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Brüssels Fehler

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Die Entscheidung der Dänen für den Beitritt ihre. Landes zur Europäischen Gemeinschaft ist ein Sieg der wirtschaftlichen Vernunft und der politischen Einsicht. Anders als in Norwegen erkannte die Mehrheit der dänischen Wähler, daß Emotionen reale Entwicklungen nicht aufhalten und die Flucht in den Traditionalismus die ökonomischen und technologischen Her-1 ausforderungen der Gegenwart, aber auch der Zukunft, nicht aus der Welt schaffen können. Das dänische Ja hat das norwegische Nein zur.EWG aufgefangen. Die Brücke der Gemeinschaft führt jetzt über Kopenhagen nach Skandinavien. Das Fehlen des norwegischen Stützpfeilers wird den Aufbau des Gemeinsamen Marktes nicht gefährden.

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Die Entscheidung der Dänen für den Beitritt ihre. Landes zur Europäischen Gemeinschaft ist ein Sieg der wirtschaftlichen Vernunft und der politischen Einsicht. Anders als in Norwegen erkannte die Mehrheit der dänischen Wähler, daß Emotionen reale Entwicklungen nicht aufhalten und die Flucht in den Traditionalismus die ökonomischen und technologischen Her-1 ausforderungen der Gegenwart, aber auch der Zukunft, nicht aus der Welt schaffen können. Das dänische Ja hat das norwegische Nein zur.EWG aufgefangen. Die Brücke der Gemeinschaft führt jetzt über Kopenhagen nach Skandinavien. Das Fehlen des norwegischen Stützpfeilers wird den Aufbau des Gemeinsamen Marktes nicht gefährden.

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Hätten die Dänen den Beitrittsvertrag nach Brüssel zurückgeschickt, so hätte die EWG ihre, schon heute zu registrierende, südeuropäische Schlagseite noch verstärkt, während sich die skandinavischen Länder auf dem unsicheren, schwankenden Boden der Neutralität, bei gelockerten dänischen und norwegischen Bindungen zur NATO, immer mehr dem hegemonialen Schatten der Sowjetunion genähert hätten.

Der Sieg des dennoch überraschend zurückgetretenen Jens Otto Krag, zu dem die Wähler der konservativen, der liberalen, der radikalen und der sozialdemokratischen Partei beitrugen, während nur die weit links stehenden Volkssozialisten von Anfang an geschlossen opponierten, brachte den Sozialisten in Großbritannien eine indirekte, aber unübersehbare Niederlage. Am gleichen Tag, als sich die Dänen mehrheitlich für die EWG aussprachen, liefen Gewerkschaftsführer und Labour-Abgeordnete auf ihrem Parteitag in Blackpool Amok.

Sie verlangten eine Volksabstimmung in Großbritannien. Nur mit Mühe konnte Wilson zunächst die totale Ablehnung der britischen Mitgliedschaft in der EWG verhindern und eine Resolution für neue Verhandlungen im Falle eines Wahlsieges von Labour über die Bühne ziehen.

Die Saat, die Wilson aussäte, brachte wilde Früchte. Sie überwuchern nicht nur den wirtschaftlichen Verstand und die Interessen Englands, sondern auch die politische Verantwortung — für das eigene Land und für Europa.

Die Ablehnung des Beitritts in Norwegen, die Zustimmung in Dänemark und die haßvollen Anschuldigungen gegen die EWG a^if dem Labour-Parteitag in Blackpool sollten — unabhängig unterschiedlicher Wertungen — in Brüssel und in den anderen Hauptstädten der EWG jedoch nicht lediglich bürokratisch registriert und unbeteiligt zur Kenntnis genommen werden. Die Zeiten der „splendid isolation“ in den Konferenzsälen der europäischen Tech-nokratie sind endgültig vorüber.

Die Europäische Gemeinschaft wird künftig viel mehr als bisher politisch gefordert und mit parlamentarisch demokratischen Maßstäben gemessen werden. Sie kann hierbei nur gewinnen. Das harte, aber ehrliche Wort des Präsidenten der Europäischen Kommission, Sicco Mansholt, von der „undemokratischen Gemeinschaft“ kam zur rechten Zeit. Es müßte den Regierungen auf ihrer Gipfelkonferenz in Paris ein Menetekel sein, denn: die unkontrollierte Rolle des Ministerrats als Organ von Entscheidungen für einen Wirtschaftsraum mit 253 Millionen Menschen kann auf die Dauer weder von den europäischen Parteien noch von den nationalen Parlamenten hingenommen werden.

Die Parolen gegen die EWG, vor allem vor den Volksbefragungen in Norwegen und in Dänemark, sollten deshalb auch dann ernst genommen werden, wenn Übertreibungen und Ressentiments eine Kluft zur Wirklichkeit aufrissen. Über den Köpfen der Bürger der EWG hinweg läßt sich keine haltbare und gleichzeitig dynamische Politik entwickeln. Fehler, die Brüssel unterliefen, wuchern aus und nähren allgemeine Vorbehalte gegen ein Modell, das nicht nur die wirtschaftliche Entfaltung der westeuropäischen Staaten, sondern auch deren Sicherheit gewährleisten soll.

Im Klima allgemeiner Vorwürfe und weitverbreiteter Unkenntnisse über Vorstellungen, Absichten und Entscheidungen der EWG kann ein Wort wie „europäische Inflationsgemeinschaft“ die feingesponnene Zusammenarbeit von Jahren in die Luft sprangen. Die letzten Wochen haben gezeigt, wie bereitwillig dieser Begriff auch jeweils für innenpolitische Zwecke, ja selbst als Alibi aufgegriffen oder als Mehrzweckwaffe im Wahlkampf verwandt wird. Muß Inflation tatsächlich importiert, kann Stabilität nicht auch in die Gemeinschaft exportiert werden, vorausgesetzt, eine Regierung ist hierzu wirklich entschlossen?

Gesunder Menschenverstand sollte es erwarten lassen, daß die Regierungen auf ihrem Gipfeltreffen in Paris die Warnsignale berücksichtigen und ernsthaft überlegen, wie die Schwächen der Europäischen Gemeinschaft überwunden werden können.

In Brüssel hat die Europäische Kommission detaillierte Vorschläge ausgearbeitet. Die Europäische Bewegung hat immer wieder die Notwendigkeit betont, in Paris aus dem Vorhof der Technokratie in den politischen Raum vorzustoßen. Der „Ve-del-Bericht“ enthält interessante Überlegungen für erweiterte Rechte des Europäischen Parlaments. Dieses soll auch für eine umfassende Bestandsaufnahme überstaatlicher Aufgaben herangezogen werden.

Leider scheint die Einsicht auf dem Wege von Brüssel in die nationalen Hauptstädte immer wieder verlorenzugehen. Dies ist um so erstaunlicher, als Moskau unmißverständlich mit der Konzeption der „großeuropäischen Kooperation“ einen Gegenentwurf zur Gemeinschaft vorgelegt hat und keine Chance ausläßt, für seine Vorstellungen zu werben. Aber auch auf diesem Ohr scheinen die Regierungschefs taub zu sein. Sie versündigen sich dadurch gegen das Vertrauen aller Bürger, die eine Europäische Gemeinschaft trotz ihrer Schwächen für notwendig halten.

Herr Karl am Wörther See

Was sich nächtens zwischen Karawanken und Drau — im äußersten Süden des österreichischen Bundesgebietes — tut, ist kein Gspaß und ist kein Gschnas — wie man es offx-zieüerseits anscheinend darstellen will —, sondern durch und durch miserable Unduldsamkeit (siehe auch Seite 5). Nach Jahrhunderten der Mehrsprachigkeit ist der Österreicher offenbar endgültig zum chauvinistischen Spießer geworden.

Der Österreicher?

Nein! Aber zumindest jene Herrn Karl vom Wörther See — mögen sie auch erst nach 1945 zur Welt gekommen sein.

Und damit steht klar: Wenn die Exekutive und die Justiz nicht mit rigoroser Schärfe und Außerachtlassung jeder unnötigen Milde durchgreifen und dem Spuk ein Ende bereiten, wird nicht nur Österreichs Ansehen geschädigt, sondern jenes Prinzip durchbrochen, das auch der Linken mit Recht die Gewaltanwendung verbietet. Was aber für AntiSchah-Demonstrationen recht ist, muß auch für Slowenenstürme billig sein. Denn diese unduldsame Rechte ist um kein Jota besser als die unduldsame Linke.

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