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Kommt „Groß-Ostafrika“?

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Im „Afrikajahr“ 1960 haben 17 neue afrikanische Staaten die Unabhängigkeit erlangt. Nachdem im Februar eine Volksabstimmung über die Zukunft des britischen Mandatsgebietes von Kamerun entschieden hat, vollendet die am 27. April erfolgende Unabhängigkeitserklärung von Sierra Leone in der Westhälfte des Kontinents die „Entkolonialisierung“ der größeren Territorien. Darnach werden auf dem afrikanischen Festland nördlich des Kongos nur noch die kleinen Gebietsenklaven des spanischen und des portugiesischen Guinea sowie das britische Gambia — von den spanischen Besitzungen an den Grenzen

Marokkos abgesehen — politisch vor europäischen Kolonialmächten abhärr gig sein. Dies läßt als hauptsächlich« Liquidationsmasse der EntkolonialL sierung die britischen Protektorats, gebiete im östlichen Afrika zurück die von Äthiopien bis zum Limpopofluß, der Nordgrenze der Südafrikanischen Union, reichen.

Auch hier ist der „Tag X“ dei kommenden Kettenreaktion bereits feststehend. Am 28. Dezember 1961 wirt das aus der einstigen Kolonie Deutsch- Ostafrika hervorgegangene britisch« Mandatsgebiet Tanganjika unabhängig und die Unabhängigkeitserklärunj ihres, unter belgischer Treuhandschaft stehenden Teiles, Ruanda-Urundi, soll Anfang 1962 erfolgen. Dies bedeutet, daß die „Uhuru“, wie Freiheit in det fluahelisprachje heißt,'- aucte- für die Nachbarländer nicht mehr fern ist.

Mau-Mau und Minderheiten

Tanganjika hat eine verhältnismäßig ruhige Entwicklung zur politischen Selbständigkeit durchgemacht, und sein nunmehriger Erstministei Julius Nyerere die tragenden Kräfte des Landes in der „Tanganyika African National Union“ (TANU) zu sammeln und in dieser Bewegung sogai Platz für Europäer und Asiaten zu schaffen gewußt, die den „afrikanischen Charakter“ des Landes bejahten. Im Gegensatz dazu hat das nördliche Kenia ein Jahrzehnt der Erschütterung infolge des berüchtigten Mau-Mau- Aufstandes durchlebt. Die Freilassung Jomo Kenyattas, der als sein „geistiges Haupt“ fünf von sieben Jahren über ihn verhängter Gefängnishaft abbüßte und sich seither in überwachtem Zwangsaufenthalt befindet, bildet eine noch ungelöste Streitfrage zwischen der Kolonialverwaltung und den afrikanischen Führern, die in ihm einen Freiheitshelden erblicken. Ein Jaht nach der Keniakonferenz in Lancaster House hat Kenia im Februar sein erstes Parlament mit afrikanischer Mehrheit erwählt! Bei diesen Wahlen errangen von 33 an Afrikaner vergebenen Sitzen die „Kenya African National Union“ (KANU), die sich auf die größten Völker Kenias, die Kikuyu und die nilotischen Luo stützt, 16, die „Kenya African Democratic Union“ (KADU) zehn Sitze. In ihr hatten sich eine Anzahl kleinerer Völkerschaften gegen die drohende Vormacht der stärkeren Volksgruppen zusammengeschlossen. Dieser Gegensatz ändert nichts an der Perspektive, die Afrikaner vereint gegen die nichtafrikanischen Minderheiten (65.000 Europäer, 165.000 Inder und Pakistaner und 35.000 Araber) zu sehen, in deren Händen sich der Wohlstand des Landes konzentriert und ohne die die Wirtschaft Kenias wahrscheinlich gegenwärtig zu ähnlichem Zusammenbruch verurteilt wäre wie heute der Kongo. Darum kann es, auch nach der Aufhebung der Sperre der sogenannten „weißen Hochlandreservationen“ mit einer einfachen Übergabe der Macht in die Hände einer Schichte afrikanischer Führer nicht sein Bewenden haben. Die Hindernisse, die bis zum von London genannten Endtermin der Verselbständigung Kenias — 1965 —

überwunden werden müssen, sind mit und ohne Kenyatta und der Drohung neuer gewaltsamer Ausschreitungen gegen die Minderheiten — nicht gering.

In verkleinertem Maßstab stellt übrigens das islamische Sultanat von Sansibar, wo neben 47.000 Arabern und 20.000 Indern eine knappe Viertelmillion Afrikaner lebt, vor ähnliche Probleme.

Uneiniges Uganda

Weniger bekannt in Mitteleuropa sind bisher die Probleme Ugandas geblieben, das in der Zeit des großen „Wettlaufes um Afrika“ beinahe deutsch geworden wäre. Uganda mißt nur zwei Fünftel der Fläche Kenias und weniger als ein Viertel der Tanganjikas, zählt aber mit nahezu sechs Millionen Einwohnern, wie das südlich angrenzende Ruanda-Urundi, zu den dichtestbevölkerten Teilen des Schwarzen Erdteils. Die unter dem Namen Uganda (das heißt „Land der Ganda“) zusammengefaßten und in vier Provinzen geteilten Gebiete sind in mehrerer Hinsicht stark voneinander verschieden. Die Südprovinz, Buganda, mit mehr als eineinhalb Millionen Bewohnern, bildet den historischen Staat des Gandavolkes, unter der Herrschaft einer in das 16. Jahrhundert zurückreichenden einheimischen Dynastie. Ihrem fürstlichen Herrscher, dem Kabaka, zur Seite stehen eine von ihm ernannte Landesregierung und ein einheimischer No- tablensenat, der Lukiko. Im Verband des britischen Protektorats Uganda bildete Buganda so einen teilautonomen Schutzstaat, nicht anders als die drei kleineren Fürstentümer Toro, Ankole und Bunyoro der Westprovinz. Im Gegensatz zu Ruanda-Urundi sind die — rassisch verschiedenen — Ober- und Unterschichten dieses Gebietes stärker verschmolzen. Dagegen wird die Nordhälfte Ugandas überwiegend von Völkern bewohnt, die nicht nur ohne eigenstaatliche Sozialstruktur sind, sondern auch von den südlichen Bantuvölkern verschiedene nilotische und sudanische Sprachen sprechen.

Die Gegensätze, vor allem zwischen Buganda und den nördlichen Landesteilen, führten erstmals 1953 zu einer größeren Krise. Der Kabaka Mutesa II. und seine Funktionäre widersetzten sich energisch den britischen Versuchen, einen Zentralstaat Uganda zu schaffen. An dieser Haltung änderte auch die bis 1955 währende Verbannung des Kabaka nach England wenig. Buganda widersetzte sich erfolgreich der Abhaltung von Wahlen und rief am 31. Dezember 1960 sogar seine „Unabhängigkeit“ aus. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der afrikanischen Gegenwart, daß England diese Kündigung bisher einfach ignorieren konnte. Daß der Widerstand Bugandas aber keine rein optische Sache der einheimischen Würdenträger war, bewies der Umstand, daß bei den am 25. März erstmals in ganz Uganda abgehaltenen Wahlen in einigen Teilen Bugandas sich nur ganz wenige Wähler zu registrieren wagten.

Bei diesen Wahlen, bei denen, im Gegensatz zu Kenia, keine besonderen Vertreter der nichtafrikanischen Minderheiten (9000 Europäer, 2000 Araber, aber 57.000 Inder) gewählt wurden, errang die „Demokratische Partei“ mit 42 von insgesamt 82 Sitzen eine knappe Mehrheit. Die „Demokraten“ sind die Partei der Katholiken vor allem Bugandas und der Westprovinz, deren Anzahl in ganz Uganda sich bereits zwei Millionen nähert. Der mit ihnen rivalisierende „Volkskongreß von Uganda“ — eine heterogene, aber gemäßigte Partei, errang 36 Sitze, aber

— infolge des starken Wahlboykotts in Buganda, 80.000 Stimmen mehr. Die radikale „Nationalbewegung“, die 1959 einen gewaltsamen Boykott ausländischer Waren und Einschüchterung der (indischen) Kaufleute durchführte, erzielte nur einen, der radikale „Nationalkongreß“, der mit dem afro-asiati- schen Solidaritätsrat in Kairo zusammenarbeitet, keinen Sitz. Die Niederlage der Radikalen ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil Uganda in den letzten Jahren bevorzugtes Agitationsziel verschiedener Länder des Ostens, darunter Rotchinas, war. Die nächste Entscheidung wird somit zwischen den traditionalistischen Kräften der Bugandamonarchie und den katholischen Demokraten fallen müssen.

Die Lage der Katholiken in Uganda war in der Vergangenheit mehrfach prekär. 1886 hatten in Rubaga 16 afrikanische Bekenner, die als die „Märtyrer von Uganda“ bekanntgeworden und 1920 seliggesprochen worden sind, den Feuertod erlitten. 1890 unternahm die Britische Ostafrikanische Kompanie — durch den späteren Lord Lugard, den Schöpfer Nigerias — eine gegen die Katholiken als die „französische Partei“ gerichtete Aktion. So traten von 1894 an die englischen Mill-Hill- Missionäre an die Seite der (französischen) „Weißen Väter“, aber die starke Spannung zwischen katholischen und protestantischen Missionen wirkte noch lange nach. In Buganda ist heute ein Großteil des Volkes katholisch,

aber von den obersten Ämtern und Häuptlingsstellen der Bugandamonarchie weitgehend ausgeschlossen. Der Kabaka und viele Aristokraten sind Anglikaner, aber der Prinz Badru wieder ist Haupt der ismaelitischen Muslime, die durch Sansibararaber und Pakistaner viele Anhänger geworben hat. (Das Oberhaupt der Ismaeliten, Aga Khan, hat seinerzeit bedeutende Mittel für Uganda verfügbar gemacht und zahlreiche Schulen finanziert.) Die Katholiken forderten so schon seit langem eine demokratische Wahl des vom Kabaka ernannten Lukiko und mußten von der einheimischen Regierung Bugandas oftmals Widerwärtigkeiten erleiden. Erst im August 1960 wurden fünf katholische Mitglieder gewaltsam aus dem Lukiko geworfen. So spiegeln sich heute im afrikanischen Zwischenseengebiet soziale Gegensätze in den Teilungen der abendländischen Christenheit wider.

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