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„Neutralität ist eine ziemlich teure Politik“

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Krister Wickman, Schwedens Außenminister seit 1. Juli 1971, hat sich vor seiner Ernennung vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet betätigt: Als Staatssekretär im Finanzministerium, als Industrieminister, als Vizepräsident des größten verstaatlichten Unternehmens, als Vorstandspräsident der Reichsbank. Jus-Absolvent Wickman, der auch Politische Ökonomie studierte, ist Sohn eines bekannten schwedischen sozialdemokratischen Journalisten, der als Leitartikler von „Dagens Nyheter“ einer der schärfsten Kritiker des Nationalsozialismus war.

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Krister Wickman, Schwedens Außenminister seit 1. Juli 1971, hat sich vor seiner Ernennung vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet betätigt: Als Staatssekretär im Finanzministerium, als Industrieminister, als Vizepräsident des größten verstaatlichten Unternehmens, als Vorstandspräsident der Reichsbank. Jus-Absolvent Wickman, der auch Politische Ökonomie studierte, ist Sohn eines bekannten schwedischen sozialdemokratischen Journalisten, der als Leitartikler von „Dagens Nyheter“ einer der schärfsten Kritiker des Nationalsozialismus war.

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FURCHE: Allen bisherigen Erklärungen war zu entnehmen, daß eine Vollmitgliedschaft in der EWG für Schweden nicht in Frage kommt. Hat dies lediglich neutralitätspolitische oder auch wirtschaftliche Gründe?

WICKMAN: Dies hat ausschließlich einen neutralitätspolitischen Grund, und man kann sagen, daß dieser Grund im Lauf der Entwicklung der EWG noch schwerwiegender geworden ist. In den letzten zwölf, achtzehn Monaten ist die Entschlossenheit der EWG-Staaten, die außenpolitische Zusammenarbeit noch zu verstärken, so in den Vordergrund getreten, daß es für einen neutralen Staat ausgeschlossen ist, Vollmitglied der EWG zu sein.

FURCHE: Wie könnte man diese außenpolitische Linie der EWG, betrachtet von einem neutralen Land aus, definieren?

WICKMAN: Wenn für die EWG-Staaten die Angleichung, die „Unifikation“ ihrer Außenpolitik ein primäres Ziel Ist, so ist das ein Programm, das in vielen, man kann sagen in allen EWG-Ländern politisch ein sehr starkes Fundament hat — da kann ein neutraler Staat nicht Vollmitglied werden und sagen: „Wir wollen Vollmitglied sein, aber an einem der primären Ziele der EWG können wir nicht teilnehmen.“

FURCHE: Sehen Sie einen Konnex zwischen der gemeinsamen Außenpolitik, auf die sich die EWG zubewegt, und der NATO-Politik?

WICKMAN: Ich glaube, daß die aus der EWG hervorwachsende gemeinsame Außenpolitik zusammen mit der Zurückziehung der Vereinigten Staaten aus Europa die Konsequenz hat, daß die außenpolitische Zusammenarbeit mit einer militärpolitischen Zusammenarbeit Hand in Hand gehen muß. Das wird nicht in der nächsten Zukunft eintreten, aber es liegt so in der Linie der Entwicklung.

FURCHE: Und welches ist die Gefahr dieser Entwicklung, vom Standpunkt eines neutralen Landes aus?

WICKMAN: Ich spreche nicht von einer Gefahr — aber es ist für ein Land nicht möglich, (Jas sich in einer internationalen Organisation in dieser Entwicklungsphase befindet, eine neutrale Außenpolitik glaubwürdig zu machen.

FURCHE: Rein wirtschaftlich hätte eine EWG-Mitgliedschaft Schweden vorwiegend Vorteile gebracht?

WICKMAN: Ja, das glaube ich. Man kann unterstreichen, daß die Neutralitätspolitik Schwedens nicht aus wirtschaftlichen Gründen gewählt wurde — im Gegenteil, Neutralitätspolitik ist wirtschaftlich und gesellschaftsökonomisch eine ziemlich teure Politik.

FURCHE: Wie unterscheidet sich die schwedische von der österreichischen Neutralität?

WICKMAN: Sie unterscheidet sich durch die Geschichte ihres Zustandekommens und durch die historischen Erfahrungen. Es gibt auch einen wichtigen formalen Unterschied, da die österreichische Neutralität im Staatsvertrag formalisiert ist. Die schwedische Neutralität kennt keine inter-naionale Bindung.

FURCHE: Ist die schwedische Neutralität verfassungsgesetzlich verankert?

WICKMAN: Sie ist eine reine Politik, aber es gibt eine so lange und feste Praxis, und sie ist auch volkstümlich-politisch so stark verankert, daß eine Veränderung auch aus innenpolitischen Gründen ausgeschlossen ist. Ich finde, daß das eine Stärke unserer Neutralitätspolitik ist, denn es kann geben.

FURCHE: Kann man von einer Aufwertung der neutralen kleinen europäischen Länder in der Weltpolitik sprechen?

WICKMAN: Wenn man die heutige Situation mit der der fünfziger Jahre vergleicht, kann man einen sehr starken Unterschied feststellen, glaube ich. Damals, nach dem Krieg und während des kalten Krieges, hat man ja die neutrale Politik ein bißchen als nicht-solidarisch, ja ein bißchen als amoralisch angesehen; da ist jetzt ein bedeutender Unterschied und es gibt jetzt in Europa keine Regierung, die neutrale Positionen verändern will, sei es die Österreichs, Schwedens oder der Schweiz — im Gegenteil, man sieht heute in neutralen Positionen einen Beitrag zur Erhaltung der Stabilität in Europa.

FURCHE: Wie profilieren die einzelnen neutralen Länder ihre Außenpolitik? Die Schweizer Außenpolitik erscheint uns zum Beispiel wesentlich inaktiver als die schwedische.

WICKMAN: In einer Demokratie ist es unvermeidlich, daß die öffentliche Meinung auch in einer Außenpolitik zum Ausdruck kommt, und das ist der Fall, wenn man beispielsweise die Position Schwedens in den Vereinten Nationen in der Bangla-Desh-Frage betrachtet, wo sich Schweden für das Selbstbestimmungsrecht von Bangla Desh eingesetzt hat.

FURCHE: Wird Schweden Bangla Desh anerkennen?

WICKMAN: Ja, wir werden anerkennen, aber die Beziehungen zwischen Bangla Desh und der Umwelt, und auch die Lage in Bangla Desh selbst muß sich erst ein wenig mehr stabilisieren.

Mit Außenminister Wickman sprach Hellmut Butterweck.

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