6847467-1976_29_02.jpg
Digital In Arbeit

Weltgeschichte(n)

Werbung
Werbung
Werbung

Eben erhalte ich einen Brief meines bei der UNO beschäftigten Freundes, der mir regelmäßig berichtet, was sich hinter den Kulissen der Weltorganisation tut. Ich veröffentliche sein Schreiben vor allem deshalb, weil es ein ermutigendes Beispiel dafür ist, daß in der richtigen Umgebung selbst die verdrehtesten Anschauungen zurechtgerückt werden. Als mein Freund Wien verließ, um seinen Job am East-River anzutreten, sah er die Weltprobleme auf typisch europäisch-amerikanischimperialistisch-zionistische Weise verzerrt. Mittlerweile gilt er aber unter seinen neuen Freunden und Kollegen als völlig normaler und vernünftiger Mensch.

„Lieber Lukian“, schreibt mir also mein Freund bei der UNO, „wir sind hier alle sehr empört über die Haltung der österreichischen Zeitungen im Zusammenhang mit der flagranten Aggression Israels gegen Uganda. Da Du Journalist bist, kannst Du viel zum Abbau der völkertrennenden imperialistischen Vorurteile beitragen. Daher schreibe ich Dir, tras sich in Entebbe wirklich abgespielt hat, wie wir hier über die Sache denken und welche Schritte wir planen.

Die angebliche Geiselbefreiung war natürlich nur ein Vorwand. Schon die Zahl von nicht weniger als fünf israelischen Flugzeugen beweist, daß keineswegs nur eine Aktion auf dem Flughafen, sondern - die Ermordung des großen afrikanischen Freiheitskämpfers Idi Amin Dada geplant war. Die Zionisten führten eingestandenermaßen Fahrzeuge mit sich! Wozu hätten sie auf dem Flughafen von Entebbe Jeeps gebraucht? Sie wollten damit natürlich zu Idi Amin Dada fahren und ihn umlegen. Zum Glück für die Welt und für die kommenden Generationen war er gerade nicht zu Hause.

Eine andere schamlose Lüge der von Washington und Tel Aviv bestochenen Presse ist die angebliche

Ermordung einer betagten israelischen Flugzeuginsassin durch ugandische Soldaten. Idi Amin hat den UNO-Mitarbeitern bei jedem Beisammensein versichert, daß ugandische Soldaten niemals morden. Vielmehr war es ja gerade einer der Gründe für die israelische Aggression, daß die Söldlinge Tel Avivs dieses Passagiers habhaft werden wollten, die angebliche alte Dame war nämlich ein verkleideter afrikanischer Freiheitsheld. Zum Glück konnten unsere tapferen Männer, ich meine Idi Amin Dadas Soldaten, diesen Mann gerade noch vor den zionistischen Banditen in Sicherheit bringen.

Überhaupt, lieber Lukian, gehen einem bei der UNO schnell die Augen auf. Da begreift man erst, wie verzerrt die Weltöffentlichkeit informiert wird. Die angeblichen Terroristen sind nämlich in Wirklichkeit klasse Burschen, und da ich unter den afrikanischen und arabischen Delegierten ein paar klasse Freunde ha.be, darf ich Formulierungshilfe bei der Abfassung einer Resolution leisten, über die sich die zionistischen Faschisten schon sehr bald riesig ärgern werden.

Die afrikanischen Delegierten wollen gemeinsam mit einem Teil

der Araber (nämlich mit denen, die noch nicht von Israel bestochen sind) endlich der Wahrheit und Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen: Alle Flugzeugentführer, die auf der richtigen Seite stehen, sollen als rechtmäßige Kombattanten im Freiheitskampf der Völker anerkannt werden. Aus Kurt Waldheim werden wir noch nicht ganz klug, wir müssen ihn noch einige Zeit beobachten. Aber wir sind sehr für die Terrorismus-Debatte, für die er sich so einsetzt, denn wir werden sie dazu benützen, endlich die Anerkennung der sogenannten Terroristen zu erzwingen.

Künftig soll bei Flugzeugentführungen und ähnlichen Aktionen nach international gültigen Regeln vorgegangen werden. Meine Freunde und ich, wir wollen vorschlagen, daß den Freiheitskämpfern nichts geschehen darf, solange sie sich an diese Regeln halten. Jeder Widerstand gegen die von ihnen erhobenen Forderungen (Freilassung politischer Gefangener und so weiter) soll als ein Akt inier-nationaler Aggression qualifiziert werden.

Es wäre auch nur recht und billig, in einem internationalen Abkommen festzuhalten, daß die Weigerung, auf die Forderungen der Flugzeugentführer einzugehen, als Mord an. den Geiseln angesehen werden sott; u)enn sie dazu führt, daß die Geisgin:, leider von den Freiheitskämpfern hingerichtet werden müssen.

Ich kann Dir versichern, lieber Freund, daß .-'nicht nur ein erheblicher Teil der UNO-Delegierten, sondern auch eine große Zahl der Bediensteten in den UNO-Sekreta-riaten genau so denkt wie meine Freunde und ich. Sie hatten viel Geduld mit mir und haben mich behutsam auf den Pfad des richtigen Denkens geführt.

Im übrigen ist New York eine Stadt der kapitalistischen Gangster, aber wir sind dagegen, die UNO in irgend ein anderes Land zu verlegen.

Man muß seinen Gegner studieren, um ihn besser erledigen zu können. Laß es mich unbedingt wissen, falls Du einmal herkommst, ich arrangiere Dir eine Umerziehungs-Party, die Dich voll und ganz überzeugen wird.

Vielleicht suchst Du Dir auch einen Job bei der UNO!“

Soweit der Brief meines lieben Freundes. Leider komme ich heuer kaum mehr nach New York! Schade!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung