6695937-1963_07_06.jpg
Digital In Arbeit

Bern läßt sich Zeit

Werbung
Werbung
Werbung

Das Veto General de Gaulles gegen die Aufnahme Großbritanniens ir die EWG hat unter der Kuppel des Berner Bundeshauses wohl Über' raschung und Enttäuschung, aber nich

Konsternation und Erbitterung ausgelöst. Die zuständigen Stellen des Wirtschaftsministeriums (Volkswirtschaftsdepartement) und des Außenministeriums (Politisches Departement)

sind recht wortkarg und üben nach außen äußerste Zurückhaltung in der Kommentierung des Geschehenen. Über das, was nun vorgekehrt werden soll, hüllen sie sich gänzlich in Schweigen. Die einzige Verlautbarung der Landesregierung bildet bisher eine Erklärung, die der Chef des Politischen Departements, Bundesrat Wahlen, Mitte Jänner den im Bundeshaus akkreditierten Journalisten abgab und die sich fast ängstlich vor Wertungen oder gar Zensuren hütete. Immerhin konnte der schweizerische Außenminister schon damals — es war noch vor dem endgültigen Zusammenbruch der Brüsseler Verhandlungen mit Großbritannien — die Bemerkung nicht unterdrücken, die Landesregierung befürchte vom Brüsseler Fiasko negative Auswirkungen von großer Tragweite auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Europa. Er legte indes das Hauptgewicht seiner Ausführungen auf die Mahnung, alle Wirtschaftspartner des Landes sollten nun die ihnen zumutbaren Opfer bringen, um die überhitzte Konjunktur dämpfen zu helfen, denn diese beruhe weitgehend auf sandigen Grundlagen und sei daher kaum in der Lage, die Schwierigkeiten zu überstehen, welche von einer Verlängerung und Vertiefung der wirtschaftlichen Spaltung Europas zu gewärtigen seien.

Französische Festwochen in Zürich

Es ist ein merkwürdiger Zufall, daß ausgerechnet am Tage nach dem Brüsseler Fiasko großaufgezogene Festwochen in Zürich eröffnet wurden, die den Hauptzweck verfolgen, die französischen Produkte in der Schweiz zu propagieren. Daß die Festplatte, die dem Eidgenossen das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen soll, mit vielen guten Worten über die Vertiefung der freundnachbarlichen Kontakte garniert war, gehörte natürlich schon der guten Stimmung wegen dazu. Den Mann von der Straße hat allerdings das Zusammentreffen dieser Festtage mit dem Brüsseler Veto, das mancher Eidgenosse auch als Ohrfeige an die schweizerische Adresse empfindet, eher peinlich berührt. Er wurde in diesem unterschwelligen Gefühl noch bestärkt, als er in seinem Leibblatt von einer auf dem Programm nicht vorgesehenen Ansprache las, die der schweizerische Volkswirtschaftsminister beim Zürcher Festbankett hielt. Bundesrat Schaffner rief nämlich bei dieser Gelegenheit die Tatsache in Erinnerung, daß sich die französischschweizerische Handelsbilanz, die ja seit langem für die Schweiz passiv ist, immer noch mehr zuungunsten des Kleineren verschoben hat. Herr Schaffner rechnete den gastgebenden französischen Gästen maliziös vor, daß im letzten Jahr die Schweiz pro Kopf der Bevölkerung ihrem westlichen Nachbarn für weit mehr als 300 Franken Ware abgenommen hat, das heißt dreimal mehr als der Deutsche und sechsmal mehr als der Italiener. Dafür behindert Frankreich anderseits in oft kleinlicher Weise die Einfuhr aus der Schweiz. So hat Paris vor wenigen Wochen unversehens die traditionellen Äpfelimporte aus dem Nachbarland abgestoppt und damit Wirtschaft und Behörden Helvetiens in Verlegenheit gestürzt. Ähnliche Erfahrungen haben die Schweizer auf anderen Sektoren mit ihrem Nachbarn machen müssen, so daß vor einiger Zeit, als über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge zu entscheiden war, in erregten Diskussionen vom Bundesrat verlangt wurde, er solle;.•nirltei'wsie-i

..Mirage',/sondern den gleichwertigen EFTA-schwedischen „Draken“ kaufen. Es ist aber bezeichnend, daß sich die Landesregierung dadurch nicht beeindrucken ließ, sondern sich für den Mirage entschloß. Gefühle haben in der Politik des Bundesrates kein Mitspracherecht. „Klugheit“ und „Nüchternheit“ werden im Bundesratszimmer ganz groß geschrieben, zumal, wenn außenpolitische Aspekte im Spiel sind.

Gesucht: ein neues Integrationskonzept

Die Zurückhaltung des Bundeshauses, die in einem gewissen Gegensatz zum Informationshunger der Öffentlichkeit steht, hat natürlich ihre guten Gründe. Das Volk, das bisher die Integrationsfragen als reichlich kompliziert und undurchsichtig empfand und daher dem ganzen Fragenkomplex gegenüber sich eher gleichgültig zeigte, beginnt nun zu merken, daß es hier „ans Lebendige geht“, und erwartet daher mit einiger Spannung die Antwort auf die Frage: Was gedenkt der Bundesrat zu tun? Dieser gedenkt aber lieber zuwenig als zuviel zu tun. Nur keine Hast — das ist im Augenblick die Parole. Nur keine präjudizieren-den Initiativen in einem Zeitpunkt, in dem man noch im Nebel tappt: Was jetzt not tut, ist nach Meinung der Landesregierung eine gewisse schöpferische Pause, in der es gilt, ein möglichst klares Bild der neuen Situation zu gewinnen, weil dieses realistische Bild ein notwendiges Element für die Ausarbeitung der künftigen Strategie ist. Zu diesem realistischen Bild gehört aber nicht nur die eigene, schweizerische Lagebeurteilung, sondern ebenso die genaue Kenntnis dessen, was die EFTA-Part-ner der Schweiz von der Situation und den möglichen Auswegen aus ihr halten.

Es ist im übrigen typisch für den schweizerischen Regierungsstil, daß man bemüht ist, nicht nur die negative Seite der Medaille zu beschauen, sondern der Situation auch das Gute abzugewinnen. Und das Gute findet man darin, daß die Brüsseler Verhandlungen jedenfalls keinen Anlaß geboten haben, die EFTA-Solidarität Großbritanniens in Zweifel zu ziehen. Damit sand wir beim Kern- und Stichwort der nun fälligen Beratungen über die künftige Strategie: Sollen die EFTA-Staaten alle auf eigene Faust zu einem Arrangement mit der EWG zu gelangen versuchen, oder sollen sie umgekehrt ihr gemeinsames Instrument, die EFTA, stärken, um dann der EWG als geschlossener, stärker gewordener Partner gegenüberzutreten und mit ihr „auf gleichem Fuß“ zu verhandeln?

Rette sich, wer kann?

Man schweigt sich, wie gesagt, im Bundeshaus geflissentlich darüber aus, ob der im Falle Großbritanniens zum Mißerfolg verurteilte bilaterale Weg weiter beschritten werden soll oder ob man nicht durch konsequent multilaterale Methoden eher zum Ziel zu gelangen hofft. In der Öffentlichkeit dagegen scheint sich zwar langsam aber sicher die Auffassung durchzusetzen, daß die Schweiz und ihre Partner im Alleingang auf die Dauer schlechter abschneiden würden als viribus unitis. Die Ohnmacht, zu der sich gerade die kleinen EWG-Staaten und selbst Italien jetzt verurteilt sahen, bleibt nicht ohne nachhaltigen Eindruck auf die Schweizer, die bei aller Sympathie zu Frankreich und seiner Eigenart sich vor der Unberechenbarkeit und den autoritären Methoden des gaullistischen Nachbarn zu fürchten beginnen. „Wie würde man erst mit uns kleinen Kusch-Schweizern verfahren ...“, so hört man jetzt oft den Mann der Straße sagen. Er hat wohl so unrecht nicht, wenn er einen gewissen Optimismus, der nach der Begründung des schweizerischen Assoziationsgesuches in Brüssel berechtigt schien, wieder über Bord wirft. Wenn schon das starke England, an dessen großzügige Asylpolitik gerade gegenüber de Gaulle sich viele Eidgenossen jetzt wieder erinnern, so gedemütigt, und wenn seine Freunde in der EWG so schonungslos brüskiert werden, wie sollte dann die Schweiz mit ihrer Neutralität und ihren Sonderwünschen, die sich aus ihrer direkten Demokratie ergeben, auf Wohlwollen zählen können? Man ist geneigt, diese Frage, der man bisher lieber auswich, nun klar zu verneinen.

Die-EF^rA .stärken!« .sbitw .gnehsv Aus-'■dieser Betrachtungsweise-folgt lö'gftcherweise d4t 'Schluß: Keine schweizerischen Sonderzüglein nach Brüssel, nach dem bekannten Rezept „Sauve qui peut“! Daher hat auch die kühle Reaktion Dänemarks auf den Köder, den Paris diesem EFTA-Mit-glied aus durchsichtigen Gründen hingehalten hat, in Helvetien beruhigend gewirkt. Die öffentliche Meinung in der Schweiz empfindet nämlich heute so etwas wie eine Solidaritätspflicht gegenüber den Briten, die sich in Brüssel weder durch Peitsche noch mit Zuckerbrot dazu verleiten ließen, das ihren EFTA-Partnern gegebene Wort zu verletzen; bekanntlich hat London sich verpflichtet, einen Beitritt zur EWG nur unter der Bedingung zu vollziehen, daß diese seinen EFTA-Partnern die Tür zu zumutbaren Bedingungen ebenfalls offenhält. An dieses Versprechen sind nach schweizerischer Auffassung umgekehrt auch Englands Partner gegenüber den Briten gebunden. Das ist ein Grund mehr, weshalb in Pressestimmen mit wachsendem zeitlichen Abstand vom Brüsseler Fiasko, wenn auch einstweilen noch mehr in Hypothesenform die Frage aufgeworfen wird, ob nun das Heil nicht in einer Stärkung und Ausweitung der EFTA gesucht werden müsse. Dabei spekuliert man offenbar auf einen Gesinnungswandel Präsident Kennedys, der wohl seine bisherige einseitige EWG-freundliche und ausgesprochen EFTA-feindliche Haltung nach den Brüsseler Erfahrungen revidieren dürfte — schon mit Rücksicht auf die junge, noch pflegebedürftige Partnerschaft mit Macmillan.

Zweck derartiger Spekulationen ist allerdings keineswegs etwa die Absicht, zu einer Kraftmeierpolitik gegenüber der EWG überzugehen. Es geht im Gegenteil nach wie vor darum, mit ihr zu einem beiden Seiten zumutbaren Arrangement zu gelangen, das aber auf nüchternen Tatsachen und Kräfteverhältnissen basieren muß.

„Ntrme nit g'sprSngt!“

Gerade aus diesem Grund hält man aber auch in der öffentlichen Diskussion dafür, nichts zu überstürzen und zu präiudizieren, sondern sich vielmehr alle Wege offen zu halten. Zweck der Übung ist lediglich eine nüchterne und gründliche Abklärung der Frage, ob eine Ausweitung der EFTA auf das Commonwealth und ob die Zusammenarbeit einer so erweiterten EFTA mit den USA nach dem Rezept der Trade Expansion Act Erfolgschancen hätte und namentlich, ob ein derartiges Konzept Aussicht böte.“ die Folgen der Zolldiskriminierung durch die EWG zu korrigieren und die Ausgangsbasis für ein späteres realistisches Übereinkommen mit dem Gemeinsamen Markt zu schaffen. Diese Perspektiven sind es wohl wert, gründlich erwogen und abgeklärt zu werden. Daß dies nur im EFTA-Rahmen möglich ist und die Verstärkung der Zusammenarbeit in ihrem Rahmen erfordert, liegt auf der Hand. Die schweizerische Öffentlichkeit sieht daher den Ministerberatungen der EFTA vom 18./19. Februar in Genf mit lebhaftem Interesse entgegen. Ob ein solches Konzept vereinbar wäre mit den Ideen, wie sie der österreichische Handelsminister Bock vertritt, wenn er für ein direktes und rasches Arrangement Österreichs mit de Gaulle und der EWG im Alleingang plädiert, sei lediglich als Frage beigefügt. Man würde in der Schweiz ein solches Vorgehen, das die sich enger knüpfenden Bande zwischen den beiden neutralen

Alpenrepubliken lockern dürfte, mit einigem Bedauern registrieren müssen, hütet sich aber selbstverständlich aus freundnachbarlichen Gründen, laut darüber zu denken. Dies um so mehr, weil man weiß, daß Österreichs Wirtschaftsinteressen von der EWG-Diskriminierung besonders hart betroffen werden. Man sieht auch in Bern ein, daß diesem Umstand Rechnung zu tragen ist, aber man würde es bedauern, wenn es auf Kosten der EFTA-Solidarität geschähe. Bern hält dafür, im Moment sei es nicht vordringlich, Initiativen zu ergreifen, sondern wichtig, sich zu keinen „falschen“ Initiativen verführen zu lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung