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Randhemerkungen zur woche

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„DURCH DIE FLAMMEN der großen sozialistischen Oktoberrevolution wurde Oesterreich-Ungarn in seinen Fundamenten berührt“, schrieb kurzlich das „Rüde Prdvo“. .Ohne die große Oktoberrevolution gäbe es keine selbständige Tschechoslowakei“, behauptete Kleinem Gottwald in einer seiner Reden. Hatte noch Masaryk in seinen Memoiren erklärt, die Tschechen verdanken ihre politische Selbständigkeit in erster Linie Frankreich, England, Amerika, Italien — kurz dem Westen, so stellt ihm Gollwald die Behauptung entgegen: „Endlich ist die ialsche geschichtliche Fiktion zerlallen, als ob die Westmächte nach dem ersten Weltkrieg ireiwillig, sozusagen wegen der schönen Augen der Tschechen und Slowaken, die Tschechoslowakei eitichtet hätten. Im Gegenteil, die historische Wahrheit hat sitli durchgesetzt, daß unter dem Einiluß der Oktoberrevolution, unter dem Einiluß der auiwühlenden Worte Stalins die revolulionäte Bewegung der breiten Massen des tschechoslowakischen Volkes die Tschechoslowakische Republik geschalten hat.“ Der Donnerschlag der russischen Revolution — so schrieb am 4. November des vorigen Jahres das .Rüde Prdvo“ — hat auch die Fundamente der vermoderten österreichischungarischen Monarchie sowie der übrigen veralteten Institutionen Europas zermalmt. Zdenek Solle, ein Vertretet der jüngsten tschechischen „Historiker'generation, kommt in seinem kürzlich veröllentlichlen Werk über die Arbeiterbewegung in den böhmischen Ländern während des imperialistischen Weltkrieges zd dem Ergebnis: „ÖeneS und die übrigen Anhänger friasaiyks stimmten hoch nach dem 28. Öktöbet 1918 tiarin überein, daß der selbständige tschechische Staat ein Bestandteil eines reformierten Oeslerreichs sein soll, ganz gleich, wie sein Name und seine Staatslorm sein wird.“ Nunmehr beiaßt sich in deutscher Sprache Karl Kreibich, einst k. k. Oberleutnant, später Redakteur des Relchenberger „Vorwärts“ und schließlich eine Zeitlang tschechoslowakischer Botschalter in Moskau, mit den Ereignissen des Jahres 1918: „Eiri Reich zerlällt“ — „Das wahre Gesicht des 26. Oktober“ — „Deutschböhmen“ sind die Kapitel seiner Arbeit, die ollenbar den neuesten Stand der „Forschung“ wiederzugeben bemüht ist. In seiner Beleuchtung war tier 28. Oktober in Prag, soweit er das Werk des Nationalausschusses war, keine Revolution, sondern „eine mit Wien vereinbarte Maßnahme zur Verhütung einer Revolution“. Und als besonders verabscheuungswürdige Tat des Nationalausschusses als der neuen Regierung prangert Kreibich die Tatsache an, daß sein erstes Gesetz die Weilergcllung der österreichischen Rechtsordnung vertagte. Kreibich nennt sein Werk: „Wie ein Volk betrogen Wurde* — er hätte es in erster Linie aui seine Arbeit beziehen Und richtiger sagen müssen: „Wie das Volk betrogen wird“.

DIU REISE KONIGIN ELISABETH II. wird den Zusammenhalt auch der entlegensten Teile der englischsprechenden Teile des Commonwealth eindrucksvoll manifestieren. Aber auch in vielen, nationaler Agitation weniger zugänglichen Gebieten fremder Zunge und Rasse wird die junge Herrscherin mit Loyalität Und Ehrerbietung aufgenommen werden. Wichtige Teile des Commonwealth wird das Haupt dieser Völkervereinigung nicht besuchen. So Indien, das als Republik dem Commonwealth angehört, aber auch Pakistan, das sich eben als „islamische Republik Pakistan“ neu konstituiert hat und nur noch durch einfachen Staatsvertrag mit dem Commonwealth verbunden bleibt. Auch Kapstadt wird die „königliche Barke“ nicht anlaufen. Die burisch regierte „Union 0/ South-Airica“ will ihre Beziehung zum Commonwealth auf die vorläufig unabänderliche Zugehörigkeit zum Sterling-block zurüekeehrauben, Soll hier euch Britisch-Guayana genannt werden, dessen aufrührerische Regierung vor kurzem von London aus entfernt wurde? Seltsam muß es schließlich befühlen, daß Ceylon, ein wichtiger Haltepunkt auf der Reise der Herrscherin, das derzeit noch „Dominion“ ist, durch einseitigen Beschluß seiner Regierung die britische Flagge und Nationalhymne abgeschafft hat. Auch hier reift eine Republik heran, öle feierlichen Klange es *Göd save the Queen“, jedem britischen Herzen teuer, werften Biso wohl kaum noch erklingen, wenn die Herrscherin in ihrem Dominion Ceylon den fuß ans Land setzt — es sei denn, dies geschehe aus Ritterlichkeit und Respekt, die dem c&yimesi-schen, in England erzogenen Premier wohl zuzutrauen wären. , ■ . *

FÜNF AUSSENMINISTER VON „KLEINEUROPA“, also der Staaten der Europäischen Kohle- und Stahlgemeinschafl, waren im Hüag zu einer Konferenz zusammengekommen — ihr sechster Kollege, der französische Außenminister Georges Bidault, traf nach einer nächtlichen Eisenbahnfahrt erst zur Schlußsitzung ein, nachdem ihm das Vertrauensvotum der französischen Nationalversammlung dies ermöglicht hatte. Die Aufgabe' der Konferenz war es, die Arbeit zur Bildung einer europäischen politischen Gemeinschaft zunächst der sechs Staaten aui jener Basis fortzusetzen, die, nach der Absicht früherer Beschlüsse, im Frühherbsl in Rom von den Ministerstellvertretern formuliert und der Ministerkonlerenz unterbreitet wurde. Die Minister Ihrerseits waren nun übereingekommen, zunächst jene Punkte zu bestätigen, über die bereits in Rom Uebereinstimmung erzielt wurde. Diese waren: Der Beschluß über die Schaffung einer Versammlung und einer Hohen Kammer. Erstere würde die Völker, letztere die Staaten der Gemeinschalt repräsentieren. Die erste Kammer der Völker würde auf Grund allgemeiner direkter Wahlen einberufen werden. Im weiteren wurde dann die Frage des ausführenden Organs, ob nämlich dieses eine neue, .übernationale“ Körperschalt oder, wie dies die Franzosen wünschen, ein Rat der sechs Minister sein sollte, diskutiert. Die politische Gemeinschalt würde, so heißt es, sowohl die Europäische Kohle- und Stahlgemeinschatt, als auch die noch umstrittene Europäische Verteidigungsgemeinschaft umfassen. Die .Bearbeitung dieser Pläne ist Aufgabe eines Experten-komilees, das einer weiteren Ministerkonfe-rehz Ende März, diesmal in Brüssel, berichten soll. Nun, wahrlich ein bescheidenes Ergebnis! Doch der Umstand, daß eine zeitweilige Ohnmacht der iranzösischen Außenpolitik, demonstriert durch den erbitterten Kampf im Palais Eourbon, jeden Fortschritt von vornherein unmöglich machen mußte, zeigte nunmehr klarer als je, daß Etankreich in Europa die Schlüsselstellung innehat, wobei es keine realistische Europapolitik geben kann, die dem langsamen Gärungs- und AUsscheidungsprozeß im französischen politischen Leben nicht Rechnung tragen will. Als dann gegen Ende der Tagung ein noch mächtigerer Schatten auf den grünen Tisch im Haager Rittersaal hei — der von der jüngsten russischen Note —, dann Wußte man auch und mit einem Mal, daß eine europäische politische Gemeinschalt zu ihrer Verwirklichung vor allem ein und dasselbe braucht, wie das diesmal vielleicht doch zustande kommende Ost-Wesl-Gespräch, und wie auch die begonnenen Saar-Gespräche zwischen Bidault und Adenauer: nämlich Zeit! Diese wurde im Haag gewährt.

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