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Die neue Chance

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„Wir können wieder Fortschritte erzielen, wenn dies auch zeitraubend und zuweilen recht schwierig sein wird“, erklärte der deutsche Außenminister Brandt vor kurzem anläßlich eines zweitägigen SPD-Gespräches zum Thema „Europäisches Gespräch — Bilanz und Perspektiven“. Vermutete man angesichts solches leichten Optimismus in Richtung einer Aufnahme von Verhandlungen mit weiteren europäischen Staaten zum Beitritt vorerst Wahltaktik des SPD-Spitzenkandidaten, so zeigte sich wenig später, daß dieser Optimismus nicht ganz unbegründet war.

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„Wir können wieder Fortschritte erzielen, wenn dies auch zeitraubend und zuweilen recht schwierig sein wird“, erklärte der deutsche Außenminister Brandt vor kurzem anläßlich eines zweitägigen SPD-Gespräches zum Thema „Europäisches Gespräch — Bilanz und Perspektiven“. Vermutete man angesichts solches leichten Optimismus in Richtung einer Aufnahme von Verhandlungen mit weiteren europäischen Staaten zum Beitritt vorerst Wahltaktik des SPD-Spitzenkandidaten, so zeigte sich wenig später, daß dieser Optimismus nicht ganz unbegründet war.

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Seit Jahren war nämlich die Erweiterung der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der „Sechs“ am starren Einspruch der Franzosen bzw. ihres ersten Mannes General de Gaulle und seiner Regierung gescheitert. Zwar galt das Nein nur Großbritannien, aber damit blockierte der große Franzose auch die Beitrittsansuchen Irlands, Dänemarks, Norwegens und Sehwedens.

Lediglich bei Österreich brauchte man kein französisches Veto, ja konnte sogar immer in unverbindlichem Wohlwollen arbeiten, weil seit rund zwei Jahren Österreichs Arrangement mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Brüssel durch ein politisches Veto blockiert ist.

Bessere Zeiten?

Nun beginnen sich aber für die beitrittswilligen und arTangementfreu-digen übrigen europäischen Staaten, so scheint es zumindest, neue Chancen am Horizont Europas abzuzeichnen. Einer eher bremsenden ersten Pressekonferenz Pompidous und seines neuen Teams folgten nunmehr Äußerungen aus der Hauptstadt an der Seine, die bessere Zeiten für den europäischen Gedanken ahnen lassen.

Nur wenige Tage nach dem vorsichtigen Optimismus Brandts im Europagespräch der SPD in Bad Godesberg hat der französische Außenminister Maurice Schumann die Partner in der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft formell zu einer Gipfelkonferenz der sechs Regierungschefs eingeladen. Laut französischem Vorschlag soll dieses Gipfeltreffen der „Sechs“ noch in diesem Jahr in Den Haag stattfinden.

Der Vorschlag wurde in Brüssel bei einer Ministerratskonferenz der

EWG ausgesprochen, und auch die größten Pessimisten im Lager der Partner Frankreichs in der Wirtschaftsgemeinschaft konnten nicht umhin, eine „Entkrampfung“ gegenüber den letzten Jahren festzustellen. Den Ball nahm der in Sachen neuer Beitritte progressive holländische Außenminister Luns sofort auf und schlug als derzeitiger Präsident des Ministerrats, angelehnt an Brandts seinerzeitige Worte, vor,

• die Kommission solle ihre Stellungnahme zu den Problemen der Erweiterung der Gemeinschaft aktualisieren,

• der Ausschuß der ständigen Vertreter solle die vorbereitenden Arbeiten an der dreifachen Aufstellung aufnehmen, die der französische Außenminister Schumann mit der Notwendigkeit der Vollendung des gemeinsamen Marktes, den Modalitäten durch seine Vertiefung zur Wirtschaftsunion und den Bedingungen für seine Erweiterung umschrieben hat,

• und eine Konferenz der sechs Außenminister der deutsahen Bundesrepublik, Frankreichs, der Niederlande, Italiens, Belgiens und Luxemburgs Mitte September solle dann die europäische Gipfelkonferenz vorbereiten.

Das Veto Fanfanis

Wie schnell man nun plötzlich wieder in Brüssel nach jahrelanger Verzögerung zu arbeiten bereit ist, zeigt außer der Tatsache, schon im September eine Außenministerkonferenz abzuhalten, auch die Reaktion des Präsidenten der Kommisision, der seine Stellungnahme zur „aktualisierten“ Erweiterungsfrage der EWG ebenfalls bis Ende September zusagte.

Österreich muß handlungsfähig blei-

ben. Aus dieser plötzlichen Möglichkeit, die EWG zu erweitern, zeigt sich aber jetzt für österrreich die zwingende Notwendigkeit, nicht durch einen zu langen Wahlkampf 1969 und eine eventuell sich hinziehende Re-gierungsverbandlung 1970 für ein halbes Jahr und mehr in Richtung Europa handlungsunfähig zu werden. Vor allem müßten mit Italien, sobald dort wieder eine neue Regierung im Amt ist und die durch die Spaltung der SPI entstandene Krise beseitigt ist, erreicht werden, daß das Veto

Fanfanis endlich aufgehoben wird, das Österreich ein Arrangement mit Brüssel versperrt.

Dieses Veto wurde seinerzeit wegen der Sprengstofflanschläge in Südtärol ausgesprochen. Nun haben schon seit mehr als einem Jahr, nachdem auch von Österreich entsprechende Schritte unternommen wurden, keine „Dinamitardi“-Anschläge in Südtirol stattgefunden. Daher wäre es an der Zeit, daß Rom seine Worte, das Klima zu Österreich habe sich wesentlich verbessert, auch durch Taten untermauert. Das aber wäre eine Zurücknahme des Vetos.

Damit würde sich für Österreich auch

zeigen, wie groß angesichts der neuen Morgenröte wirklich seine Chancen in Brüssel sind.

Die Zeit drängt

Schumann forderte, die Gipfelkonferenz im Herbst in Den Haag müsse eine „dynamische Konzeption für die europäische Konstruktion“ bringen. In dieser Konstruktion darf aber ein wenn auch neutrales Österreich nicht fehlen. Und daher muß unsere Außenpolitk handlungsfähig bleiben. Denn auch andere Länder exerzieren

uns das vor. Die deutsche Bundesrepublik schreitet im Herbst zur Wahl, und auch die Italiener könnten, wenn auch die derzeitige Krise beigelegt wird, wieder zu den Urnen gehen müssen. Trotzdem wird in Brüssel weaiterverhandelt Gerade weil aber jetzt in der europäischen Hauptstadt wieder manches in Fluß kommt, sollte man in den Bestrebungen, an einem Vereinigten Europa teilzuhaben, im Lande selbst einig sein, und hier scheint uns der wichtigste Schritt, daß alle EWG-Fragen zwischen Regierung und Opposition gründlich, trotz der wahl-kampfüblichen Erhitzung des politischen Klimas, abbesprochen werden.

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