6781687-1969_46_01.jpg
Digital In Arbeit

Demnächst in Brüssel

Werbung
Werbung
Werbung

Das erste Ziel des neuen Chefs des deutschen Außenamts war Paris. Das zweite Ziel bereits war Brüssel. Bei seinem Kollegen Schumann tastete Scheel die Stimmung Frankreichs zur Linkskoalition in Bonn ab und erkundigte sith nach der Haltung Frankreichs in den kommenden EWG-Runden.

Und in Brüssel versuchte sich der neue deutsche Außenminister als Weichensteller für die Gipfeltagung der EWG.

Denn die Zukunft der europäischen Integration ist schlechthin zur Entscheidungsfrage für Kerneuropa gereift. Und an ihr wird auch das Duo von Brandt und Scheel im nichtdeutschen Europa gemessen werden. Ah Meinungen der beiden neuen Regierenden in Bonn fehlte es im Wahlkampf um den Bundestag nicht. Brandts Ziel war immer auf die Erweiterung der EWG gerichtet, wobei ihm als Primärzahl eine Aufnahme Englands in die Gemeinschaft vor Augen stand. Aber auch für rasche Verhandlungen mit allen Beitrittswilligen und all jenen, die Vereinbarungen spezieller Art wünschen, wollte der SPD-Chef eintreten. Unter dieser Gruppe liegt auch Österreich. Und Brandt hat Wien schon immer wieder versichert, seinen Einfluß für diese Wünsche geltend machen zu wollen.

Diese rasche Erweiterung der EWG freilich hat nicht nur zu de Gaulles Zeiten Vetos aus Paris ausgelöst. Auch heute ist man an der Seine pessimistischer und zurückhaltender als jenseits des Rheins. Und die Zustimmung Pompidous zu Verhandlungen mit England und den übrigen Beitrittswilligen (die wahrscheinlich auf der Gipfeltagung anfangs Dezember erfolgen wird) bedeutet noch keineswegs eine Realisierung des größeren Europamarktes.

Dazu kommt die Haltung Moskaus. Man ist im Kreml nie über das Trauma des großen Wirtschaftsblocks westlich des Eisernen Vorhangs hinweggekommen. Und man hat seine Meinung nicht geändert, daß die EWG ein kapitalistischer Block sei, der den freien Handel zwischen West und Ost bedrohe und im übrigen von Deutschland dominiert sei. Und auch die zaghaften Klopfzeichen einiger kleiner Ostblockstaaten — wie vor allem etwa Ungarns — an den Türen der EWG in Brüssel sind nach dem Prager Eisstoß wieder unhörbar geworden.

Und so scheint es nicht undenkbar, daß Moskau auch von den neuen Herren in Bonn einen Preis für bessere Beziehungen in bezug zur EWG fordern wird. Moskaus Meinung, daß die EWG genauso Wie die NATO Requisiten des kalten Krieges seien, die die neue Regierung als Vorleistung möglichst liquidieren soll, stehlt in zahlreichen Dokumenten aus jüngster Zeit.

Um so schwieriger sind die Prognosen für die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes. Für Österreich jedenfalls wird die Gipfeltagung Klarheit schaffen, ob man in Brüssel zuerst einmal mit England und den Ansuchern um Vollmitgliedschaft oder bereits gleichzeitig mit den Ländern verhandeln will, die Sonderregelungen wünschen.

Österreichs Diplomaten haben in den letzten Monaten ihr Hauptaugenmerk nicht sosehr auf die Brüsseler Zentrale der EWG gerichtet, sondern vielmehr auf die Hauptstädte der EWG. Denn dort liegen

gewisse Schlüssel zum Spezialproblem der österreichischen Sonderregelung. Das italienische Veto ist noch nicht formell auf gehoben; eine positive Südtirolregelung und eine ernsthafte Versicherung Wiens, auch zukünftige Terroristen (die jetzt endgültig ihre Felle davonschwimmen sehen könnten) schärfer anzupacken, könnte freilich die italienische Regierung zu einem neuen Kurs bewegen.

Für Frankreich stellt sich das Problem Österreich nicht mehr so grundsätzlich wie noch unter de Gaulle. Wird einmal mit England und anderen EFTA-Staaten verhandelt, dann kann man ohne Verletzung eines Präjudizes auch über Österreichs Wünsche reden.

Und schließlich ist auch die Sowjetunion nicht mehr so leicht mit Neutralitätsargumenten bei der Hand, wenn deutlich unterstrichen werden kann, daß wir weder Mitgliedschaft noch Assoziierung anstreben.

Bleibt die, innerösterreichische Frage offen: Was wollen wir konkret in einer Sondervereinbarung haben? Und wer soll am meisten davon profitieren?

Spätestens mit der Aufwertung der D-Mark ist auch dem Dardischuitts- österreicher klargeworden, daß die zu einseitige Bindung an Importe aus einem EWG-Land Nachteile bringt. Und was schon die bisherigen Zollmaßnahmen im Rahmen der EFTA bewirkt haben, wird sich nunmehr weiter verstärken: die noch stärkere Hinwendung im Import zu Handelspartnern in der EFTA.

Österreichs Taktik bei der EWG liegt auf der Hand. Verhandlungen könnten folgende Möglichkeiten zum Inhalt haben:

• Eine Varziehung der Kennedy- Runde. Sie würde vor allem dem industriell-gewerblichen Sektor Vorteile bringen (nicht der Landwirtschaft), wenngleich fraglich ist, ob die EWG dazu bereit ist und ob nicht etwa eine gemeinsame Initiative aller EFTA-Staaten zweckdienlich wäre.

• Konkrete Zollverhiandlumgen über einzelne Warengruppen, die im Rahmen des GATT vor allem in jenen Bereichen spürbar wären, in denen wir gegenüber der EWG als Exporteure äuftreten.

• Eine dritte — und sehr realistische Möglichkeit — bestünde im Abschluß eines Präferenzvertrages mit linearer Zollsenkung. Diese Variante stammt vom neuen Bundeskanzler Brandt und wird als Brandt-Plan in den Verhandlungszimmern der Technokraten in Brüssel offeriert. Sie würde einen echten Schritt in Richtung Integration bedeuten und auf dem industriellen Sektor für Österreich günstig sein. Für die Landwirtschaft müßten Varianten geschaffen werden. Selektive Zollsenkungen (wie sie seinerzeit von Frankreich ventiliert wurden) scheinen erheblich weniger wünschenswert, weil die Entscheidung, wer in den Genuß von Vorteilen kommt, weder in der EWG noch in Österreich allzu einfach getroffen werden kann.

Immerhin: der Ballhausplatz hat bisher einige Vorarbeit geleistet, um der Gipfelkonferenz der EWG gerüstet entgegensehen zu können. Und er hat auch Vorarbeit geleistet, um den Optimismus im eigenen Land zu dämpfen. Denn Optimismus ist fehl am Platz; was nicht heißt, daß wir nicht trotzdem hoffen dürfen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung