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Elastisch bleiben!

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Es ist gerade in der letzten Zeit schon soviel über die spezifisch österreichischen Probleme im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen EFTA und EWG geschrieben worden, daß es sich eigentlich erübrigt, nochmals eine umfassende Darstellung des gegenwärtigen Zustandes zu geben. Inmitten der teilweise nicht gerade mit großer Objektivität geführten Auseinandersetzung erscheint es jedoch wichtig, einige grundsätzliche Fragen wirklich objektiv zu untersuchen. Zunächst einmal die Frage: Was hätte Österreich eigentlich überhaupt tun können? Die Antwort darauf lautet: Wenn es überhaupt etwas unternehmen wollte, so konnte es sich nur der EFTA anschließen. Der bedingungslose Beitritt zur EWG — und nur dieser wurde ihm angeboten — war sowohl aus rechtlichen wie aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus einfach nicht möglich, rechtlich deshalb, weil er mit der Neutralität unvereinbar war, wirtschaftlich deshalb, weil jede Regierung hinweggefegt worden wäre — dies gilt für alle Staaten! —, welche als Preis für die Durchführung eines ideologischen Konzeptes ein starkes Anwachsen der Arbeitslosenzahl auf sich genommen hätte. Es ist außerdem nicht unwahrscheinlich, daß eine Verhandlung in Gruppen eher zu Resultaten führen könnte als Einzelverhandlungen. Die bisherigen Erfahrungen scheinen eher dafür zu sprechen, daß diese Argumentation trotz des wenig homogenen Charakters der EFTA-Gruppe viel für sich hat. Das Entgegenkommen des Vorläufers der EWG, nämlich der Montan-Union, war bis jetzt äußerst gering, und sowohl Griechenland als auch die Türkei haben in Einzelverhandlungen mit der EWG bisher so gut wie nichts erreicht.

Natürlich wäre es am besten gewesen, eine Lösung innerhalb der gesamten OEEC zu finden, und dies wird wahrscheinlich, auf längere Sicht gesehen, so0ar nicht nur die beste, sondern vielleicht die einzig mögliche sein. Es kann deshalb gar nicht genug davor gewarnt werden, die OEEC, die man gewiß irgendwie umgestalten muß, etwa zu entmachten oder zu einem Schattendasein zu verurteilen.

Was nun den Vorwurf der mangelnden Homogenität der EFTA anbelangt, so ist es gewiß richtig, daß England mit den drei skandinavischen Staaten von Natur aus wie durch Verträge ebenso wie die drei skandinavischen Staaten untereinander wesentlich enger verbunden sind, als dies mit anderen Staaten der EFTA der Fall ist. Ebenso sicher ist aber, daß auch die Homogenität der EWG vieles zu wünschen übrig läßt. Wer könnte leugnen, daß Frankreichs positive Stellung gegenüber der EWG durch den großen Fonds für unterentwickelte Gebiete und die Aussicht auf Kredite aus der EWG-Bank maßgeblich beeinflußt worden ist? Wer könnte leugnen, daß im Gegensatz zu Frankreich, Deutschland und Belgien, Luxemburg, Italien und die Niederlande zumindest im montanistischen Sektor keine nennenswerte Eigenproduktion von Kohle, Eisen, Stahl und Legie-lungsmetallen aufweisen? Wer könnte bestreiten, daß Belgien auf Jahre hinaus ein von der Montan-Union subventioniertes Land darstellt, bei dem auf lange Zeit die Mittel zu weitgehenden strukturellen Umstellungen aus den Erträgnissen anderer Länder genommen werden müssen? Wer kann gerade in diesem Zusammenhang bestreiten, daß diese Subventionierung keineswegs dem Ideal größerer. Wirtschaftsfreiheit entspricht, daß sie aber gerade mit Rücksicht auf die Vollbeschäftigung zu einer Existenzfrage für jede belgische Regierung geworden ist?

An den beiden Vertragswerken selbst ist die Iegistische Konstruktion interessant. Bekanntlich ist schon die Havanna-Charta seinerzeit vor allem daran gescheitert, daß sie in mehr als zweihundert Artikeln zu viele Probleme unelastisch regeln wollte, während das GATT, das die Havanna-Charta abgelöst hat, nur ein Fünftel der Artikel der Havanna-Charta aufwies und sich gerade dadurch eine Elastizität bewahrte, die zu ihrer wirklichen Realisierung geführt hat. Ähnlich liegt aber auch die Sache zwischen EWG und EFTA. Der EFTA-Vertrag hat nur 44 Artikel gegenüber 248 (!) Artikeln des EWG-Vertrages. Wer also annimmt, daß Elastizität ein Vorteil sei und daß Reglementierung nicht um ihrer selbst willen betrieben, werden soll, wird darin zweifellos einen Vorzug der EFTA erblicken können, der sie allerdings noch lange nicht zu einem Idealinstrument, ohne Nachteile und nur mit Vorteilen versehen, stempeln muß.

Ebenso unrichtig wäre es aber auch, die B e-deutung der EFTA für Österreich zu unterschätzen. Gewiß beträgt das Außenhandelsvolumen Österreichs“ gegenüber der EFTA nur etwa ein Drittel gegenüber der EWG. Es ist auch sicher, daß eine Ausdehnung des Handelsvolumens Österreichs gegenüber der EFTA als vollständiger Ersatz gegenüber der EWG nicht denkbar ist. Wohl aber ist eine sehr nennenswerte Ausdehnung durchaus nicht ausgeschlossen, was besonders für den Fall gelten würde, als England bereit wäre, seine EFTA-Partner wenigstens bis zu einem gewissen Grade an den Ottawa-Präferenzen teilhaben zu lassen. Es darf auch nicht übersehen werden, daß zwar die EFTA nur die Hälfte der Einwohnerzahl der EWG besitzt, daß sie aber immerhin zwei Drittel des Volkseinkommens und drei Viertel des Handelsvolumens der EWG aufzuweisen hat. Sie ist also keineswegs eine quantite negligeable. Selbst eine nicht allzu große Erweiterung des Handelsvolumens Österreichs mit den EFTA-Staaten würde zu einer wesentlich besseren Streuung des Außenhandels Österreichs führen, als dies bisher der Fall war.

Der ganze Streit zwischen EWG und EFTA weist ja für Österreich vor allem doppelt stark auf. mifmiVA. % eine all z ü e i n e ei t i g n V B i h d u n g e n i n-zg eh e nnd' möglfchsWelseitige aüßenwirt-schaftlieheBeziehungen“ zu unterhalten, eine Tatsache, die für Österreich nicht bloß wichtig„ sondern schlechtweg lebensnotwendig ist. Österreich befindet sich außerdem keineswegs etwa in einem Zustand ausschließlich einseitiger Abhängigkeit; Es ist gegenüber den meisten EWG-Staaten in noch höherem Ausmaße Importeur als Exporteur und daher keineswegs wehrlos.

Daß man solche Dinge überhaupt erörtern muß und daß es überhaupt zu diesem Konflikt kommen konnte, ist mit ein Zeichen dafür, um wieviel wünschenswerter es gewesen wäre, wenn man die Lösung im Rahmen der OEEC gefunden hätte oder im Rahmen einer modifizierten oder erneuerten OEEC noch finden könnte. Vor allem aber muß immer wieder betont werden, daß auch die europäische Wirtschaftsintegration keineswegs ein rein materielles Problem, sondern in mindest ebenso hohem Grade ein ideelles Problem ist. Alle diese Fragen lassen sich nur in wahrhaft europäischem Geiste regeln, und es darf ohne Überheblichkeit gesagt werden, daß Österreich zu wiederholten Malen zumindest ebensoviel europäischen Geist, der schon seiner alten Tradition entspricht, gezeigt hat wie andere europäische Staaten.

Nicht abwegig' erschiene auch der Gedanke, daß die V e r e i n i g t e n S t a a t e n, die schon einmal im Marshall-PIan zur Erhaltung Europas und des europäischen Geistes soviel beigetragen heben, auch jetzt eine entscheidende Rolle spielen könnten. Gerade sie in ihrer stark föderalistischen Tradition könnten für die Notwendigkeit eines gewissen Eigenlebens der Partner das nötige Verständnis aufbringen, die Notwendigkeit eines hohen Ausmaßes von Elastizität erkennen und ihre Hilfe bei den notwendigen strukturellen Veränderungen zur Verfügung stellen. Die Vereinigten Staaten müssen im eigensten Interesse aufs höchste daran interessiert sein, daß ein europäischer Wirtschaftszusammenschluß wahrhaft organisch und unter Berücksichtigung des notwendigen Grades von Eigenleben auf wirtschaftlichem Gebiet vor sich geht, daß nicht durch irgendwelche Wellen von Arbeitslosigkeit die wirtschaftliche und politische Existenz der europäischen Demokratien in ihren Grundfragen berührt und einigende Momente nicht erzwungen oder gewaltsamerweise unter Zeitdruck gestellt werden dürfen.

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