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Der pathetische Champion

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Unlängst trafen 1400 politische Flüchtlinge aus Afrika in Österreich ein — Inder und Pakistani, die seit Generationen in Uganda zu Hause gewesen waren, nun jedoch über Nacht heimatlos und zum Teil staatenlos wurden. Die meisten von ihnen wissen nicht, wohin sie gehen sollen, wenn sie in zwei bis vier Monaten Österreich, das ihnen nur als Transitstation dient, wieder verlassen müssen. 50 Familien werden bleiben, um in Österreich eine neue Existenz aufzubauen. Das wird ihnen — kennt man die Tüchtigkeit und den Fleiß dieser Menschen — auch sicher gelingen.

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Unlängst trafen 1400 politische Flüchtlinge aus Afrika in Österreich ein — Inder und Pakistani, die seit Generationen in Uganda zu Hause gewesen waren, nun jedoch über Nacht heimatlos und zum Teil staatenlos wurden. Die meisten von ihnen wissen nicht, wohin sie gehen sollen, wenn sie in zwei bis vier Monaten Österreich, das ihnen nur als Transitstation dient, wieder verlassen müssen. 50 Familien werden bleiben, um in Österreich eine neue Existenz aufzubauen. Das wird ihnen — kennt man die Tüchtigkeit und den Fleiß dieser Menschen — auch sicher gelingen.

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Der ugandische Staatschef hatte den Asiaten, die nicht im Besitz der ugandischen Staatsbürgerschaft waren (die Zahl der Betroffenen schwankt zwischen 50.000 und 80.000) ganze drei Monate Zeit gewährt, das Land unter Zurücklassung ihres gesamten Hab und Gutes zu verlassen. Die Frist lief nun am 8. November ab. Der Massenexodus war vor allem in der letzten Phase zur Massenflucht geworden. Das Problem ist allerdings wesentlich älter als die drei Monate, in denen diese Menschen nun zu Opfern eines afrikanischen Rassismus wurden, der Erinnerungen an die Kongogreuel des Jahres 1960 auferstehen läßt.

Das Gros der in Ostafrika lebenden Asiaten wurde von der britischen Kolonialmacht „importiert“, die einst indische Kulis beim Bau der Uganda-Bahn einsetzte. Doch schon lange bevor die Engländer gegen Ende des vorigen Jahrhunderts nach Ostafrika kamen, gab es dort asiatische Ansiedlungen. Und auch nach der Fertigstellung der Bahnlinie, im Jahre 1901, kamen noch einige tausend asiatischer Einwanderer nach Ostafrika.

Die Strapazen des Bahnbaues kosteten viele Opfer: 2493 Inder starben und 6454 wurden schwer krank nach Hause geschickt Nur ihrer 6724 blieben in Ostafrika, das ihnen zur neuen Heimat wurde. Die Zahl der heute dort lebenden Asiaten betrug vor Amins Ausweisungsbefehl 320.000.

Die überwiegende Mehrzahl der frühen asiatischen Siedler und ehemaligen indischen Kulis blieb in Ostafrika, um Geschäfte zu machen und rasch Geld zu verdienen. Um ihren geschäftlichen Erfolg bemüht, hüteten sie sich, in die Politik involviert zu werden. Die Asiaten betrieben Politik im engeren Sinne nur, um ihre geschäftlichen Interessen zu wahren. Diese Tatsache steht in dierektem Bezug zum Asiatenproblem in den heute unabhängigen ostafrikanischen Staaten Uganda, Kenia und Tansania.

Die Asiaten bildeten sehr bald den handwerklichen und kommerziellen Mittelstand, der bemüht war, sich sowohl bei den britischen Herren wie bei den Afrikanern unentbehrlich zu machen. Auch auf gesellschaftlicher Ebene bildeten sie den exklusiven Mittelstand und mieden den Verkehr mit Afrikanern. Sie lebten im selbstgewählten Getto, erzogen ihre Kinder in asiatischen Schulen und hielten stolz an kulturellen und religiösen Traditionen fest.

Es ist aber falsch, die asiatische Gruppe für homogen zu halten. Es gibt unter ihnen Inder, Pakistani und Goanesen. Auch gibt es sprachliche, religiöse und soziale Unterschiede. So die gujeratisprechen-den Hindus und die panjabispre-chenden Hindus, die Sikhs, sunnitische Mohammedaner, Ismailis (Anhänger des Aga Khan), katholische Goanesen und viele andere Untergruppen.

Der geschäftliche Erfolg und der kulturelle Stolz der Asiaten machte im Laufe der Jahre die Kluft zwischen ihnen und den Afrikanern immer größer. Darüber hinaus sahen die Afrikaner in den Asiaten ihre Konkurrenten, die einer Beteiligung der Afrikaner an Handel und Geschäft im Wege standen.

Die Asiaten kontrollierten den Handel und die mittlere Ebene der Wirtschaft Ostafrikas. Doch gerade Handel und Handwerk wollten die Afrikaner nach dem Abzug der Briten übernehmen. Angesichts dieser Fakten ist es nicht verwunderlich, wenn die Afrikaner nach Erlangung der Unabhängigkeit als die neuen Herren im Lande darangingen, das asiatische Monopol zu brechen und die Wirtschaft, vor allem aber den Handel, zu afrikanisieren.

Kenia verfolgte eine Politik der schrittweisen Afrikanisierung. Asiaten, die nach der Unabhängigkeit das Angebot der jungen Republik, die kenianische Staatsbürgerschaft anzunehmen, abgelehnt und es vorgezogen hatten, ihre britischen Pässe zu behalten, wurden nach und nach abgeschoben. Die Konzessionen der nichtkenianischen Kaufleute wurden allmählich eingezogen, ihre Aufenthaltsgenehmigungen nicht mehr erneuert. Diese Vorgangsweise wird auch heute noch praktiziert, um vor allem den Detailhandel allmählich, und ohne Schädigung der Wirtschaft, in afrikanische Hände überzuführen.

Wie Kenia, vermied und vermeidet auch Tansania bei seinen Maßnahmen gegen die Asiaten jede direkte Bezugnahme auf die Rasse: Asiaten mit tansanischer Staatsbürgerschaft werden zwar nicht direkt diskriminiert. Nyereres Nationalisierungspolitik jedoch, insbesondere die Verstaatlichung des Hausbesitzes und das Gesetz gegen „Hausherrentum“, traf vor allem die Asiaten des Landes.

In Uganda hatte Amins Vorgänger, der gestürzte Präsident Obote, gleichfalls den gemäßigten, schrittweisen und nicht rassistischen Weg der Afrikanisierung gewählt.

Erst der kurz vor seinem Sturz proklamierte „Ruck nach Links“ enthielt auch Maßnahmen, die besonders die Asiaten treffen sollten. Diese verstanden damals die Zeichen an der Wand zu lesen. Diejenigen, die britische Pässe besaßen, wußten, daß ihre Tage in Uganda gezählt waren, und begannen, das Land zu verlassen. Obote hatte versprochen, daß die völlige Afrikanisierung bis 1977 vollendet sein werde.

Verglichen mit Amins Asiaten-pegrom waren Obotes Maßnahmen jedoch ausgesprochen gemäßigt. Obote hatte den asiatischen Familien, die das Land verließen, gestattet, je 2500 Pfund mitzunehmen. Das Vermögen, das zurückgelassen werden mußte, kam auf ein Sperrkonto, das dann sukzessive innerhalb von sechs Jahren liquidiert werden konnte. Amin vertrieb nun 80.000 Asiaten, ohne daß sie auch nur einen Groschen ihres Vermögens mitnehmen durften. Die Schätzungen des asiatischen Vermögens in Uganda liegen zwischen 75 und 100 Millionen Pfund.

Angesichts der Tatsache, daß es den meisten Asiaten, an echter Loyalität mangelte, daß zahlreiche Asiaten Doppelstaatsbürgerschaften besaßen, um so das Beste aus zwei Welten herauszuholen, daß sehr viele Asiaten immer wieder Vermögensteile ins Ausland verschoben und solcherart Bankkonten, Häuser und Grundstücke im Ausland besaßen, erschien der Ausweisungsbefehl Amins der Mehrzahl der Ugandesen als eine gerechte und längst fällige Maßnahme. Amin ist auch nicht wegen seines Versuches zu verurteilen, das asiatische Wirtschaftsmonopol zu brechen, er ist jedoch sehr wohl zu verurteilen wegen der unmenschlichen Art und Weise, in der er es tat.

Die Persönlichkeit des „Big Daddy“ ist schwer zu verstehen. Einerseits pathetisch naiv, kann er doch anderseits bestechend schlau sein. Seine Einfalt wechselt rasch mit Roheit. Er kann skrupellos grausam fein, und doch fehlt es ihm nicht an ihenschlicher Wärme. In seiner

Naivität glaubt er, seine finanziellen Sorgen durch die Konfiszierung des asiatischen Vermögens mit einem Schlag loswerden zu können. Doch seit Wochen stehen die Hotels und Lodges Ugandas leer, kein Tourist kommt mehr, die Geschäfte sind geschlossen, es gibt keine Handwerker mehr, tausende Schwarze wurden arbeitslos...

Es wird Jahre dauern, bis sich das schöne, fruchtbare Land von den Folgen der Politik eines pathetischen Boxchampions erholen wird. Ganz zu schweigen von dem Schaden, den das Ansehen Ugandas — und damit auch das Ansehen Afrikas — durch diese Politik in der Welt erleidet.

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