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Krise des „Skandinavismus“?

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Künftige Geschichtsschreiber werden sich vielleicht mit der Frage beschäftigen, ob das Treffen der nordischen Staatsminister in Oslo nicht das Ende der Idee des modernen Skandinavismus — der engen Zusammenarbeit aller skandinavischen Länder — einleitete.

Im Hintergrund jeder Diskussion stand die den Norden zersplitternde Europamarktfrage und die Frage um den Bestand oder das Zerbrechen der nordischen Zusammenarbeit. Doch nicht einmal diese Frage wagte man, trotz eindringlicher finnischer Vorhaltungen und pathetischer Mahnungen K. A. Fagerholms aus Finnland, offen auf die Tagesordnung zu setzen. Die mit unendlicher Mühe in siebzehnjähriger Arbeit aufgebaute Zusammenarbeit der nordischen Staaten gleicht jenem schwerkranken Patienten, über dessen wahren Zustand die Verwandten geflissentlich hinwegreden: Der oft zitierte Geist von Stockholm und Helsingfors ist in den Schatten von Brüssel geraten!

Es geht hier um den Kampf zweier Richtungen: In Dänemark und Norwegen ist man vorwiegend der Ansicht, daß dem Ziel, ein politisch und wirtschaftlich geschlossenes Westeuropa zu schaffen, alle anderen Fragen untergeordnet werden müssen. Daneben glaubt man noch, daß man sich wirtschaftlich außerhalb der EWG nicht behaupten kann. In Schweden und in Finnland ist man der Meinung, daß eine enge skandinavische Zusammenarbeit erst die Voraussetzung für den nächsten Schritt, ein geeintes Westeuropa, bildet. Diese Zusammenarbeit betrachtet man auch als einen friedensbewahrenden Faktor In diesem Teil der Welt; sie läßt sich

außerdem mit der Beteiligung an einem Militärbündnis schwer vereinbaren.

Im Schatten Brüssels

In Oslo scheiterte der finnische Versuch, die Frage der drohenden Zersplitterung im Norden nach einem EWG-Beitritt Dänemarks und Norwe-

gens auf die Tagesordnung der nächsten Konferenz zu setzen, an dem entschiedenen dänischen Widerstand. Auch das zweite Problem, das der Gefährdung des schon bestehenden skandinavischen Etablierungsrechtes, erlitt dasselbe Schicksal. Dänemark und Norwegen hatten Zwar erst am Tag vorher in Brüssel erklären lassen, daß sie die politischen Ziele der EWG voll und ganz gutheißen, die Regierungen ihrer Länder bereiten aber gleichzeitig ein Schutzgesetz vor, das den Ausverkauf ihres Bodens an in erster Linie westdeutsche Spekulanten verhindern soll I Ein solches Gesetz müßte naturgemäß alle Ausländer, also auch die Bürger der befreundeten skandinavischen Länder und damit auch das Etablierungsrecht der Industrie, treffen. Hinter den Kulissen der Konferenz von Oslo wurde erzählt, daß Dänemarks Staatsminister, Jens Otto Krag, auf diesen Hinweis nur mit einem lakonischen Achselzucken geantwortet haben soll und einigen Worten wie etwa: „Da kann man eben nichts machen 1“

Auf Sparflamme gesetzt

Die Fürsprecher der nordischen Zusammenarbeit weisen vor allem darauf hin, daß durch die bedingungslose Unterordnung unter die Forderungen des EWG-Ministerrates in Brüssel bedeutsame Erfolge der Zusammenarbeit im Norden wieder verlorengehen werden, während man innerhalb der EWG erst eine ähnlich enge Zusammenarbeit anstrebt I Im Norden gilt bereits seit einigen Jahren die Paßfreiheit bei Grenzübergängen, der gemeinsame Arbeitsmarkt ist schon verwirklicht, die industrielle Zusammenarbeit ist hundertfach dokumentiert, die Energie-

wirtschaft aller vier Länder arbeitet eng zusammen, und auf sozialwirtschaftlichem Gebiet wurden die wichtigsten Bestrebungen und Reformen koordiniert. Alles das ist nun in Gefahr. Zwar will man auf dem Gebiet der Forschung und der Sozialarbeit noch zusammenarbeiten, doch das ist auch alles I Die rasche Eingliederung in die EWG ist das Hauptziel der dänischen und der norwegischen Regierung geworden, und den so lange diskutierten praktischen Skandinavismus hat man somit auf die Sparflamme gesetzt I

WER NICHT SÄT, KANN NICHT ERNTEN

Ein Appell in ernster Stunde

Der Vorstand der VEREINIGUNG ÖSTERREICHISCHER INDUSTRIELLER hat folgende Resolution beschlossen:

Die Vereinigung Österreichischer Industrieller verfolgt mit gröfjter Sorge die Entwicklung der österreichischen Wirtschaft. Rückläufige Investitionen, verminderte Auftragsbestände, sinkende Erträge, steigende Kosten und ein verschärfter Wettbewerb auf den in- und ausländischen Märkten stellen die weitere Erhöhung des Wohlstandes und die Vollbeschäftigung in unserem Land in Frage. Die zahlreichen Schwierigkeiten, die sich aus der gegenwärtigen Konjunkturlage und aus den Erfordernissen der Vorbereitung der österreichischen Wirtschaft auf dem grofjen europäischen Markt ergeben, können nur durch eine kräftige Anregung des wirtschaftlichen Wachstums bei gleichbleibender Kaufkraft des Schillings überwunden werden.

Mit Bedauern stellt die Vereinigung Österreichischer Industrieller fest, dafj der Staatshaushalt 1963 nicht nur die Notwendigkeit einer Förderung des Wirtschaftswachstums auher acht lief], sondern im Gegenteil noch den produktiven Kräften der Wirtschaft neue, beträchtliche Belastungen aufbürdete. Dieser Staatshaushalt ist das Ergebnis einer zu grohen Nachgiebigkeit gegenüber zahlreichen Wünschen, einen gröberen Anteil an einem kaum noch steigenden Gesamtergebnis, der österreichischen Wirfschaft zu erkämpfen. Damit aber nicht genug — es ist bereits die Erfüllung neuer Forderungen zugesagt, für die eine Reihe weiterer Belastungen vorgesehen ist.

Die Vereinigung Österreichischer Industrieller appelliert angesichts der ernsten wirtschaftlichen Lage Österreichs an die für das Schicksal unseres Landes Verantwortlichen, an die Stelle des Ringens um -parteipolitische Augenbficksvorfeile er\dflefi!t4frrtr''nur vbri VerarrrWöir-!S tung geleilet, weitblickende, auf eine erfolgreiche und glückliche Zukunft des Landes gerichtete Politik zu setzen. Sie ist der Meinung, dal; in der Wirtschaffspolitik ein radikales Umdenken einsetzen muh, wenn nicht das in gemeinsamer Arbeit und unter Opfern aller Österreicher Erreichte gefährdet werden soll. Nur eine entschlossene Politik, die durch Ermutigung aller schöpferischen Kräfte unseres Landes die österreichische Wirfschaft insgesamt kräftig wachsen läht, bietet eine Gewähr zur Meisterung der derzeitigen kritischen Lage.

Bei allen wirtschaftlichen Überlegungen sollte die alte Weisheit „WER NICHT SÄT, KANN NICHT ERNTEN' beachtet werden. Voraussetzung eines höheren Lebensstandards für alle Österreicher sind eine Erhöhung der Gütererzeugung und die Steigerung der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die auch in Osterreich in den Jahren des starken Wirtschaftsaufschwunges gemachte Erfahrung lehrt, dafj der Staat aus einer Anregung des wirtschaftlichen Wachstums in Form höherer Abgabeneingänge den gröfjten Nutzen zieht. Eine erfolgreiche Aufwärtsentwicklung der österreichischen Wirtschaft in der Zukunft sollte nicht Erwägungen, man dürfe im Augenblick nur an die Bedeckung von Ausgaben denken, geopfert werden.

An Regierung und Parlament wird es daher liegen, trotz, ja geradezu wegen der ernsten Lage im Staatshaushalt umgehend Maßnahmen zur Erhöhung der Investitionstätigkeit, damit zur Stelgerung der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Wettbewerbskraft Österreichs zu beschliehen. Die Früchte eines solchen mutigen Vorgehens werden sich alsbald in Form einer Kräftigung der österreichischen Wirtschaft und damit auch der Steuereinnahmen des Staates zeigen.

Die Vereinigung Österreichischer Industrieller wendet sich zugleich an die Organisationen des Sozialpartners, mit denen sie sich in einer echten Schicksalsgemeinschaft verbunden fühlt, in der Hoffnung, dafj auch diese in ihrem eigensten Interesse tatkräftig an der Verwirklichung eines Wachstumsprogramms für unsere Wirfschaft mitarbeiten werden.

Die Stunde erfordert rasches Handeln und den Mut zu weifblickenden konstruktiven Maßnahmen. Österreich steht vor der Wahl: Entweder durch Stärkung der Wirtschaft insgesamt, durch Zurückhaltung in den Anforderungen an den Staat und durch eine auf gesamtwirtschaftliche Ziele abgestellte Spartätigkeit die Voraussetzung für einen höheren Lebensstandard für alle zu schaffen oder durch die weitere Unterlassung einer zielstrebigen Wachstumspolitik die Vollbeschäftigung und die Kaufkraft des Schillings zu gefährden und damit auf längere Sicht eine fühlbare Einbufje im Lebensstandard unseres Volkes zu riskieren. Es steht nicht mehr und nicht weniger auf dem Spiel als eine glückhafte Zukunft Österreichs.

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