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Schwarz über Braun

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Es ist eine Binsenweisheit, die schon in allen Schulen gelehrt wird, daß die Vertreibung der Juden aus Spanien vor fünf, der Protestanten aus Frankreich vor drei Jahrhunderten den Vertreibungsländem Schaden bereitet hat. Zögernder schon gesteht man gleiches der Zentimierung der Juden in Osteuropa und der Vertreibung ganzer Volksstämme aus dem Westen der Sowjetunion zu. Die neuen Herrscher unserer Zeit, welche die Führung in allen Winkeln der Erde an sich gerissen haben, stehen zum großen Teil den Lehren der Geschichte kenntnislos oder mindestens verständnislos gegenüber.

In ganz Ostafrika, von Somali bis Kapstadt, gibt es ein fremdartiges Volk von unschätzbarem Wert für diese Länder, weil es einen Mittelstand entwickelte, ohne den kein Land gedeihen kann. Dieses fremdartige Volk sind die Inder. In Indien selbst gibt es gar keine „Inder“, sondern nur hunderte von Völkern, Stämmen, Gruppen, Kasten ohne Gemeinsamkeit der Lebensgewohnheiten, Lebensziele, der Religionen und des Rechts — bis auf eine kleine Oberschicht von etwa zwei Prozent, weniger, als es in Europa echte „Paneuropäer“ gibt.

Der unentbehrliche Mittelstand

Nur in der Emigration gibt es „Inder“. In Fidji, in Trinidad und vor allem In Ostafrika, in den Winkeln des einstigen britischen Weltreichs, in die sie aus der Heimat verlockt, verjagt, verschleppt wurden. Zum Bahnbau von Mombasa zum Victoriasee wurden zehntausende aus Indien durch die phantastischen Löhne verlockt, die heute als Hungerlöhne gelten. In zwei, drei Generationen entwickelten sich ihre Nachkommen zum unentbehrlichen Mittelstand Ostafrikas zwischen der weißen Aristokratie und dem schwarzen Proletariat, auf den man von unten mit Haß und von oben mit Verachtung blickte — bis man einen davon brauchte. Von Daressalam bis zum Nilursprung kannte man kein Fahrrad reparieren, keine Ware transportieren, keinen Haushalt verproviantieren, ohne sich an einen Inder zu wenden — obwohl es deren in Kenia nur 200.000 unter 10 Millionen, in Uganda nur 80.000 unter 8 Millionen, in Tansania nur 100.000 unter 11 Millionen Negern gab.

In der Emigration vollzog sich ein Wunder unter den Indern. Der Haß, der in der Heimat unzählige wirtschaftliche und Millionen blutiger Opfer forderte, verschwand im Ausland. Die Sekten und Religionen lebten friedlich nebeneinander, ohne einander zu bekämpfen.

Nur ein durch die verflossene aber nicht ganz überwundene Schmachzeit Europas geschärfter Blick kann erfassen, was sich in Ostafrika vollzieht. Die weiße Aristokratie ist enteignet und vertrieben, durch eine neue schwarze Aristokratie ohne Vorbildung, Tradition und Hemmung ersetzt worden — wie es mitunter auch in europäischen Revolutionen, nur ohne Hautfarbe als Unterscheidung, geschah. Wie nach der Eroberung einer Stadt, von dem Peloppo- nesischen bis zu den Religionskriegen, mußte man den Truppen etwas Beute gönnen, damit sie den Generälen nicht deren Beute neiden. Diese nahmen in Ostafrika den Weißen die große Beute weg und suchten nach einer für die Mannschaft. Vertreibung der indischen Konkurrenz, Beutegelegenheit an Unternehmen ohne Eignung zu deren Verwaltung, Einrücken in Geschäftsmöglichkeiten auch ohne die nötigen Fähigkeiten, alles das sollte in Mittel- und Osteuropa Verständnis, wenn auch nur noch sporadische Anerkennung finden.

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