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Achse gegen Bonn?

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Das grüne Licht, das Frankreich in der Vorwoche für den Beitritt Englands in die EWG gab, brachte zweifellos erfreuliche gesamteuropäische Aspekte. Die schroffe antibritische Haltung de Gaulles ist vergessen, und das offizielle Frankreich feiert die iranzösisch-britische Freundschaft in den höchsten Tönen, ^übrigens auch die einstige Waffenbrüderschaft. Hier aber steigt ein leiser Schatten auf, denn bei aller Freude über die veränderte französische Haltung England gegenüber, ist die gleichzeitige Abkühlung des deutsch-französischen Verhältnisses nicht zu übersehen.

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Das grüne Licht, das Frankreich in der Vorwoche für den Beitritt Englands in die EWG gab, brachte zweifellos erfreuliche gesamteuropäische Aspekte. Die schroffe antibritische Haltung de Gaulles ist vergessen, und das offizielle Frankreich feiert die iranzösisch-britische Freundschaft in den höchsten Tönen, ^übrigens auch die einstige Waffenbrüderschaft. Hier aber steigt ein leiser Schatten auf, denn bei aller Freude über die veränderte französische Haltung England gegenüber, ist die gleichzeitige Abkühlung des deutsch-französischen Verhältnisses nicht zu übersehen.

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Zunächst ist zu hoffen, daß die Europapolitik des tapferen britischen Premierministers Heath nicht in der Parlamentsschiacht auf der Strecke bleibt. Abgesehen davon, daß die Mehrheit der Engländer gegen den EWG-Beitritt ist, wobei weniger sachliche als psychologische Motive eine Rolle spielen mögen, geht die Kluft quer durch die Parteien, und die Opposition in den eigenen Reihen ist für Heath kaum weniger gefährlich als die der Labour Party. Es wäre allerdings mehr als eine Ironie der Geschichte, wenn Frankreichs politische Kehrtwendung zu spät käme und sich der bisher so schnöde behandelte Freier nun nach dem Jawort zurückzöge.

Hoffen wir zum Wohl Europas jedoch, daß Heath im britischen Unterhaus die schwere Hürde nimmt und England und in seinem Sog auch andere Staaten der EWG beitreten. Der Beitritt Großbritanniens hat nebenbei auch den Vorteil, daß sich die sachlichen Schwierigkeiten innerhalb der EWG nicht mehr ausschließlich zu einer deutsch-französischen Auseinandersetzung zuspitzen. Diese hat nämlich das deutsch-

französische Verhältnis allzu stark strapaziert, wobei die deutsche Außenpolitik der Koalition Brandt- Scheel noch zusätzliche Komplikationen schuf. Sie gierte, um ihre innenpolitische Blöße zu verdecken, nach außenpolitischen Erfolgen, die sie vor allem mit ihrer Ostpolitik zu erzielen hoffte. Sie erhielt zwar von der Publizistik im eigenen Land reichen Beifall und heimste auch von seiten der befreundeten Mächte Anerkennung ein, wenigstens, soweit es sich um Verzichtsleistungen handelte, doch hörte die Anerkennung in dem Augenblick auf, als die Deutschen den Anschein erweckten, eine eigene, von den Alliierten unabhängige Ostpolitik verfolgen zu wollen, vor allem aber, als die deutsche Öffentlichkeit unter stillschweigender Duldung der offiziellen Stellen begann, die bisherigen Wertmaßstäbe umzukehren. Gleichsam über Nacht erschien die kommunistische Welt gegenüber der amerikanischen als die bessere Welt. Ein großer Teil der deutschen Publizistik ging über alle sowjetischen Übergriffe in Europa hinweg, während das Engagement der USA in Vietnam als böse Aggression hinge-

stellt wurde, obwohl Nixon im Gegensatz zu Kennedy, nach dem fast in jeder deutschen Stadt eine Brücke heißt, ein wirkliches Disengagement in Vietnam durchführt. Die antiamerikanische Politik erreichte am 10. Mai dieses Jahres ihren Höhepunkt, als die deutsche Bundesregierung mit der Freigabe der Wechselkurse gleichsam im Alleingang eine antiamerikanische Entscheidung, die erste seit dem Ende des zweiten Weltkrieges, traf. Dabei war es den befreundeten Mächten nicht entgangen, daß die Regierung Brandt-Scheel auch ihre eigene falsche Wirtschaftspolitik, die zur binnenwirtschaftlichen Inflation geführt hatte, faktisch der amerikanischen Währungspolitik in die Schuhe schob. Der angebliche Ausspruch Brandts: „Wir können nicht immer die .nice boys’ sein“, hat in Amerika kaum die freundschaftlichen Gefühle für Deutschland vertieft.

Nicht die deutsche Ostpolitik als solche fürchten die westlichen Alliierten, sondern die Gefahr, daß die derzeitige deutsche Regierung aus innenpolitischen Rücksichten dem Osten gegenüber jene Nachgiebigkeit zeigt, die sie gegenüber den Verbündeten nicht mehr aufzubringen geneigt ist, wie ihr Verhalten bei den Verhandlungen in Brüssel zur Beilegung der Dollarkrise bewiesen hat. Die deutschen Vertreter verwendeten nationale Töne in Brüssel, während ihre Regierung in der Bundesrepublik selbst gegen eine nationale Front zu kämpfen hat. Dieser Zwiespalt unterminierte schon die Weimarer Republik und birgt auch heute Gefahren in sich, wenngleich er dank der wirtschaftlichen Lage keine derartige Dimension erreichen kann. Jedenfalls beginnt in Frankreich, wenn auch noch in bescheidenem Ausmaß, wieder eine Art Germanophobie auszubrechen, und das offizielle Frankreich wendet sich deshalb dem alten Verbündeten Großbritannien zu. Die deutsche Außenpolitik schlägt zu viel Schaum, ohne dabei Vorteile zu erringen, und führt dadurch die anderen Staaten enger zusammen. Wenn daraus ein stärkeres europäisches Bewußtsein entsteht und damit der Beitritt Englands und anderer Staaten dazu erkauft wird, dann muß die Entwicklung sogar als Fortschritt angesehen werden. Außerdem bringt die Öffnung der EWG auch den neutralen Staaten bessere Möglichkeiten, zu einem Ausgleich mit der EWG zu gelangen. Die Nervosität Moskaus beweist, daß auch die Sowjets die neue französische EWG-Politik gegenüber England als einen Fortschritt in der Richtung des europäischen Einigungsstrebens wertet, was wiederum dazu führt, daß die Russen den USA gegenüber eine versöhnlichere Haltung einnehmen, während sie auf die britische Regierung wegen deren Bereitschaft, in die EWG zu gehen, ein publizistisches Feuer eröffnen. Linksradikale in Parts verüben Anschläge auf britische Geschäfte und schmieren auf die Häuserwände die Worte: EWG =* Viertes Reich.

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