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Boxchampion, Messias und „Big Daddy“

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Seit Präsident Idi Amin von Uganda vor etwa drei Wochen anordnete, daß 80.000 Asiaten mit britischer, indischer und pakistanischer Staatsbürgerschaft Uganda binnen drei Monaten verlassen .müssen, wird die Lage in diesem ostafrikanischen Staat von Tag zu Tag, ja von Stunde zu Stunde chaotischer. Der impulsive General, dessen einziger Berater gegenwärtig „Gott“ zu sein scheint — kurz nach dem Ausweisungsbefehl hatte Dada („Big Daddy“) Amin der staunenden Öffentlichkeit anvertraut, daß „Gott selbst“ ihm im Traum befohlen habe, sämtliche Asiaten aus Uganda auszuweisen — sorgt täglich für neue Sensationen.

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Seit Präsident Idi Amin von Uganda vor etwa drei Wochen anordnete, daß 80.000 Asiaten mit britischer, indischer und pakistanischer Staatsbürgerschaft Uganda binnen drei Monaten verlassen .müssen, wird die Lage in diesem ostafrikanischen Staat von Tag zu Tag, ja von Stunde zu Stunde chaotischer. Der impulsive General, dessen einziger Berater gegenwärtig „Gott“ zu sein scheint — kurz nach dem Ausweisungsbefehl hatte Dada („Big Daddy“) Amin der staunenden Öffentlichkeit anvertraut, daß „Gott selbst“ ihm im Traum befohlen habe, sämtliche Asiaten aus Uganda auszuweisen — sorgt täglich für neue Sensationen.

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Kampala, die Hauptstadt des Landes, ist voll von Gerüchten und ängstlicher Spannung. Am 20. August verkündete Amin, daß auch Asiaten mit ugandischer Staatsbürgerschaft gehen müßten. Zwei Tage später widerrief er diese Order. Gut informierte Kreise in Nairobi wollen wissen, daß diese Widerrufung auf Grund der telephonischen Intervention des kenyani-schen Präsidenten, Jomo Kenyatta, erfolgte.

Inzwischen übte der Präsident der benachbarten Republik Tansania, Julius Nyerere, heftige Kritik an der Rassenpolitik Amins. Die Beziehungen zwischen Uganda und Tansania hatten sich erst in den letzten Monaten normalisiert, dank der Vermittlerdienste Präsident Kenyattas. Nach dem Militärputsch Amins im Jänner 1971 war der gestürzte Präsident Obote zu seinem Freund Nyerere nach Daressalam geflohen, und in der Folgezeit kam es immer wieder zu schweren Zwischenfällen an der ugandisch-tansanischen Grenze. Seit vergangener Woche sind die kaum erst beigelegten Spannungen erneut akut geworden. General Amin, über Nyereres verbale Angriffe erbost, sandte, wie er sagte, eine „letzte telegraphische Warnung“ nach Daressalam und forderte Nyerere auf, sich nicht in innerugandische Angelegenheiten einzumischen. Am Tag darauf brachte Radio Uganda stündlich eine Durchsage, in der es hieß, die Bevölkerung solle nicht beunruhigt sein, wenn in den nächsten Stunden 28 Überschalljäger über Uganda auftauchten. Es seien Maschinen aus einem befreundeten Land und sie kämen zu militärischen Übungen in Uganda. Doch die tatsächliche Präsenz dieser Flugzeuge über ugandischem Hoheitsgebiet konnte nicht verifiziert werden. Es scheint eher so, daß diese Meldung als Drohung an die Adresse Tansanias gedacht war. Seit zwei Wochen finden im ugandisch-tansanischen Grenzgebiet Manöver der ugandischen Armee statt.

Wörtlich heißt es in Amins Telegramm an Präsident Nyerere: „Sie müssen wissen, daß die tansanische Bevölkerung unter Ihrer irregeleiteten Politik schwer zu leiden hat. Täglich kommen Flüchtlinge von Tansania nach Uganda. Wir wissen, daß es Ihnen an Mut fehlt, meinem Beispiel zu folgen und die Wirtschaft Tansanias aus den Händen von Ausländern — Zionisten, Imperialisten und britischen Asiaten — in die Hände von Afrikanern zu überführen.“ Nach weiteren Beleidigungen und Drohungen schließt Amins „letztes Telegramm“ mit einer für den Exboxchampion-Präsidenten bezeichnenden Formulierung: „Mit diesen wenigen Worten möchte ich Ihnen versichern, daß ich Sie sehr liebe und daß ich Sie, wenn Sie eine Frau wären, trotz Ihrer bereits zahlreichen grauen Haare, heiraten würde.“ Die Massenmedien Ugandas wagten nicht, bei der Wiedergabe des Telegrammtextes diese lächerliche Passage wegzulassen.

Unbeschreiblichkeiten bei der Ausreise

Doch die Serie von aufsehenerregenden Reden und Anordnungen des Generals geht weiter. Am 24. August gab er die sofortige Entlassung des Polizeichefs von Uganda und weiterer 22 hoher Polizeioffiziere bekannt. Zwei Tage später erfolgte die Entlassung des Geheimdienstchefs sowie sechs hoher Kriminalbeamter. Dies war offensichtlich die Begleichung einer alten Rechnung, da der Großteil der Polizeitruppe zur Zeit des Militärputsches Obote treu war.

Am 26. August folgte dann die Ankündigung, daß nach dem Exodus der Asiaten auch sämtliche europäische Unternehmen in die Hände von Afrikanern überführt werden sollten. In einer Rede vor Kadetten in einer Polizeischule sagte der General, daß in der ersten Phase des „Wirtschaftskrieges“ das Land von allen „asiatischen Saboteuren“ gesäubert werden solle. In der zweiten Phase werde dann die Überführung von asiatischen Geschäften, aber auch von europäischen Unternehmen in die Hände von schwarzen Ugan-desen erfolgen, „ob es den Europäern und Asiaten nun paßt oder nicht“.

Von dieser jüngsten Order des ugandischen Messias würden etwa 11.000 Europäer betroffen sein, 7000 davon sind Briten. Firmen wie Uni-lever, Brook Bond, Lonhro, Standard-, Barclays- und Grindlays-Bank haben zum Teil erhebliche Investitionen in Uganda.

Inzwischen bereiten sich die Asiaten Ugandas auf die Abreise vor. Aber auch Europäer sind eifrig damit beschäftigt, ihren Besitz, Schmuck, Teppiche und Silber, außer Landes zu bringen, solange dies noch irgendwie möglich ist. Verpackungsmaterial, Kisten und Kartons, sind in Kampala schon seit mehreren Tagen kaum noch aufzutreiben. Am 25. August wurde die ugandische Postbehörde autorisiert, Pakete und Briefsendungen ins Ausland zu öffnen, um zu verhindern, daß die Asiaten auf dem Postweg Vermögen in Sicherheit bringen. Zuvor war bereits angeordnet worden, daß Gold und Devisen an die Bank von Uganda „verkauft“ werden müßten. Bei der Einreise nach Uganda muß jeder Geschäftsreisende und Tourist Devisen und Gold — auch Eheringe — deklarieren. Inoffizielle Berichte, daß die Regierung die Ausfuhr von nur 50 Pfund in bar pro Familie gestatten werde, hatten zur schatte Kampalas einsetzte. Besonders gefragt sind Transistorradios. Uhren und Wolldecken für den Winter in Europa, für die Höchstpreise bezahlt werden. Das meiste wird den Ausgewiesenen auf dem Flugplatz von Entebbe jedoch wieder abgenommen.

Was sich auf diesem Flugplatz abspielt, ist unbeschreiblich. Dabei hat die Evakuierung noch gar nicht begonnen. Man erwartet, daß Phase eins dieser größten zivilen Luftbrücke der Geschichte, in der zunächst 15.000 britische Asiaten Uganda in Richtung Großbritannien verlassen werden, am 11. September beginnen wird. In der schon zu normalen Zeiten viel zu kleinen Abflughalle des Flughafens von Entebbe warten Hunderte von Menschen auf die Zollabfertigung. Internationale Flüge haben schon seit Tagen zwei-bis zehnstündige Verspätungen. Zollbeamte, unterstützt von schwerbewaffneten Soldaten, durchwühlen sämtliche Gepäckstücke auf der Suche nach Gold und Uhren, aber auch nach Briefen, Notizen und Berichten ugandafeindlichen Inhalts. Bei vorgehaltenen Maschinenpistolen wird asiatischen Frauen sämtlicher Schmuck abgenommen, Brieftaschen werden samt Inhalt konfisziert. Und wer sich wehrt, „verschwindet“.

Die Beziehungen zwischen Uganda und Tansania verschlechtern sich von Tag zu Tag, und die Lage an der Grenze wird immer gespannter. Doch nun hat Amin auch dem südwestlichen Nachbarn Ruanda den Fehdehandschuh zugeworfen. Nach Aussage des Generals befindet sich ein Großteil der im Frühjahr aus Uganda ausgewiesenen israelischen Militärberater in Ruanda, von wo aus sie angeblich gegen Uganda agitieren. Am 28. August sandte Amin eine geharnischte Warnung an Präsident Kajibanda, in der es hieß, daß Uganda die Präsenz der Israelis in Ruanda — eine solche wird jedoch von Kigali kategorisch dementiert — nicht länger dulden werde. Dieser Tage hieß es in gut informierten Kreisen in Kampala, daß Uganda die Grenze nach Ruanda schließen werde. Die Importe des kleinen Binnenstaates kommen per Schiene von Mombasa via Uganda nach Kigali. Amin hat offensichtlich vor, Ruanda auszuhungern.

Zionisten — Imperialisten — asiatische Saboteure

Man fragt sich hier, wohin die wahnsinnige oder zumindest unbegreifliche Politik des jedem Vernunftargument unzugänglichen Generals führen wird. Die Ausweisung von 80.000 Asiaten und der eventuelle Exodus von tausenden Europäern, muß für die in den letzten Jahren in eine schwere Krise geratene ugandische Wirtschaft katastrophale Folgen haben. Die überdimensional hohen Ausgaben für die Streitkräfte des Militärregimes haben Ugandas Devisenreserven aui weniger als ein Minimum zusammenschmelzen lassen.

Ein Staatschef, dem „Gott“ im Traum „Weisungen“ gibt, wie er sein Land regieren soll, und eine Rowdyarmee, die durch und durch korrupt ist, haben in Uganda ein Terrorregime errichtet, und es ist niemand da, der es wagte, dagegen aufzustehen.

Der General hat sich in kluger Heiratspolitik mit Ehefrauen aus den zwölf wichtigsten Stämmen Ugandas umgeben. Als er aber als Brautwerber an die Familie Madh-vani herantrat — ugandische Index und die bedeutendsten Industriellen Ostafrikas — erhielt er eine Abfuhr So erzählt man sich in Kampala. Der abgeblitzte Bewerber habe sich füi diese Kränkung nun dadurch gerächt, daß er 80.000 Asiaten vor die Tür setzte.

Wie dem auch sei, der Ausweisungsbefehl vom 4. August hat die Popularität des „Dada“ bei den 10 Millionen Schwarzen des Landes enorm erhöht, die in Scharen zum Amtssitz des Präsidenten in Entebbe pilgern, um ihm ihre Dankbarkeif für die Ausweisung der verhaßten Asiaten zum Ausdruck zu bringen. Vor allem das einfache Volk klatscht dem General Beifall. Und ob man es will oder nicht, der Exboxchampion und Messias, mit seinem infantilen Intellekt und unberechenbaren Launen, besitzt tatsächlich eine Art Charisma. Er wird vom kleinen Mann und vom einfachen Soldaten angebetet.

Für Europäer ist das, was gegenwärtig in Uganda geschieht, einfach unbegreiflich. Und wie es weitergehen soll, weiß nur Gott allein, mit dem der Präsident angeblich in engstem Kontakt und auf bestem Fuß steht, und von dem er sich auserwählt glaubt, „Uganda aus den Händen der Zionisten, Imperialisten und asiatischen Saboteure zu retten“.

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