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Nordischer Retourgang

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Norwegens Regierung, vom Führer der liberalen Zentrumspartei, Per Borten, durch fünf Jahre erfolgreich geleitet, ist nahe daran, an der Frage der EWG-Mitgliedschaft zu zerbrechen. In Schweden schießt der stellvertretende Vorsitzende der Zentrumspartei — der Siegerin bei den letzten Parlamentswahlen — aus allen Rohren gegen den Plan, der EWG als Vollmitglied beizutreten. In Finnland gewinnt der extrem EWG-feindliche Flügel der Kommunistischen Partei zunehmend an Gewicht und sogar im bisher so anschlußfreudigen Dänemark werden nun kritische Stimmen laut, die eine vorsichtigere Gangart bei den Verhandlungen empfehlen und davor warnen, anschlußfreudiger zu sein als die Briten! Der Weg aller dieser Länder in die EWG dürfte sich länger hinziehen als man bisher angenommen hat.

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Norwegens Regierung, vom Führer der liberalen Zentrumspartei, Per Borten, durch fünf Jahre erfolgreich geleitet, ist nahe daran, an der Frage der EWG-Mitgliedschaft zu zerbrechen. In Schweden schießt der stellvertretende Vorsitzende der Zentrumspartei — der Siegerin bei den letzten Parlamentswahlen — aus allen Rohren gegen den Plan, der EWG als Vollmitglied beizutreten. In Finnland gewinnt der extrem EWG-feindliche Flügel der Kommunistischen Partei zunehmend an Gewicht und sogar im bisher so anschlußfreudigen Dänemark werden nun kritische Stimmen laut, die eine vorsichtigere Gangart bei den Verhandlungen empfehlen und davor warnen, anschlußfreudiger zu sein als die Briten! Der Weg aller dieser Länder in die EWG dürfte sich länger hinziehen als man bisher angenommen hat.

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Am beunruhigendsten lauten die Berichte aus Oslo. Dort ist nun bekannt geworden, daß Regierungschef Per Borten den Vertretern der anderen drei in der Regierung vertretenen Parteien verschwiegen hat, daß eine starke Gruppe innerhalb seiner Partei unter keinen Umständen eine Vollmitgliedschaft bei der EWG wünscht. Im Parteivorständ und in der Parlamentsfraktion hatte man bereits im Frühsommer dieses Jahres eine Verhandlungstaktik vorgeschlagen, die zwar dem Scheine nach eine Mitgliedschaft anstrebt, durch die Vorlage von umfangreichen Sonderwünschen jedoch eine Einigung mit Brüssel verhindern wollte. Es ist — so meint man in dieser Gruppe — schlimm genug, daß Norwegen sich in militärpolitischen und sicherheitspolitischen Fragen den Wünschen einer fremden Großmacht fügen muß. Nun auch dem Gedanken einer gemeinsamen Außenpolitik an der Seite Westdeutschlands, Frankreichs und Italiens zuzustimmen, erscheint diesen norwegischen Patrioten undenkbar.

Die Gegensätze innerhalb der Zentrumspartei und der Regierung verschärften sich um ein weiteres, als Ende September der Vertreter Norwegens in Brüssel, Außenminister Sven Stray, ersucht wurde, die Ansicht seiner Regierung zum sogenannten Davignon-Rapport mitzuteilen, der regelmäßige Konsultationen der Mitgliedsstaaten über außenpolitische Fragen als einen ersten Schritt zu einem politischen Zusammenschluß vorsieht

Außenminister Stray hatte bereits bei den einleitenden Gesprächen in Brüssel zu verstehen gegeben daß Norwegen die politischen Zielsetzungen der EWG anerkennen könne, wozu er — nach Auffassung der Zentrumspartei und Per Bortens — überhaupt nicht berechtigt war. Starke Kräfte in der Zentrumspartei machen sich deshalb mit dem Gedanken vertraut, die Regierungszusammenarbeit mit den übrigen drei Parteien aufzulösen und den Konservativen — geführt von John Lyng, dem jetzigen Außenminister Stray und dem NORDEK-Gegner Käre Willoch — die Verantwortung für den weiteren Verlauf der Dinge zu überlassen. Auch die Zeitung „Verdens Gang“ verlangte von Per Borten, die Leitung der Regierung den Konservativen zu übergeben. Es ist notwendig, hier daran zu erinnern, daß bereits der Beschluß der früheren Regierung Gerhardsen, Verhandlungen mit der EWG aufzunehmen, von einem Teil der eigenen Parlamentsfraktion (der Arbeiterpartei) und einzelnen Regierungs-mitgliedern hart kritisiert worden ist. Auch die Zentrumspartei nahm bereits damals zur Frage des EWG-Anschlusses eine sehr kühle Haltung ein allerdings ist dieser innere norwegische Widerstand gegen eine Vollmitgliedschaft und sogar gegen eine Assoziierung außerhalb Norwegens niemals ernst genommen und kaum beachtet worden. Nun haben einige Abgeordnete der Arbeiterpartei und der Zentrumspartei in Oslo ein Aktionskomitee gegen den EWG-Anschluß gebildet. Den Kern der Gruppe bilden jene 17 Abgeordnete, die im Sommer dagegen gestimmt haben, überhaupt Verhandlungen mit Brüssel aufzunehmen. Sowohl im Parlament wie auch in der Presse und bei öffentlichen Veranstaltungen will man zwar für eine Zusammenarbeit auf wirtschaftlicher Basis, doch gegen jede Form von politischem Arrangement Stellung nehmen.

Es ist sehr interessant, daß zu gleicher Zeit auch von der Leitung der schwedischen und der finnischen Schwesterparteien des norwegischen Zentrums klare Signale kommen, die vor einer Vollmitgliedschaft in der EWG warnen und einem Ausbau der internen nordischen Zusammenarbeit das Wort reden. Die Entwicklung in diesen beiden Ländern verdient eine eigene Behandlung, hier soll nur daran erinnert werden, daß in den letzten 20 Jahren drei große Versuche in dieser Richtung gescheitert sind und es bisher weder zur angestrebten Verteidigungsunion, noch zur Zollunion, noch zur NORDEK gekommen ist, nicht zuletzt des norwegischen Widerstandes wegen!

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