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In London hofft man, daß die Besprechungen zwischen Staatspräsident Pompidou und Bundeskanzler Kiesinger jetzt, da de Gaulle vom Schauplatz abgetreten ist, eine gewisse Klärung der französischen Haltung zur Frage der Einheit Europas und zu einer Aufnahme Großbritanniens in die EWG herbeigeführt haben. Kürzlich war in Meldungen jedoch von einer Äußerung des Bundeskanzlers die Rede, daß sich Großbritannien noch entscheiden müsse, ob es der EWG beitreten will oder nicht. Das hat hier einige Überraschung hervorgerufen; denn Regierung wie Opposition sind eindeutig für einen Beitritt, und das einzige Hindernis, das Verhandlungen im Wege stand, war de Gaulles Veto und vielleicht auch die Bereitwilligkeit anderer, sich diesem Veto zu fügen.

Powells Alleingang

Gewiß, in dieser Frage hat es in Großbritannien schon immer verschiedene Meinungen gegeben. In allen drei Parteien gibt es Kreise, die dagegen sind, daß Großbritannien der EWG beitritt, und manches deutet darauf hin, daß die Einwände gegen einen Beitritt, zumindest aber die Bedenken letzthin zugenommen haben. Auf dem letzten Jahreskongreß des Gewerkschaftsbundes TUC wurde eine Resolution, die sich gegen den britischen Aufnahmeantrag wandte und vielleicht angenommen worden wäre, im letzten Augenblick zurückgezogen. Und jetzt hat auf konservativer Seite Enoch Powell, einst ein Anhänger der Beitrittsidee, seine Bedenken zum Ausdruck gebracht. Wohlgemerkt: Powell gehört nicht mehr zum „Schattenkabinett” der Konservativen. Er ist ein Intellektueller und ein Einzelgänger, dem es bisher nicht gelungen ist, mit seinen ketzerischen Ansichten in verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Fragen viel Anklang bei der Bevölkerung zu fin den. Aber in der schwierigen Frage der Einwanderungen von Farbigen hat er sich ohne Zweifel zum Sprecher vieler Durchschnittsbürger gemacht, die in diesem Punkt Befürchtungen — oder Vorurteile — hegen, sosehr auch Powells Ansichten von der Regierung, der Führung der Opposition und der Mehrheit der Presse abgelehnt werden.

Da seine Stimme unter den Kritikern eines Beitritts zur EWG zur Zeit die mächtigste ist, wäre es denkbar, daß seine Haltung auch in der Europafrage eine Rolle spielen könnte. Er sagt jetzt, man habe die wirtschaftlichen Nachteile einer Nichtaufnahme Großbritanniens in die EWG übertrieben, und in politischer Hinsicht sei eine europäische

Integration, die Verzicht auf nationale Souveränität bedeutete, für die britische Wählerschaft vielleicht unannehmbar.

Europagedanke in Frage gestellt

Es ist gewiß richtig, zu sagen, daß im allgemeinen die britischen Parteien, die Wirtschaft und das Gros der öffentlichen Meinung, wie durch die Presse zum Ausdruck gebracht, für einen Beitritt sind. Vielen erscheinen die wirtschaftlichen Argumente noch immer unanfechtbar, um so mehr als keine realistische Alternative vorgeschlagen wurde. Zwar macht man sich gewisse Gedanken über die Agrarpolitik der EWG und über die Belastung, die sie für Großbritannien bedeuten würde. Aber man hofft, daß es innerhalb der EWG zu Änderungen kommt, die sie für Großbritannien akzeptabler machen. Im allgemeinen sind es die politischen Aspekte eines Beitritts, die keine sonderliche Begeisterung erregen. Man befürchtet, Großbritannien könnte seine alten Verbindungen zur englischspreohenden Welt und manches von seinen Traditionen und Institutionen verlieren. Und weithin wird jede Form von Föderalismus abgelehnt, besonders als Sofortprogramm. Anderseits aber wird von den Anhängern der Beitrittsidee oft betont, daß Großbritannien nur als Mitglied der EWG Aussicht hat, die künftige politische Entwicklung Europas zu beeinflussen

Wenn Großbritannien jetzt oder schon bald die Möglichkeit geboten würde, der EWG beizutreten, dann wäre es zweifellos dazu bereit — ob unter einer Regierung der Labour- Partei oder der Konservativen. Aber der Europagedanke in Großbritannien würde schwerlich eine dritte Abweisung überleben, und jede weitere Verzögerung durch die Sechs dürfte hierzulande die Einwände und Bedenken gegen einen Beitritt nur verstärken.

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