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Macmillan im Kreuzfeuer

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„Begreifen Sie denn nicht", so apostrophierte der Labour-Abgeord- nete und Veteran vieler politischer Schlachten, Emmanuel Shinwell, in der letzten Unterhausdebatte uber die kiinftigen Beziehungen GroBbritan- niens zur EWG den Premierminister, „begreifen Sie denn nicht, daB die ganze Zukunft des Commonwealth auf dem Spiel fteht? Wir werden nicht zu- lassen, dafi von Ihnen oder wem immer sonst ein Ausverkauf des Common wealth veranstaltet wird." Der P. M., wie der Chef der Regierung ihrer Majestat im heute iiblichen Tele- grammstil genannt wird, blieb dem alten Kampfer — Shinwell ist 77 — die Antwort nicht schuldig. ,,Sie sind ja im vorgertickten Alter sehr patrio- tisch geworden. Merkwiirdig, wie bei manchen Leuten der Jingoismus mit den Jahren wachst, besonders wenn sie links angefangen haben ..."

Dieses an sich belanglose Geplankel ist symptomatisch fiir die Verwirrung, die durch das Problem EWG in den traditionellen Linien der politischen Krafte Englands ausgeldst worden ist. Mag Macmillan sich mit seinen Ministern fiber das anzustrebende Ziel intern bereits einig geworden sein, offiziell geht es zunachst bloB um die Frage, ob fiberhaupt Verhandlungen fiber den eventuellen AnschluB des Vereinigten Konigreichs an die Ge- meinschaft der Sechs aufgenommen werden sollen; aber schon werden in der Offentlichkeit und in den politischen Kreisen Stellungen bezogen, als ob die letzte Entscheidung fiber Beitritt oder nicht gefallt und mit alien ihren Folgen unwiderruflich geworden sei. Die Fronten bilden sich ohne Rficksichtnahme auf Parteigren- zen und bisher hochgehaltene partei- politische Devisen, und welche weite- ren Schritte immer die Regierung in Sachen EWG unternimmt, sie wird es nicht leicht haben, zu beurteilen, ob mehr Unterstfitzung oder mehr Wider- stand von der Rechten oder der Lin- ken zu erwarten steht. Das einzige, was sich zur Zeit sagen lafit, ist, daB die Labour-Ffihrung keine Lust zeigt, sich frfiher als unbedingt notig nach der einen oder anderen Richtung fest- zulegen; sie will erst sehen, welchen Lauf die Dinge nehmen, um dann auf den „richtigen Autobus" aufzusprin- gen — den richtigen naturlich vom Standpunkt der Wahlpropaganda aus gesehen. Die Mehrheit der Partei scheint dem Beitrittsgedanken nicht abgeneigt, besteht aber als erstes auf Einberufung einer Commonwealth- Konferenz, wie der kanadische Pre-

mierminister Diefenbaker sie vorge- schlagen und dessen australischer Kol- lege Menzies sie abgelehnt hat, die alle Aspekte des Problems griindlich zu beraten und dann der britischen Regierung sozusagen die Marschroute zu geben hatte. Andere, in jedenfalls erheblicher Zahl, sind in ihrer ab- lehnenden Haltung kaum von den Erz- konservativen zu unterscheiden, denen jede dauernde Verquickung britischer mit kontinentalen Angelegenheiten —

so auch militarische Bfindnisse in Friedeiiszeiten — gegen den Strich geht; wobei es den sozialistischen Gegnern der EWG-Partnerschaft, so- viel sie auch von der Wahrung der britischen Souveranitat und Unab- hangigkeit und den Interessen des Commonwealth reden, vor allem wohl darum zu tun ist, wie sich ein Beitritt zur EWG auf die britische Industrie, genauer gesagt auf Beschaftigung, Lohne, Preise und Arbeitstempo, und allgemein auf die wohlfahrtsstaatlichen Errungenschaften auswirken konnte.

Mit halben Mittein — zu halber Tat?

Noch unfibersichtlicher ist das Ver- haltnis der Pro- und Kontrastimmen im konservativen Lager, wo Partei- disziplin und personliche Loyalitat gegenfiber dem Chef der Regierung eine erhebliche Rolle spielen. Zwar ist Harold Macmillans Prestige nicht mehr so groB wie an jenem Februartag, als er, seine weifie Lammfellmfitze tief in die Stirn gezogen, dem von Moskau gekommenen Flugzeug entstieg, fest fiberzeugt und die Uberzeugung ver- breitend, daB seine RuBlandfahrt den Weg zu einer west-dstlichen Entspan- nung eroffnet habe; aber seine Autori- tat war bisher immer noch stark ge- nug, um die Partei bei der Stange zu halten und eine ernste Revolte, wie sie sich besonders fiber die afri- kanische Politik des Kolonialmini- steriums abzuzeichnen begann, zu ver- hindern. Immerhin ist es bezeichnend, daB der P. M. jetzt auch von sonst durchaus regierungstreuer Seite schar- fer Kritik unterzogen wird; nicht bloB wegen seiner geplanten Preisgabe lebenswichtiger britischer Positionen und seiner angeblichen Untreue ge- geniiber den Gliedern des Commonwealth, die in guten und ublen Tagen stets zum Mutterland gehalten hat- ten — auch Verpflichtungen gegenfiber der EFTA werden in diesem Zusam- menhang erwahnt —, sondern auch wegen des geraden Gegenteils, nam- lich wegen seines Zogerns, aus fiber- triebener Rficksicht auf gar nicht so wichtige Interessen GroBbritanniens und des Commonwealth die dringend notwendige Bindung an die EWG her- zustellen. So wirft der ,.Daily Telegraph" die Frage auf, ob Macmillans Verzogerungstaktik das beste Mittel sei. um den Zweck, den er verfolge, zu erreichen. Niemand konne mit Sicherheit den Erfolg oder MiBerfolg von Verhandlungen voraussagen; um sich da Klarheit zu verschaffen, miisse man eben mit dem Verhandeln begin- nen und dann weitersehen, wie sich die Dinge entwickeln. Die Zeit arbeite nicht notwendigerweise fur Macmillan, denn nicht spater als 1964 werde ein neues Parlament zu wahlen sein, und wenn der Beitritt zur EWG etwa erst

1963 erfolge, werde der Wahlkampf aller Voraussicht nach nicht durch die erhofften segensreichen Auswirkungen dieses Anschlusses entschieden werden, sondern durch die im Zuge der Anpassung und Neuorientierung un- vermeidbaren Schwierigkeiten, die zum Teil recht schmerzlich sein wurden.

Solche Mahnungen dfirfte der Premierminister kaum notig haben. Er hat den letztmoglichen Termin der nach- sten allgemeinen Wahlen bestimmt nicht aus den Augen verloren, und er weifi wahrscheinlich besser als die meisten der Kritiker, die sein schein- bares Zaudern verurteilen, daB nicht nur der kfinftige Wahlausgang un- gunstig beeinflufit werden kann, sondern auch die Aufnahmebedingungen des „Klubs der Sechs" immer drucken- der werden, je spater der Beitritt — wenn fiberhaupt — zustande kommt.

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