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Das Salzburger EWG-Gespräch

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Die Akademische Vereinigung für Außenpolitik an der Universität Innsbruck hat sich um ein erfolgreiches wissenschaftliches Gespräch über die Beziehungen Österreichs zur EWG verdient gemacht, zu welchem sie eine Reihe berufener Sachverständiger der Volkswirtschaft, der Politik und des Völkerrechtes gebeten hatte. In einer dreitägigen Expertise (7. bis 9. November) ver- sammelten sich in Salzburg, auf Einladung des Präsidenten der Vereinigung, Dr. Franz Horak, Universi-

tätsprofessoren, Schriftsteller, Kammerbeamte und aktive Politiker, darunter die zwei Regierungsmitglieder Vizekanzler Pittermann und Handelsminister Bock, um die

Grundfragen und Möglichkeiten eines Arrangements mit der EWG zu erörtern.

Wenn es gelang, die so umstrittenen Probleme einer österreichischen „Integration“ mit der EWG gründlich zu beleuchten, so ist dies besonders dem zu verdanken, daß Volkswirte und Völkerrechtler nicht so wie bei bisherigen Diskussionen aneinander vorbeiredeten, sondern Gelegenheit fanden, den Gesamtbestand der gegebenen Fragen von allen Seiten zu betrachten und voneinander zu lernen. Freilich strebte auch diesmal die Mehrheit der Volkswirte mit größeren Erwartungen und geringeren Hemmungen einer Verbindung mit der EWG zu als die Mehrheit der Völkerrechtler, die die rechtlichen Grenzen der Möglichkeiten einer Vereinigung zu ziehen haben. Nach politischen Anschauungen ergab sich ein Gefälle der EWG-Freundlichkeit von der bürgerlichen Rechten zur sozialistischen Linken, wenn es auch beiderseits keineswegs geschlossene Meinungen gab.

Aufmarsch der Experten

Der volkswirtschaftliche Teil der Diskussionen, die unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. Clemens August Andreae (Innsbruck) stattfanden, wurde mit einem Referat von Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Weber (Wien) eingeleitet. Danach scheint Österreich derzeit die Möglichkeit einer neutralitätskonformen „Assoziierung“ nach Art. 238 des EWG- Vertrages zu haben. Der Inhalt dieses Artikels ist wenig aufschlußreich, und er kann „vom Handelsvertrag + 1 Prozent bis zur Vollmitgliedschaft — 1 Prozent umfassen“. Eine „modifizierte Wirtschaftsunion“ mit dem Kernstück der Zollunion sei als einziger gangbarer Weg vorgeschlagen worden.

Die bisher von der EWG und der EFTA durchgeführten Integrationsmaßnahmen haben, soweit Österreich betroffen ist, noch zu keiner bedeutenden Verschiebung der Handelsströme geführt. Mit dem Fortschreiten der Integration wird die Diskriminierung der österreichischen Exporte allerdings immer stärker werden und wird bei der EWG mit dem völligen Abbau der Binnenzölle ab 1. Jänner 1967 den Höhepunkt erreichen. Eine weitere Liberalisierung des Welthandels unter den Mitgliedern des allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), wie sie in der sogenannten Kennedy-Runde Vorgesehen ist, würde der besonderen Lage Österreichs kaum gerecht. Ein bloßes Handelsabkommen Österreichs mit der EWG bliebe, da es „GATT- konform“ (dem allgemeinen Handels- und Zollabkommen entsprechend), also nicht , diskriminierend sein müßte, unbefriedigend. Eine gleichzeitige Teilnahme Österreichs an der EWG und der EFTA wäre kaum gangbar.

Wirtschaft muß „europareif“ werden

Dr. Otto Zöllner (Arbeiterkammertag, Wien) sagte, der etste und wichtigste Schritt im Zuge der Integrationsbestrebungen habe nicht etwa in Brüssel oder sonst in einer der westeuropäischen Hauptstädte zu erfolgen, sondern im eigenen Land. Die österreichische Volkswirtschaft müsse europareif gemacht werden. Eine möglichst enge Verbindung mit der EWG ist nach dem Vortragenden anzustreben, jedoch erscheint zur Wahrung unserer Beziehungen zum Osten und auch aus konsumpolitischen Erwägungen die Aufrechterhaltung der handelspolitischen Souveränität, auch vom wirtschaftlichen Standpunkt in einem gewissen’ Ausmaß erforderlich. Die Konsumenten werden aus der Integration überwiegende Vorteile haben, vorausgesetzt, daß es gelingt, die Sicherheit der Arbeitsplätze zu gewährleisten. Ein Ansteigen der Verbraucherpreise über wichtige Nahrungsmittel wird aber unvermeidlich sein.

Dp. Wolf gang Schmitz (Bundes- wirtschaftskammer, Wien) sprach sich! für ein Binnenmarktverhältnis zur EWG aus. Ein vertragliches Arrangement mit der EWG müsse den Charakter einer modifizierten Zollunion mit wesentlichen Elementen einer modifizierten Wirtschaftsunion haben. Die Teilnahme an der EWG wird uns nach Überzeugung des Vortragenden zu einem schärferen Leistungswettbewerb und zur Rationalisierung zwingen. Entscheidende Impulse werden von der EWG auf die gesamte österreichische Wirtschaft ausgehen. Der Weg der österreichischen Wirtschaft zum gemeinsamen europäischen Markt wird bei längerfristigen Vorteilen kurzfristige Opfer erfordern; aber auch wenn es zu keiner Vereinbarung mit der EWG kommen sollte, blieben uns diese Opfer nicht erspart.

Prof. Franz Nemschak (Österrei chisches Institut für Wirtschaftsforschung, Wien). Der hauptsächlichste Vorkämpfer für die Integration Österreichs mit der EWG erklärte sich entschieden gegen die Beschränkung auf ein Zoll- und Handelsabkommen mit der EWG, und für eine enge Assoziierung, die einer wirtschafts- und sozialpolitischen Union nahe käme. Wichtiger als die Diskriminierungseffekte schienen ihm der Einfluß des größeren Marktes auf Produktivität, Wirtschaftswachstum, Produktionsstruktur und Wettbewerb. Das Institut für Wirtschaftsforschung kam zu dem Erkenntnis, daß unsere gewerbliche Wirtschaft, wenn Österreich Außenseiter bleibt, am Ende der Übergangsperiode Exporteinbußen in der Höhe von 1,7 bis 2,3 Milliarden

Schilling erleiden würde. Die Ergebnisse der die Untersuchungen über die Folgen des Wegfalles des Zollschutzes bei einem Anschluß an die EWG werden demnächst veröffentlicht.

Die wirtschaftswissenschaftlichen Referate wurden durch einen Vortrag des Bundesministers Dr. Fritz Bock abgeschlossen. Die Beweggründe der Teilnahme Österreichs an den Integrationsbemühungen in Europa liegen, wie der Minister sagte, nicht allein in der drohenden handelspolitischen Diskriminierung, sondern vor allem in der Notwendigkeit eines größeren Lebensraumes für Österreich. Zwischen der EWG im Westen und dem COMECON im Osten müssen wir uns für die ersteren entscheiden. In dem Scheitern der Verhandlungen über einen Eintritt Großbritanniens in die EWG sieht Österreich jedoch keinen Grund, seine Bemühungen um eine Verbindung mit dem Gemeinsamen Markt aufzugeben. Gegenwärtig finden noch nicht offizielle Regierungsverhandlungen statt, sondern nur Vorbesprechungen. Die Notwendigkeiten unserer Neutralität und Souveränität werden wir peinlich beobachten.

Der Vortrag Vizekanzler Doktor Bruno Pittermanns zeichnete sich durch eine große Zurückhaltung aus. Er betonte ¿ie neutralitätspolitischen Vorbehalte als Basis der österreichischen Gespräche in Brüssel, ein Beitritt käme auf keinen Fall in Betracht. Staatsvertrag und Neutralität bedingten, daß Öster-. reich an der wirtschaftlichen Integration nur unter der Voraussetzung der Wahrung seiner Souveränität mitwirken könne, im Einklang mit dem, was mit den anderen neutralen EFTA-Staaten der Schweiz und Schweden besprochen wurde.

An die umfangreichen wirtschaftspolitischen Diskussionen schloß sich ein Referat Universitätsprofessor Ernst-Florian Winters (Wien—New York), das einer tief-

gründigen soziologisch-theoretischen Analyse des Österreich-EWG-Pro- blems gewidmet war, aber auch einige praktische Hinweise enthielt, z. B., daß das Österreich-EWG-Pro- blem im Ausland primär als politisches, in Österreich als wirtschaftliches und völkerrechtliches Problem angesehen werde.

„Duell“ Ermacora—Zemanek

Am Ende folgte unter Leitung Univ.-Prof. Doktor Stefan Verostas (Wien) eine völkerrechtliche Diskussion. Univ.-Prof. Dr. Felix Ermacora (Innsbruck) führte, entgegen sowjetischen Behauptungen, aus, daß das „Anschlußverbot“ des Art. 4 des Staatsvertrages 1955 nicht den Eintritt in die EWG verhindere. Stärker als der Staatsvertrag verankert das Neutralitätsgesetz die dauernde Unabhängigkeit Österreichs. Prof. Ermacora ließ eine Vollmitgliedschaft bei der EWG zu, vorausgesetzt, daß ein Austritt möglich gemacht würde. Aus den Bestimmungen des Neutralitätsgesetzes läßt sich eine wirtschaftliche Neutralität nicht ableiten. Die Art. 223 und 224 des Vertrages von Rom geben die Möglichkeit, außerordentlicher wirtschaftlicher Maßnahmen im Kriegsfall. Univ.-Prof. Dr. Karl Zemanek (Wien) vertrat aber die Ansicht, daß Art. V der Haager Konvention über die Neutralität im Landkriege auch wirtschaftliche Neutralitätspflichten beinhalte. Kein dauernd neutraler Staat dürfe Verbindungen eingehen, die ihn an Erfüllung dieser Verpflichtungen hindern. Die von Prof. Ermacora zitierten Art. 223 und 224 des EWG-Ver trages seien wirkungslos, da Art. 225 die Möglichkeit einer bindenden Entscheidung des gemeinsamen Gerichtshofes der EWG in solchen Fällen vorsehe, die einen neutralen Mitgliedstaat von der Selbstverantwortung beraube. Im ganzen müsse eine Lösung gefunden werden, bei der Österreich an der EWG mitwirken könne, ohne Mehrheitsentscheidungen unterworfen zu sein.

Exakte Unterlagen fehlten

Die volkswirtschaftlichen Sachverständigen haben den Forderungen nach Schaffung eines größeren Wirtschaftsraumes für Österreich und Vermeidung der Diskriminierung durch die EWG in den Vordergrund gestellt und der Hoffnung auf stärkere Impulse für die österreichische Wirtschaft, die von der „Dynamik“ der EWG ausgingen, Ausdruck gegeben. Die Nachteile, die aus einer Assoziation mit der EWG erwachsen würden, blieben nicht unerwähnt. Vermissen mußte man jedoch exakte ziffernmäßige Unterlagen, die eine Bilanz des Pro und Kontra zu ziehen gestatten würden und eine zuverlässigere Basis für den Ausblick in die Zukunft. Jedoch zweifellos ist hier noch ein gutes Stück volkswirt- hier noch ein gutes Stück volkswirtschaftlicher Untersuchungen durchzuführen. Überoptimistische Erwartungen in die EWG wurden von den anwesenden Sprecher der EWG für Drittländer Dietrich Behm (Brüssel) gedämpft.

Angesichts dieser Umstände kann man die Erklärung die die österreichische Bundesregierung am 28. Juli 1962 in Brüssel angab. nur als eine mittlere Linie des Möglichen bei Wahrung der neutralitätsrechtlichen und neutralitätspolitischen Erfordernisse unseres Landes ansehen. Diese Erklärung beinhaltete

• ein gewisses Maß handelspolitischer Aktionsfreiheit,

• die Möglichkeit der Suspendierung oder der Kündigung eines Assoziationsvertrages für den Kriegsfall,

• Vorbehalte für Vörratswirt- schaft für die gleiche Eventualität.

® selbständige Assoziationsorgane. Die Vorbesprechungen in Brüssel werden ergeben, ob diesen Forderungen Genüge getan werden kann.

Zuwenig Zeit

Ein „gewisses Maß handelspolitischer Aktionsfreiheit“ (1) für Österreich ist schon aus Gründen der Aufrechterhaltung seiner Souveränität, die der Zweck der Neutralität ist, notwendig. Unvereinbar damit wäre es, wesentliche Stücke der staatlichen Vertragshoheit (treaty making power) abzutreten. Dazu kommt noch das für Österreich sehr bedeutsame wirtschaftspolitische Erfordernis der Aufrechterhaltung und Entwicklung seiner Osthandelsbe - Ziehungen. Anderseits hat Österreich in Brüssel erklärt, verhindern zu wollen, das von dritten Staaten nach Österreich eingeführte Waren in die EWG gegen deren Willen ein- geschleußt werden. Auch das Recht auf Suspendierung und Kündigung des EWG-Vertrags (2), der die Mitglieder auf „unbegrenzte Dauer“ bindet, ist ein notwendiger Ausfluß der Souveränität, die Österreich aufrechtzuerhalten verpflichtet ist. Dies gälte nicht nur für den Fall eines drohenden oder ausgebrochenen Krieges, sondern auch in Friedenszeiten, wenn die EWG an wirf schaftspolitischen Aktionen gegen dritte Staaten teilnähme und Österreich solche Aktionen mit seiner Neutralitätspolitik für unvereinbar erachten sollte. Der Vorbehalt der Vorratswirtschaft (3) für den Kriegsfall ergibt sich daraus, daß gegebenenfalls schon in Friedenszeiten unumgängliche wirtschaftliche Lenkungsmaßnahmen getroffen werden müssen, die mit der allgemeinen Politik der Wettbewerbsfreiheit in der EWG in Widerspruch stehen. Endlich muß Österreich die Errichtung eigener Assoziationsorgane (4) in der EWG wünschen, in denen die österreichische Regierung, eventuell zusammen mit den Regierungen der übrigen neutralen Assoziierten, gebührend vertreten ist. Eine Majorisierung, wie sie für die allgemeinen Kollegialorgane der EWG vorgesehen ist, wäre gleichfalls für einen neutralen Staat untragbar, soweit Angelegenheiten zur Entscheidung kommen, die dessen Neutralität und Souveränität berühren. Die österreichische Regierung erklärte sich jedoch in Brüssel gewillt, in Assoziationsorganen, an denen sie teilnimmt, Mehrheitsentscheidungen anzuerkennen, welche die Durchführung und Überwachung der Erfüllung konkreter Verpflichtungen betreffen.

Primat der Außenpolitik

Die Erfordernisse des österreichischen Neutralitätsstatus müssen für uns als ein conditio sine qua non angesehen werden. So soll die Berechtigung einer positiven Integrationspolitik keineswegs in Abrede gestellt werden. In allem aber muß das Primat der Außenpolitik gelten, da nur sie über die gesamten Lebensbedingungen des Staates entscheidet. Die Pflichten der Neutralität und die Vorsorge dafür, daß die anderen Mächte Vertrauen in den Willen und die Fähigkeit Österreichs haben können, die Neutralität im Ernstfälle zu wahren, muß anderen Überlegungen, so begründet sie auch sein mögen, Vorgehen. Es ist die schwierige Aufgabe unserer Vertreter in Brüssel, ein für Österreich vorteilhaftes wirtschaftliches Ergebnis zu erlangen, ein Ergebnis, das aber auch im Falle einer ernsten Meinungsverschiedenheit, bei einem internationalen Gerichts- oder Schiedsverfahren, wie es zum Beispiel der Artikel 35 des Staatsvertrages von 1955 vorsieht, standhälten würde. Im übrigen haben kleinere Staaten, soweit wir in die Geschichte zurückblicken, ihr Dasein behauptet, indem sie die Gebote des immer noch fortbestehenden Systems des Gleichgewichtes der Mächte beachteten. Die Schweiz hat dies durch Jahrhunderte meisterhaft verstanden. Österreich muß heute den gleichen Weg gehen, auch im Bereich seiner Außenhandelspolitik.

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