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Sternstunde der Selbstkritik
Schneller und deutlicher, als ich vor einigen Jahren noch Anlaß hatte zu vermuten, zeichnen sich nun die Konturen einer Welt ab, in der die inneren Beziehungen zwischen den politischen Kraftzentren in Washington, Moskau und Paris immer entscheidender werden für die Entwicklung. Da erhebt sich die Frage, ob es eine europäische Gruppierung mit der Möglichkeit zu einer Miteinflußnahme gibt. Doch man kann jedenfalls die Hoffnung hegen, daß die Söhne das werden schaffen können, wozu die Väter nicht mächtig waren!“ t
In diesen Worten des westdeutschen Außenministers Brandt drückt sich jene Grundstimmung am klarsten aus, die hinter vielen Erlklärungen von Staatsmännern, abgegeben vom 3. bis 7. Juli in und um Stockholm, zwar fühlbar, doch niemals klar greifbar war. Willy Brandts ausführliche und aufrichtig erscheinende Darlegung der europäischen Situation, vor einigen Journalisten am 6. Juli gegeben, fiel offenbar in eine Sternstunde der Selbstkritik und der nüchternen Betrachtung der Weltlage.
Schachfiguren...
Alles, was man von diesem Politiker-und Staatsmännertreffen in Stock-
holm und auf Herpsund erfahren konnte, bestätigt diesen Eindruck: Alle mittleren und kleineren Staaten sind mehr oder weniger nur Objekte der Politik geworden; eine bevorzugte und Sonderbehandlung Englands bei den EWGjErweiterungsge-sprächen wird es nicht mehr geben, wohl aber eine aus technischen Gründen bedingte Gruppierung der Aspiranten, die sich bemühen sollten, in ihren Reihen eine größtmögliche Übereinstimmung und Zusammenarbeit zu erreichen, da dies ihre Position bei den Verhandlungen nur stärken kann.
Zerbrochen scheinen auch die illusionären Vorstellungen Dänemarks, daß es durch die Betonung seiner uneingeschränkten EWG-Freundlichkeit eine Vorzugsschülerposition im Kreise der Außenstehenden erringen kann. Der Eifer de9 dänischen Europamarktministers Nyboe Andersen in dieser Richtung entspricht weder der Haltung der Regierung noch der Auffassung der Opposition. Jens Otto Krag, der dies betonte, dachte dabei sicher schon an eine künftige Regierungsverantwortung.
Drei Gruppen
Brandt sortierte die Länder außerhalb der EWG in drei Kategorien ein: In die erste gehören die sogenannten Mitgliedskandidaten, Großbritannien, Irland, Dänemark und
Norwegen. In der zweiten Kategorie befindet sich zur Zeit nur ein Land, nämlich Schweden, das die Form seines Anschlusses offen gelassen hat, und zur dritten Kategorie können Österreich, die Schweiz, Finnland und eventuell noch das eine oder andere Land gerechnet werden, das nur auf eine Assoziierung reflektiert. Doch ist es durchaus möglich, daß man schon bei der ersten Behandlung der Anschlußansuehen, die man für den Herbst dieses Jahres erwarten kann, auch die Einbeziehung beispielsweise der Schweiz diskutiert. Frankreich drängt auf eine Festigung der EWG, es ist jedoch heute auch geneigt, eine Erweiterung der EWG zu diskutieren — auch das kann ja als eine Verstärkung der EWG gedeutet werden. Innerhalb der EWG ist man sich heute darin einig, daß der weitere innere Ausbau und die äußere Ausweitung der Wirtschaftsgemeinschaft nur rwei Seiten ein und desselben Problemes sind.
Eine umfassende Änderung der französischen Außenpolitik nach de Gaulle erwartete keiner der auf Harpsumd versammelten Politiker. Eine gewisse Wiederannäherung an die USA war ja bereits unter de Gaulle erfolgt und geht nun weiter. Auch in bezug auf die Ostpolitik erwartet man kaum eine Pariser Kursänderung.
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