6673466-1961_10_16.jpg
Digital In Arbeit

Brückenschlag EWG — EFTA?

Werbung
Werbung
Werbung

Der Gedanke einer wirtschaftlichen Integration Westeuropas hat in den letzten Jahren in allen Staaten an Anhängerschaft gewonnen. Mit der Bildung zweier Wirtschaftsvereinigungen, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und später der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), ist eine Situation ein- getreten, die vielen mit der Materie nicht ganz vertrauten Beobachtern nicht nur als eine Spaltung Europas, sondern sogar als Hemmnis auf dem Weg zur gesamteuropäischen Integration erscheinen mag. Wer die Präambel zur EFTA aber genau kennt und wer die Bemühungen vor allem von Wirtschafttreibenden im EFTA- Raum und im EWG-Raum mit Sorgfalt studiert, der wird wissen, daß diese Bemühungen um die gesamteuropäische Integration keineswegs zum Stillstand gekommen sind, sondern intensiviert wurden.

Die Zugehörigkeit der Sechs zur EWG und der Sieben zur EFTA ist keineswegs das Ergebnis eines Zufalls, wenn auch zugegeben werden muß, daß der Beitritt zur EFTA für manche Staaten, wie zum Beispiel Österreich, Schweden und die Schweiz, aus der Situation mitbeeinflußt wurde, die nach Bildung der EWG und dem Scheitern des Gedankens einer Europäischen Freihandelszone entstanden war. Aber darüber hinaus liegt es auch im Wesen der Politik neutraler Staaten, wie der eben genannten, einer lose und rein wirtschaftlich ausgerichteten Verbindung, wie sie eben die EFTA darstellt, gegenüber einer straffen Organisation, wie der EWG, den Vorzug zu geben, bei welcher auch politische Bindungen und politische Ziele zu vermuten waren und, wie die Entwicklung des Jahres 1960 und der ersten Monate des laufenden Jahres gezeigt hat, auch stärker in den Vordergrund zu treten beginnen.

Für Österreich freilich war und ist es immer, trotz des Entschlusses, der EFTA beizutreten, eine Lebensfrage, auf den Märkten der EWG nicht diskriminiert oder gar von diesen Märkten isoliert zu werden. Infolge der starken Außenhandelsabhängigkeit vom EWG-Raum wäre eine Isolierung Österreichs eine Gefahr, der mit allen Mitteln begegnet werden muß. Nach wie vor hoffen wir, daß es im Rahmen der EFTA gelingen wird, für alle EFTA-Staaten, insbesondere aber für Österreich, den Weg zu finden, der die Diskriminierung vor allem auf dem Zollsektor jener europäischen Staaten, die nicht der EWG angehören, auf den EWG-Märkten vermeiden oder zumindest so weit vermindern läßt, daß keine fühlbaren Schäden für den österreichischen Export entstehen.

Daß die Schaffung eines integrierten europäischen Wirtschaftsraumes nicht nur ein theoretisches Ziel, sondern ein echtes Anliegen der EFTA ist, wurde anläßlich zahlreicher Versuche, zu einem Brückenschlag zu gelangen, wiederholt bewiesen. Österreichs Staat und Wirtschaft vertreten konsequent die Ansicht, daß sich die europäische Wirtschaft auf lange Sicht gegenüber den anderen mächtigen Wirtschaftsblöcken, wie sie etwa Amerika und die Sowjetunion mit ihren Partnern darstellen und wie sie letztlich auch in den heute noch in Entwicklung befindlichen Gebieten Afrikas und Asiens gegeben sind, nur dann wird durchsetzen können, wenn sie- in einem -großen Raum arbeiten und sich entfalten kann. Schon heute sieht man, daß sich die Wirtschaft der „Sechs”, welche der EWG angehören, in einer raschen, dynamischen Entwicklung befindet. Allerdings wird diese Entwicklung auch von einer allgemeinen europäischen Konjunktur begünstigt. Die Schatten der Rezession in Amerika waren auf den europäischen Märkten bisher nur wenig zu spüren.

Auch der Zusammenschluß der „Sieben” zur EFTA hat schon, und zwar schon vor Inkrafttreten der ersten Zollsenkung, bewirkt, daß sich der Außenhandel der „Sieben” untereinander rascher entwickelt hat als der Außenhandel jedes einzelnen der sieben Partner mit der übrigen Welt, und er hat auch bewirkt, daß sich, wenn auch in bescheidenerem Umfang als in der EWG, gewisse dynamische Entwicklungen angebahnt haben. Dazu gehören etwa die forcierten Bemühungen der einzelnen Volkswirtschaften um Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit, Produktionsumstellungen zur besseren Anpassung an die neuen Marktgegebenheiten und vermehrte Absatzwerbung in den betreffenden Ländern.

Schließlich darf eine weitere, sehr wichtige Folge des EFTA-Zusammenschlusses nicht außer acht bleiben: die EWG-Staaten beginnen bereits, die Länder des EFTA-Bundes nicht mehr als einzelne Handelspartner mit wirtschaftlich relativ geringer Bedeutung zu betrachten, sie ziehen vielmehr bei ihrer gemeinsamen „Außenpolitik” die EFTA als Ganzes ins Kalkül. Es liegt natürlich auf der Hand, daß eine Verbindung von sieben Staaten als Verhandlungspartner für künftige Integrationsgespräche stärkere Argumente auf wirtschaftspolitischem Gebiet bietet, als sie ein einzelner europäischer Kleinstaat für sich in Gesprächen mit der EWG bieten könnte.

Der Markt der 90 Millionen Einwohner (EFTA mit den kaufkräftigen Gebieten Englands und Skandinaviens) ist auch für den Außenhandel des Marktes der 200 (EWG) attraktiver als die bloße Summierung des Kaufkraftpotentials jedes einzelnen der „Sieben”.

In der gegenwärtigen Phase der wirtschaftlichen Entwicklung Europas sind nun die realen Möglichkeiten für einen Brückenschlag zwischen EWG und EFTA durchaus noch nicht abzusehen. Eine gesamteuropäische Integration kann in den verschiedensten Formen angebahnt und angestrebt werden. Wahrscheinlich dürfte eine solche wirtschaftliche Einigung Europas nur aus konkreten Gesprächen zwischen EFTA und EWG hervorgehen. Die meisten EWG-Partner sind inzwischen übrigens auch zu der Auffassung gelangt, daß die Zeit zu einem Zustandekommen eines gesamteuropäischen Marktes drängt und daß eine weiterhin starre Ausrichtung der europäischen Staaten auf EWG einerseits und EFTA anderseits die große Gefahr einer später unüberbrückbaren Aufspaltung in sich birgt. So läßt beispielsweise der deutsche Wirtschaftsminister, Professor Erhard, kaum eine Gelegenheit vorübergehen, immer wieder die Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Integration zu betonen. Er verweist auch immer wieder in aller Klarheit darauf, daß an der Wiege der Rom-Verträge an keinerlei Beschränkung der europäischen Integration gedacht worden ist. Der neueste Plan von Staatssekretär Professor Müller-Armack nach der Schaffung eines gemeinsamen Außenzolltarifs der „Sechs” und der „Sieben” als Dach, unter welchem die sukzessive Beseitigung aller Zollschranken zwischen der EWG und den „Sieben” vor sich gehen soll, ist der aktuellste Vorschlag zur europäischen Integration.

Angesichts dieser Tatsache drängt sich zweifellos die Frage auf, warum — da man sich über die Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Integration sowohl in EFTA- als auch in EWG- Kreisen einig ist — noch keine echte Lösung dieses Problems gefunden werden konnte. Bei genauer Abwägung aller bisherigen Versuche um Brückenschlag und bei Betrachtung der Hindernisse, die sich dagegenstellen, kommt man zu dem Schluß, daß vorläufig in den Reihen der EWG auch noch gewichtige Gegenstimmen auftreten. Vor allem Frankreich betrachtet eine Annäherung des Gemeinsamen Marktes und der Freihandelszone als eine Verwässerung des EWG-Gedankens, der, nach französischer Auffassung, nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Akzente hat.

Österreich nimmt nun im europäischen Integrationskonzert eine besondere Position ein. Die Wirtschaft unseres Landes ist — wie die Außenhandelsstatistik deutlich zeigt — stark auf den Warenaustausch mit der Deutschen Bundesrepublik ausgerichtet. Es wäre unrealistisch, den Versuch zu unternehmen, die Handelsrelationen zu Deutschland nach und nach stark zu reduzieren und den äquivalenten Ausgleich dafür auf den EFTA-Märkten zu finden. Eine weitere Auseinanderentwicklung der EWG- und EFTA- Länder würde aber gerade unseren Export nach Deutschland treffen, allerdings wahrscheinlich auch bis zu einem gewissen Grad eine Verminderung der Bezüge Österreichs aus Deutschland herbeiführen. Die starke Verflechtung unseres Außenhandels mit der EWG, bei Export und Import mehr als 50 Prozent, spielt gerade unserem Land die Rolle zu, die Bemühungen um einen Brückenschlag unter der Voraussetzung der gleichberechtigten Partnerschaft niemals erlahmen zu lassen. Österreich hat demnach zu seiner traditionellen Aufgabe, Mittler zwischen Ost und West zu sein, eine neue Funktion erhalten: unser Land muß Wege suchen, um die zur Zeit wachsenden Gegensätze zwischen EFTA und EWG auf wirtschaftlicher Ebene zu überbrücken und die endgültige Wirtschaftsintegration Europas anzubahnen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung