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Warten auf den 30. Juni

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„Die Außenminister des Gemeinsamen Marktes haben am 12. Mai 1970 offiziell beschlossen, die Regierungen Großbritanniens, Irlands, Dänemarks und Norwegens zum 30. Juni nach Luxemburg zur feierlichen Eröffnung von Beitrittsverhandlungen schriftlich einzuladen.“ Dies der offizielle Wortlaut eines Kommuniquees, der zwar den Beginn einer neuen Ära und einer Erweiterung der Gemeinschaft der Sechs bedeuten könnte, der aber gleichzeitig auch ein Schritt auf das Ende der EFTA zu sein könnte. Wenn nach sieben Jahren erstmals die Außenminister der zehn Länder im kleinsten Migliedsland der EWG am gemeinsamen Verhandlungstisch sitzen werden, dann werden sich unter ihnen drei Vertreter von Regierungen befinden, die am 3. Mai 1960, also vor rund zehn Jahren, das EFTA-Übereinkommen ratifiziert haben.

Man hat in Kreisen der EFTA nie einen Hehl daraus gemacht, daß diese Union nur eine der möglichen Brücken und Übergangslösungen zu einem vereinten Europa sein könne. Allerdings könnte ein Arrangement, beziehungsweise ein Vertragsabschluß Norwegens, Dänemarks und Großbritanniens mit der EWG, und damit sicherlich ein Erlahmen des Interesses dieser Staaten an der EFTA, für die übrigen Partner der Zollvereinigung für Österreich, als für die Schweiz und für Portugal, neue Probleme mit sich bringen. Hat es Portugal noch relativ leicht, so ist für Österreich und die Schweiz die Vollmitgliedschaft bei der EWG unmöglich, da dies Konsequenzen hätte, die den Neutralitätsstatus beider Länder verletzen könnten. Österreich hat daher bereits seit Jahren und wiederholt sein Streben nach einem Sonderarrangement in Brüssel angemeldet und aus dem Rat der Sechs stets mehr oder minder ermutigende Versprechungen erhalten. Nachdem die italienische Regierung das einst von Italiens ExAußenminister und nunmehrigem Senatspräsidenten Fanfani ausgesprochene Vetorecht aufgehoben hat, stünde dem Abschluß eines Arrange-mentes mit der EWG zumindestens theoretisch nichts mehr im Wege. War der Alleinregierung der ÖVP von Seiten der Opposition, und hier vor allem von Seiten der Soziaiistischen Partei, bei der Behandlung der EWG-Frage immer wieder übertriebener Optimismus vorgeworfen worden, so zeigte sich der neue Bundeskanzler nach seinem Besuch beim SPD-Parteitag in Saarbrücken hinsichtlich der Äußerungen seines Partei- und Amtskollegen Brandt zu Österreichs EWG-Problemen ebenfalls von der optimistischen Seite. Vor zehn Jahren, als man am 3. Mai 1960 die EFTA als europäische Freihandelsassoziation in Kraft hatte treten lassen, bezweckte man damit die Schaffung eines freien Marktes für Industriegüter der ursprünglich sieben Mitgliedstaaten. Schon damals allerdings hieß es in der offiziellen Erklärung: „Das EFTA-Übereinkommen zielt ferner auf die Errichtung eines großen europäischen Marktes, der sowohl die EFTA wie die Mitglieder der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft umfassen soll.“ Daß allerdings eine solche gesamteuropäische Übereinkunft Jahrzehnte auf sich warten lassen werde, hat man damals nicht voraussehen können. Wohl hat die EFTA in ihrem eigenen Bereich vor über drei Jahren die Freihandelsbedingungen verwirklicht, ihr zweites Ziel hat sie aber bis jetzt nicht erreicht. Daß daran weniger die in Genf ansässige EFTA als ihr stärkerer Bruder, die EWG, die Schuld trage, glaubt man aus der offiziellen Information zum zehnjährigen Jubiläum herauszuhören, wenn es dort heißt: „Ihr zweites Ziel hat die EFTA bis jetzt nicht erreicht, obwohl von den einzelnen EFTA-Ländern wie von der gesamten Assoziation zahlreiche Versuche dazu unternommen wurden.“

Daß nunmehr im Juni, knapp vor den Sommerferien, „offiziell und feierlich“ die Gespräche mit einzelnen EFTA-Staaten eröffnet werden sollen, führt man darauf zurück, daß die EWG, trotz vielfacher Anstrengungen, verschiedene Wirtschaftsprobleme der Mitgliedsländer und der Gemeinschaft bis heute nicht bewältigen konnte.

Aber trotz einzelner unerfreulicher Entwicklungen ist man eben in der Gemeinschaft der Sechs überraschend schnell vorwärtsgekommen. Manche meinen, gerade deswegen.

Nunmehr wurde festgelegt, daß die Verhandlungsführung beim EWG-Ministerrat liegen solle, und zwar auf allen Ebenen. Der europäischen Kommission hat man hiebei eine Sprecherrolle am Verhandlungstisch zugebilligt.

Einig ist man auch bereits über den Abstimmungsmodus in einer erweiterten europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. So sollen Großbritannien, Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland und Italien zehn Stimmen im Ministerrat haben, so werden Belgien und die Niederlande über fünf Stimmen, Norwegen,Dänemark und Irland über drei, und Luxemburg schließlich über zwei Stimmen verfügen. Auch in Hinkunft wird es also eine Sperrminorität geben: Entscheidungen im Ministerrat würden nämlich eine qualifizierte Mehrheit von 43 Stimmen erfordern.

Damit ist man zweifellos den potentiellen neuen Mitgliedern schon entgegengekommen. Denn mit 19 Stimmen, über die sie dann verfügen würden, könnten sie die Entscheidungen des Ministerrates jederzeit zu Fall bringen.

Genau zehn Jahre nach dem Abschluß der EFTA-Vereinbarung scheint es also nun doch zu einer großen europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu kommen. Für Österreich wird es von Bedeutung sein, wie schnell und in welcher Form ein Arrangement mit der Wirtschaftsgemeinschaft zustande kommt. Denn daß eine erweiterte EWG die erste Geige im gesamteuropäischen Wirtschaftskonzert spielen wird, daran zweifelt man nirgends. Für Österreich mit seinem nach wie vor EWG-orientierten Handel bleibt ein solches Arrangement eine Existenzfrage.

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