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Afrikas Angst vor Europa

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Nirgendwo sonst auf der Welt werden Wirtschaftsgemeinschaften so oft gegründet, aufgelöst und neu zusammengestellt wie in Afrika. Zum einen sind es Versuche, die in der Kolonialzeit entstandene Zersplitterung von wirtschaftlichen, ethnischen und kulturellen Einheiten zu überwinden. Zum anderen wissen die Afrikaner ganz genau, daß große Regionalmarkte für auslandische Investoren eine höhere Attraktivität haben. Andererseits mangelt es ihnen oft an dem politischen Willen, die nötigen administrativen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für solche Wirtschaftsgemeinschaften zu schaffen. Der Zusammenschluß der EG zu einem Binnenmarkt bringt allerdings wieder Bewegung in die afrikanische Integration.

Nach den in den sechziger Jahren entwickelten Gardiner-Leitlinien -benannt nach, dem damaligen Direktor der UN-Wirtschaftskommission für Afrika - sollten die afrikanischen Staaten die Gründung von vier Wirtschaftsblöcken anstreben: jeweils einen Block für Nord-, Zentral-, West- und für Südost-Afrika.

Der Lagos-Plan von 1980 sah sogar die Gründung einer gesamtafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft bis zur Jahrhundertwende vor.

Ausgehend von diesen Planen wurden tatsächlich zahlreiche regionale Wirtschaftsgemeinschaften gegründet. Die wichtigsten davon sind:

• Maghreb -Staaten: Sie umfassen seit Anfang 1989 neben den drei Gründungsmitgliedern Marokko, Algerien, Tunesien auch die beiden nordwestafrikanischen Staaten Mauretanien und Libyen. In dieser Region leben insgesamt knapp 60 Millionen Menschen auf etwa sechs Millionen Quadratkilometern. Frühere Versuche zur Gründung eines gemeinsamen Marktes waren durch die Rivalitätskämpf e zwischen Algerien und Marokko um die Vorherrschaft im Maghreb gescheitert.

• Economic Community of West African States (ECOWAS): Die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikas wurde 1975 gegründet und umfaßt 16 Staaten mit einer Gesamtbevölkerung von etwa 150 Millionen auf etwa sechs Millionen Quadratkilometern. Die Länder haben insgesamt ein Bruttosozialprodukt (BSP) von rund 96 Milliarden US-Dollar. Das wirtschaftliche Gefälle innerhalb des Bundes ist allerdings beträchtlich:

Das durchschnittliche BSP pro Kopf reicht von 150 US-Dollar in Burkina Faso bis zu 730 US-Dollar an de Elfenbeinküste.

Innerhalb der ECOWAS sind weitere Untergruppierungen wie beispielsweise die Communaute economique de l'Afrique de l'Quest (CEAO) zwischen den sieben frankophonen Staaten Westafrikas und die Mano River Union (MARIUN) zwischen den drei Anrainerstaaten Guinea, Sierra Leone und Liberia aktiv. Weitere Zusammenschlüsse gibt es zwischen den Sahelstaaten und den Flußbeckenländern Senegal, Gambia und Niger.

• Communaute economique des Etats de l'Afrique Centrale (CE-EAC): Die zentralafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft entstand erst 1983. Die zehn Mitgliedsstaaten dieser Gruppe haben eine Bevölkerung von 60 Millionen auf einer Gesamtfläche von 5,4 Millionen Quadratkilometern. Ihr gesamtes Bruttosozialprodukt beträgt etwa 21 Milliarden US-Dollar.

• Southern AfricanDevelopment Cooperation Conference (SADCC): Die 1979 entstände Gruppierung von neun Staaten im südlichen Afrika umfaßt insgesamt 61 Millionen Menschen auf einer Gesamtfläche von etwa 5,8 Millionen Quadratkilometern. Hauptziele der Konferenz zur wirtschaftlichen Kooperation im südlichen Afrika sind der Aufbau der Infrastruktur und die Koordinierung von Industrieprojekten, um die Abhängigkeit von Südafrika zu verringern.

Die SADCC ist im Grunde genommen ein Überbleibsel der Pre-f erential Trade Area f or Eastemund Southern Africa (PTA) - einem lc— sen Zusammenschluß von 15 Staaten im öst liehen und südlichen Afrika. Längst Geschichte ist auch die Ostafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (EAC) zwischen Kenia, Uganda und Tansania.

Das Scheitern dieser Organisationen war - nicht zuletzt aufgrund fehlender Mittel für die schnell ausufernde Bürokratie - programmiert: Viele dieser Wirtschaftsgemeinschaften wurden zwischen Staaten angestrebt, deren Produktionsstrukturen sich nicht ergänzten. Vielmehr hatten sie in der Regel ähnliche Erzeugnisse (Agrarprodukte und Rohstoffe) anzubieten -ein Austausch erübrigt sich mithin.

Die Außenhandelsbeziehungen beschränkten sich in der Folge auf den Handel mit der früheren Kolonialmacht. Die gesamte Infrastruktur war ohnehin darauf ausgerichtet: Telekommunikation, Verkehrsund Finanz-Verbindungen mit dem Ausland liefen über die Hauptstadt der früheren Kolonialmacht. Dies bestimmt die Handelsströme des jeweiligen Landes bis heute. Die Statistik Üef ert hierzu eine eindeutige Bestätigung:

Von den gesamten afrikanischen Exporten im Wert von 51 Milliarden US-Dollar (1987) gingen nur 2,5 Milliarden Dollar oder 4,9 Prozent an andere afrikanische Staaten. Der „Rest“ wurde überwiegend mit westlichen Industriestaaten abgewickelt.

Hinzu kam: Den Bekenntnissen der afrikanischen Staatsmän n er zur Zusammenarbeit folgten nach der Gründungs-Euphorie selten Taten.

• Keine Regierung war beispielsweise ernsthaft an der Abschaffung von Zollschranken interessiert.

• Die örtlichen Industriebetriebe produzierten weit unter ihrer Kapazität, weil ihnen Devisen für den Import von Vorprodukten und Ersatzteilen fehlten.

• Die ausländischen Unternehmen waren eher daran interessiert, ihre lokalenMonopolstellungenund Privilegien auszubauen, als einen erweiterten Markt anzustreben.

Darüber hinaus wurden Integrationsbestrebungen der afrikanischen Staaten von den ehemaligen Kolonialmächten mit Mißtrauen beobachtet.

Zusammenschlüsse zwischen den anglophpnen und frankophonen Staaten Afrikas waren bis zum bri-tischenEmtrittindieEGsogarvöllig unmöglich.

In jüngster Zeit haben die Handelsdefizite der afrikanischen Staaten und die Angst vor einer „Festung Europa“ den Wunsch nach einer wieder engeren regionalen Wirtschaftskooperation verstärkt.

Die afrikanischen Staaten fürchten nicht nur, wichtige Exportmärkte in Europa zu verlieren—sie haben auch Angst vor entwicklungspolitischen Nachteilen.

Die Alimentierung ehemaliger Kolonialgebiete durch einzelne EG-Mitglieder dürfte ab 1993 schwieriger werden. Frankreich kauft heute beispielsweise noch bevorzugt Kaffee in den frankophonen Staaten zu garantierten Preisen und zu einem festen Wechselkurs ein.

Von einem engeren Zusammenrücken versprechen sich die afrikanischen Länder vor allem dreierlei:

1. Eine koordinierte Industriepo-litik mit entsprechender Arbeitsteilung und kostengünstiger Massenproduktion.

2. Eine größere Attraktivität für ausländische Investoren aufgrund größerer ökonomischer Märkte.

3. Eine verbesserte Verhandlungsposition gegenüber Industriestaaten und internationalen Institutionen wie beispielsweise der Weltbank.

Zwei große Wirtschaftsgemeinschaften in Afrika, die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrika (ECOWAS) und die Konferenz für Wirtschaftskooperation im südlichen Afrika (SADCC), haben bereits Nägelmit Köpfengemacht und sehr ehrgeizige Entwicklungsprogramme ausgearbeitet. Das ECOWAS-Sekretariat veröffentlichte 1987 ein wirtschaftliches Aufbauprogramm in Höhe von 920 Millionen Dollar. Es wurden 108 nationale und regionale Projekte ausgearbeitet, die für die Entwicklung des gesamten Gebietes von Bedeutung sind. Davon waren 64 Projekte für die ländliche Entwicklung, 23 für den industriellen Sektor und 21 für das Transport- und Fernmeldewesen bestimmt.

Die ECOWAS will den Finanzierungsbedarf der Projektpläne durch Aufstockung' des Entwicklungsfonds der Gemeinschaft, die Öffnung des Fonds für außerregionale Länder und Institutionen, enge Kooperation mit der Afrikanischen Entwicklungsbank und der Weltbank decken.

Die SADCC-Staaten legten auf einer Konferenz von Geberländern vor einem Jahr ein Aufbauprogramm mit einem Finanzierungsbedarf von 6,4 Milliarden Dollar vor. Zusagen für Unterstützung in Höhe von einer Milharde wurden gemacht, Zu den wichtigsten Projektplänen der SADCC-Staaten gehören die Instandsetzung der Bengual-Eisen-bahn und der angolanischen Häfen, die Förderung des regionalen Handels, die Harmonisierung der Inve-stitions- und Industriepolitik und die Reduzierung der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Südafrika.

Die Gefahr, daß die Zusammenarbeit erneut scheitert, ist diesmal geringer. Die vereinbarten Projekte sind durchaus realisierbar. Mit den politischen Absichtserklärungen früherer Jahre haben sie nichts mehr gemein.

Aus: „Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft', Köln, Nr. 26 vom 29. Juni 1989.

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