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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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WAS WIRD AUS WIEN! Im Schatten der Bundespolilik ist es beinahe in Vergessenheit geraten, daß Land und Stadt Wien seit den Gemeinderatswahlen im Oktober noch immer ohne gesetzlich bestellte Regierung ist. Die Verhandlungen im Wiener Rathaus schleppen sich lustlos dahin. Die sozialistische Rathausmehrheit erklärte zwar großzügig und großmütig die Gespräche führen zu wollen. Allein es scheint, daß dieser gute Vorsatz inzwischen etwas in Vergessenheit zu geraten droht. Vor allem wäre es ein Kardinalfehler, wenn bei den Wiener Sozialisten sich tatsächlich die Ueberzeugung breifmachen sollte, das Ergebnis der Landags- wahlen hätte vor allem die sozialistische Woh- nungspolifik und Wohnungsvergebung der Gemeinde Wien bestätigt. Hier könne also alles beim alten bleiben. Noch mehr: hier dürfe man nicht nur jeden sachlichen Reformvorschlag ablehnen, hier müsse man die Schraube sogar noch enger anziehen. Dies wäre ein Irrtum, der sich für die Wiener SPOe selbst früher oder später rächen würde. Ungeklärte Personalfragen spielen auf der Seite der Kontrahenten im Lager der Wiener Volkspartei wiederum eine nicht zu unterschätzende Rolle. Hier ein offenes Wort: Es bedeutet keineswegs eine Diskriminierung, wenn Männer, die über ein Jahrzehnt die Bürde der Verantwortung getragen haben, zurücktreten. Jetzt, am Beginn einer neuen Legislaturperiode des Gemeinderates, ist der dazu geeignete Zeitpunkt — nicht ein oder zwei Jahre vor dem nächsten Urnengang. Bei der Wahl ihrer Nachfolger werden fachliche Fragen eine große Rolle spielen ‘— allein auch auf die moralische Qualifikation dieses ode’ jenes nachrückenden Mannes wird man nicht zu gering achten dürfen. Was wird aus Wien? So fragt der interessierte politische Beobachten Was wird aus der Wiener OeVP? So fragt der Freund der ersten Regierungspartei.

ÖSTERREICH IN EUROPA: In der vergangenen Woche hat Oesterreichs Parlament eine von allen Seiten begrüßte Belebung erfahren, in der Debatte über Oesterreichs Beziehungen zur EFTA, der Freihandelszone der sieben, und zur EWG, zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. So einfach liegen die Dinge nämlich nicht, wie der Sprecher der FPOe, Gredler, sie gesehen haben will, der kurzerhand den Antrag stellte, die Bundesregierung soll die geeigneten Schritte für einen Beitritt Oesterreichs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ergreifen. Der deutsche, Minister Erhard hat fast zur selber .SJuflde,fünfhundert Whranda Repräsenfantery de? westdeutschen Wirtschaft darauf hingewiesen, daß die EWG nicht als ein Letztes, ein Ziel angesehen werden dürfe, und nicht nur in Italien, um nur ein anderes EWG-Land zu nennen, macht man sich Sorgen, daß die EWG eine Festung werden könne. Sehr treffend führte Bundeskanzler Raab in seiner Regierungserklärung aus, daß die verschiedenen Organisafionsformen der europäischen Integration nicht den Charakter des absolut Endgültigen, sondern eher den Charakter des Provisorischen, der sich weiterenlwickelnden Lösung zeigen, über die der Weg zu größeren Lösungen führen wird, in denen für die EWG ebenso Platz ist wie für die äußeren sieben, aber auch für jene Mitglieder der OEEC, die keiner der beiden Organisationen angehören. Der Weg zu dieser größeren Einigung, zu diesem größeren Europa ist noch weit: Eben deshalb müssen wir uns In Oesterreich in innenpolitischen Auseinandersetzungen von gefährlichen gegenseitigen Denunziationen fernhalten, nur dann dürfen wir hoffen, uns nicht selbst den Weg zu versperren. Zu dieser Einsicht sollten sich alle Demokraten in unseren Parteien durchringen: Denn die Freiheit Oesterreichs,

In einer Föderation der Völker Europas, wird erst gesichert sein, wenn EWG und Kleine Freihandelszone überwunden sind: In einem wirklich größeren Ganzen.

DER VORWAND. Der siebente Kongreß der ungarischen Kommunisten begann mit einem doppelten Knalleffekt: am Sonntagnachmittag traf unerwartet der vielgereiste Moskauer Parteichef mit seiner Gattin in Budapest ein und am darauffolgenden Eröffnungstag kündigte Janos Kadar an, dafj die sowjetischen Truppen „wegen der internationalen Lage" weiterhin im Lande bleiben werden. Am nächsten Tag trat dann als Kronzeuge Chruschtschow selbst auf. Man stehe vor Verhandlungen und die weltweite Entspannung zeichne sich bereits am Horizont ab, sagte er. Nur einer stemme sich gegen diese Entwicklung, der Kanzler der Deutschen Bundesrepublik, und er, Chruschtschow, könne nicht umhin, auf desien letzte Angriffe gegen die Sowjetunion zu antworten Warum sprach Chruschtschow ln Budapest fast ausschließlich nur über die „unnatürliche Lage" Berlins, über die Hitler- Generale in der Bundesrepublik und über die Notwendigkeit, mit beiden deutschen Staaten Friedensverträge abzuschließen. Weil ihm die Existenz des „Unruheherdes Deutschland" als der bequemste und auch historisch am meisten gerechtfertigte Vorwand erscheinen muß, um die weitere Anwesenheit der sowjetischen Truppen in Ungarn zu rechtfertigen. Niemals könnte er doch zugeben, daß die Sowjetunion ihrem

Nachbarland Ungarn,’ dieser wichtigen Bastion in ihrem westlichen Vorfeld, zumindest seit 1956 doch mißtrauen muß. Die Reden am Budapester Parfeikongreß enthüllten einen ebenso fatalen wie gefährlichen Sohwächepunkf im System dieser Riesenmachf: ihr westliches Vorfeld ist ungesichert. Die Abgrenzung gegen „rechts" — gegen den Revisionismus, Tito, westliche Nachbarn — muß der oberste Grundsatz bleiben. Die halboffene Flanke erschwert die Manövrierfähigkeit: schlechtes Omen für das kommende Jahr schicksalsbesfimmender Verhandlungen.

DER DEUTSCHE FAHNENSTREIT. „Zwei Fahnen wohnen, ach, in meine’ Brust", so hat man in Deutschland den makabren Streif glossiert, der um die deutsche Olympiamannschaft entstanden ist. Die gesamtdeutsche Olympiamannschaft, bestehend also aus den Mannschaften der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, soll nach Wunsch des Internationalen Olympischen Komitees unter der Fahne Schwarz-Rot-Gold mit den olympischen Ringen bei der nächsten Olympiade einziehen. Pankow hat sich mit dieser Farbregelung einverstanden erklärt, in Bonn aber hat ein Minisferraf diese Regelung als politisch untragbar erklärt. Der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Ernst Lemmer, hat jedoch offen gegen diesen Kabinettsbeschluß Stellung genommen, er hat, wie er selbst sagt,

„den Parfeihut in der Garderobe abgegeben" und auf dem Jahreskongreß des Kuratoriums Unteilbares Deutschland in Berlin erklärt: „Wir sollten kein falsches Prestige haben. Wir dürfen nicht zu unserem eigenen Schaden in zwei deutschen Blocks zu den Olympischen Spielen kommen." Beachtung verdient da der Vorschlag eines führenden westdeutschen Publizisten: „Wäre es nicht besser, auf die Fahne zu verzichten? Laßt doch dieses geteilte Deutschland luTOiqSfiiöflr gesarajdeutsftbejr.j Aann-

schieren — so, wie es ohne Kopfbedeckung einmarschieren muß, weil sich die beiden Olympischen Komitees bei der Beratung der Kosfüm- frage über eine solche nicht zu einigen vermochten."

SORGE UM ASIEN UND AFRIKA. Die eben veröffentlichte Missions-Enzyklika des Papstes Johannes XXIII. gibt zwei großen Sorgen des Heiligen Vaters Ausdruck: der Sorge um die Bildung einheimischer geistlicher FüRrungskräfte in den Entwicklungsländern und der Sorge um eine verstärkte Laienarbeif bei der Glaubensverbreitung. Wohl sind in den letzten dreißig Jahren große Fortschritte gemacht worden. 68 Asiaten und 25 Afrikaner haben in dieser Zeit den Bischofsstab erhalten. Dringend notwendig für die Zukunft ist aber die Heranbildung eines einheimischen Klerus in asiatischen und afrikanischen Seminaren, eines Klerus, der den großen Gefahren der Gegenwart und Zukunft gewachsen ist, zumal den Exzessen des Nationalismus. Den Laien in aller Welf ist die Unterstützung der Mission anvertrauf: sie haben die christlichen Prinzipien in der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Evolution der Entwicklungsländer zu verwirklichen. Der „gute Kampf für den Glauben" soll nicht nur im „Geheimen des Gewissens, in der Ver’rautheit des Familienkreises, sondern im öffentlichen Leben in all seinen Formen" gekämpft werden. — Diese Enzyklika ist im Zusammenhang mit den Vorbereitungen des Konzils zu verstehen: der römische Katholizismus kann in eben diesen unseren Jahren, in denen er beginnt, Weltkirche mehr als zuvor zu werden, Kontinente verlieren, wenn sich die nationalen Sekten und religiös-politischen Sonderbildungen durchsetzen, die krebsartig aus dem Boden schießen. Weltpolitisch heikel ist in diesem Sinne die Situation: die junge Kirche in Asien und Afrika braucht einerseits Führung und Geleit, durch die Mutterkirche in Rom, kanrf anderseits jedoch sich nicht wirklich einwurzelnj wenn ihr nicht Führungskräfte aus den Völkerif selbst erwachsen.

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