblemen aus, so daß Schwierigkeiten, wie sie besonders in der Südafrikanischen Union aktuell sind, für die Goldküste nicht existieren und auch nie auftreten werden. Auf dem Boden dieser gesunden sozialen Struktur konnte ein wohlorganisiertes Bildungswesen aufgebaut werden, an dessen Spitze die Universität Achi- mota und eine Universitätsbibliothek mit über 100.000 Bänden steht.

Ich muß zu einem Schluß kommen. Viele werden wohl die Frage auf den Lippen haben: wie war eine derartig rapide Entwicklung auf allen Gebieten möglich? Vor allem unter Vermeidung sozialer Krisen, deren Charakter es ja ist, im Gefolge technischer Revolutionen aufzutreten? Darauf habe ich eigentlich nur eines zu antworten: für uns Afrikaner gibt es k e i n e Probleme ! Wir nehmen die Welt nicht, wie sie sein könnte, sondern wie sie ist. Auf Grund unseres Entwicklungsstadiums können Fragen, wie sie heute die ganze westliche Welt bewegen, g. B. die Gleichberechtigung der Frau oder das Problem des industriellen und geistigen Proletariats, in unserem Denkbereich naturbedingt keine Rolle spielen. Nur ein ganz kleiner Kreis kann verstandesmäßig überhaupt diese Probleme verstehen, nicht aber innerlich erleben. So kann auch das Problem des Kom-' munismius keine ernste Frage für die Goldküste sein: dieses reiche Land, das langsam und organisch den Weg zur Industrialisierung beschritten hat, vermochte bis heute nicht mehr als zwei Kommunisten hervorzubringen. Auf der anderen Seite besteht aber auch nicht die Gefahr einer politischen Stagnation, wie sie für manche überdemokratisierte Staaten der Fall ist, da an der Goldküste jeder einzelne aus dem Volk interessiert und aktiv an der Politik teilnimmt. Politische Diskussionen, wie man sie täglich in allen Straßen der Städte erleben kann, zeigen, wie sehr jedem einzelnen das Wohl seiner Heimat am Herzen gelegen ist. Ja, das ist es, was wir als Menschen mitbringen; und noch etwas — eine Fähigkeit, die uns vielleicht entscheidend hilft, unseren eigenen Weg zu finden: die Fähigkeit, immer fröhlich zu sein.

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