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Österreichs Wirtschaft Ende 1965

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Wissenschaft und Praxis sind sich darüber einig, daß die Wirtschaftspolitik neben einem wirtschaftlich vertretbaren sozialen Ausgleich drei Ziele gleichrangig verfolgen muß:

• Währungsstabilität,

• Vollbeschäftigung und

• Wirtschaftswachstum.

Jedes dieser Ziele begreift natürlich wieder eine ganze Reihe einzelner Anliegen in sich. Statt Währungsstabilität könnte man noch allgemeiner sagen „wirtschaftliche Ordnung”, für die eine in ihrem Wert möglichst gesicherte Währung nur ein Element ist. Vollbeschäftigung ist Erfordernis, das wichtigste, jedem einzelnen das ihm zustehende Leistungseinkommen zu sichern. Wachstum sichert den Aufstieg der gesamten Volkswirtschaft und steigenden Wohlstand.

Das Gleichgewicht nicht gefährden

In der besonderen Lage Österreichs ist ein ständiges Wachstum der Wirtschaft aber nicht nur wünschenswert, um der gesamten Bevölkerung steigenden Wohlstand zu ermöglichen und den Abstand gegenüber den westlichen Industriestaaten zu verringern, sondern absolut notwendig, zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Dies ist darin begründet, daß gesetzgeberische Maßnahmen der letzten Jahre die nächste Zukunft stark vorbelastet haben, so daß diese Lasten nur aus einem steigenden Nationalprodukt getragen werden können. Wenn das nicht erreicht werden könnte, wäre das finanzielle Gleichgewicht des Staatshaushaltes und damit die Stabilität der Währung gefährdet.

Wenn wir die wirtschaftliche und finanzielle Lage Österreichs um die Jahreswende 1965/66 betrachten, können wir feststellen, daß die Bestrebungen zur Aufrechterhaltung der Stabilität der Währung und zur Eindämmung des Preisauftriebes nicht ganz erfolglos geblieben sind. Das wichtigste in dieser Hinsicht ist wohl, daß für die ersten sechs Monate des kommenden Jahres ein wenigstens währungspolitisch vertretbares Budget- provisorium beschlossen werden konnte. In den letzten Monaten konnte der Preisauftrieb im allgemeinen zum Stehen gebracht werden, die eine Zeitlang stürmischen Preisanstiege für Saisonprodukte haben sich wieder ermäßigt. Der Unterschied im Preisniveau gegenüber dem Jahre 1964 konnte wesentlich vermindert werden.

Im Jahre 1965 hatten wir keine aktuellen Sorgen wegen der Vollbeschäftigung. Im Gegenteil; im großen Durchschnitt ist eher eine Überbeschäftigung festzustellen. Allerdings sind in manchen Bereichen der Wirtschaft Arbeitsumschichtungen notwendig. Manche Betriebe haben Krisen, deren Ursachen oft weit zurückliegen, noch nicht überwunden. Ich werde darauf im Zusammenhang mit den unzureichenden Vorkehrungen zur Sicherung eines ausreichenden Wachstums der Wirtschaft noch zurückkommen.

Auf lange Frist sind wir der Sorge um die Vollbeschäftigung keineswegs enthoben. Ich denke hier vor allem an unsere Integrationspolitik. Wir haben uns bekanntlich dazu entschlossen, eine Vereinbarung mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anzustreben. Wir sind dm Laufe des vergangenen Jahres zu Verhandlungen mit der EWG gekommen und können jetzt wohl hoffen, daß das Jahr 1966 uns den Abschluß dieser Verhandlungen bringen wird. Unser Motiv dazu ist vor allem die Sorge um die Vollbeschäftigung, Konkurrenzfähigkeit und Rentabilität der österreichischen Wirtschaft, die Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit und Rentabilität der österreichischen Unternehmungen und der Anschluß an die wirtschaftliche Dynamik des Gemeinsamen Marktes. Noch sind die Zahlen unserer Handels- und Zahlungsbilanz befriedigend. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die steigende Diskriminierung unserer Ausfuhr in die Länder der EWG immer schwere Opfer von unserer Wirtschaft verlangt. Verluste bei unserem Export in die EWG können auch durch den Osthandel und durch eine breitere Streuung des Exports in alle Welt nicht ganz ausgeglichen werden. Unsere Wirtschaft kämpft daher mit dem Einsatz erheblicher finanzieller Mittel um die Aufrechterhaltung der Ausfuhren in die EWG. Dies hat vielfach schon Verluste, jedenfalls aber eine wesentliche Schmälerung der üblichen Gewinne zur Folge. Daraus ergibt sich wieder ein Zurückbleiben von Investitionen, die sehr notwendig wären.

Wachsende Wirtschaft ist nötig

Ich komme nun zum letzten Punkt der drei hauptsächlichsten Zielsetzungen der Volkswirtschaft, dem notwendigen Wirtschaftswachstum. Eine wachsende Wirtschaft ist für Österreich nicht nur im Interesse steigenden Wohlstandes wünschenswert, sondern zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Ordnung notwendig. Ich habe schon festgestellt, daß die handelspolitische Entwicklung in Europa bereits in bedenklichem Maße die Investitionen in der österreichischen Wirtschaft beeinträchtigt. Es ist bedauerlich, daß es nicht gelungen ist, für dais Jahr 1966 ein Budget aufzustellen, und daß das Budgetprovisorium für das erste Halbjahr 1966 nicht die Dotierungen enthält, die wir zum Beispiel für Unterricht und Forschung und insbesondere für Investitionen für notwendig halten.

Auch im Jahre 1965 ist es nicht möglich gewesen, die Wachstumsgesetze zu beschließen, jene Gesetze, die systematisch Hindernisse für das Wirtschaftswachstum beseitigen und Anreize dazu schaffen würden. Uber diese Gesetze spricht man bekanntlich seit langem. Es ist zu hoffen, daß das kommende Jahr — unter dem Druck einer immer fühlbarer werdenden Notwendigkeit — endlich die Wachstumsgesetze für die österreichische Wirtschaft bringen wird.

Eine weitere Hypothek für die Entwicklung der österreichischen Wirtschaft ist die derzeitige Situation im Bereich der verstaatlicht ! Industrie. Die verstaatlichten Unternehmungen befinden sich heute vor allem deshalb in finanziellen Schwierigkeiten, weil es ihnen verwehrt ist. sich ihre Fitvanzierungsmittel entsprechend den Bedürfnissen der einzelnen Unternehmungen auf dem Kapitalmarkt zu besorgen. Eine entsprechende Regelung sowio eine Neuordnung auf organisatorischem Gebiet, wodurch die Verpolitisierung hintangehalten und eine Bereinigung der Produktionsbereiche erreicht werden könnte, könnten zu einer Sanierung dieses für die österreichische Wirtschaft so wichtigen Bereiches führen.

Dem neuen Nationalrat und der neuen Bundesregierung steht eine Fülle wichtigster Aufgaben bevor. Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß sie im Interesse eines weiteren Aufstieges unserer Wirtschaft bewältigt werden können.

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