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Ein Hitler Afrikas ?

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Ugandische Soldaten stürmten die Universität von Kampala, erschossen und erschlugen Studenten — die vorsichtigsten Schätzungen sprechen von mindestens hundert Todesopfern — und führten eine noch viel größere Zahl in die Gefängnisse ab. Wer über die Verhältnisse in Uganda halbwegs Bescheid weiß, rechnet damit, daß ein erheblicher Teil der Verhafteten die Gefängnisse nicht lebend verlassen wird. Der Massenmord an den Studenten kann dem Ansehen Amins in der westlichen Welt aber keinen großen Schaden mehr zufügen, denn schon bisher hatte keir Politiker bei den Massenmedien der Länder mit Pressefreiheit eine schlechtere Presse, und niemand zog weltweit größere Aggressionen auf sich als er.

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Ugandische Soldaten stürmten die Universität von Kampala, erschossen und erschlugen Studenten — die vorsichtigsten Schätzungen sprechen von mindestens hundert Todesopfern — und führten eine noch viel größere Zahl in die Gefängnisse ab. Wer über die Verhältnisse in Uganda halbwegs Bescheid weiß, rechnet damit, daß ein erheblicher Teil der Verhafteten die Gefängnisse nicht lebend verlassen wird. Der Massenmord an den Studenten kann dem Ansehen Amins in der westlichen Welt aber keinen großen Schaden mehr zufügen, denn schon bisher hatte keir Politiker bei den Massenmedien der Länder mit Pressefreiheit eine schlechtere Presse, und niemand zog weltweit größere Aggressionen auf sich als er.

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Die Gründe dafür scheinen auf der Hand zu liegen. Geht man dem Phänomen seines sohlechten Rufes aber auf den Grund, erweist es sich als überraschend kompliziert und vielschichtig. Idi Amin ist ein Massenmörder, die Internationale Juristenkommission schätzte die Zahl seiner Opfer schon vor Jahren auf mindestens 25.000, möglicherweise aber auch ein Mehrfaches (bei einer Bevölkerung von rund zehn Millionen). Im Gegensatz zu anderen Diktatoren, die keineswegs humaner vorgehen, wurde aber gerade dem publicitysüchtigen Amin die zweifelhafte Ehre zuteil, zur Personifikation der Tyrannei aufzusteigen.

Wobei aber gerade jene seiner Handlungen, • die seinen schlechten internationalen Ruf begründeten (beziehungsweise aufrechterhalten), nicht unbedingt in Zusammenhang mit seinen eigentlichen und schwerwiegendsten Verbrechen stehen. Unter den Opfern des ungandischen Mordregimes sind bisher nur drei Weiße: Zwei Amerikaner, der Journalist Stroh und der Soziologiedozent Siedle, die die Tollkühnheit besaßen, der Ermordung von tausend ugandischen Soldaten, die aus Stämmen in der Heimat des von Amin entmachteten Milton Obote stammten, nachzugehen und am Schauplatz des düsteren Geschehens den Vize-bataillonsohef Major Aiga Juma zur Rede zu stellen — und die israelische Flugzeuginsassin Dora Bloch. Die beiden Amerikaner wurden, an gefüllte ölfässer gebunden, erschossen, Zeugen schilderten später, wie öl aus ihren Wunden geflossen war und wie Major Juma am selben Abend in der Offiziersmesse mit seinen Kameraden das den beiden Amerikanern abgenommene Geld vertrunken und dabei mit nachgemachtem amerikanischem Tonfall die letzten Worte Strohs („Sie können uns töten, aber Sie werden sich eines Tages dafür zu verantworten haben!“) nachgemacht hatte.

Von Idi Amin ist bekannt, daß ihn Anspielungen auf seine Lächerlichkeit sehr viel mehr erzürnen als Anklagen, ein Mörder zu sein, die er offenbar fast als Feststellung einer inoffiziellen Selbstverständlichkeit betrachtet. Der Mord an den beiden Amerikanern hingegen soll ihn einigermaßen in Verlegenheit gesetzt haben. Wieweit er persönlich mit dem Tod von Dora Bloch zu tun hat, ist unbekannt. Tatsache ist, daß die drei weißen Todesopfer seines Terrorregimes die Ausnahmen darstellen, welche die Regel bestätigen: Idi Amin scheut es, und dies ist wichtig für sein Psychogramm, sich an Weißen zu vergreifen. i

Die Massenmorde an Schwarzen wiederum sind es nioht, was die Öffentlichkeit der weißen Industriestaaten so sehr gegen Idi Amin erhitzt. So hat auch die jüngste Ermordung von mindestens hundert ugandischen Studenten — allem, was intellektuell ist, gilt sein ganz besonderer Haß — im Westen ein schwächeres Echo ausgelöst als die Forderung demütigender Kniefälle von Briten, auf die Amin so großen Wert legt. Etwa im Zusamenhang mit Denis Hills, der Amin einen Dorftyrannen genannt hatte.

Die Unterdrückung und Ermordung seiner Landsleute durch Amin regt die westliche Öffentlichkeit erst in zweiter Linie auf. In dieser Beziehung unterscheidet sich Idi Amin von einigen seiner Kollegen zwar quantitativ (er ist vermutlich der

ärgste Massenmörder unter den gegenwärtigen afrikanischen Staatschefs), nicht aber qualitativ, ganz zu schweigen von nichtafrikanischen Diktatoren zwischen Delhi und Teheran, die sich ihren Landsleuten gegenüber kaum humaner, auf dem diplomatischen Parkett aber in Übereinstimmung mit gängigen Normen verhalten. Idi Amin ist ein Hanswurst, ein Halbverrückter, und er sucht mit allen Mitteln, die Weißen und vor allem die Briten zu demütigen. Genau dies ist die — etwas inadäquate — Basis seines gewaltigen internationalen Rufes.

Seine Gefährlichkeit für die Weltpolitik dürfte oft. überschätzt werden, soll aber freilich nicht geleugnet werden. Denn eine andere und sehr wesentliche Facette des Phänomens Amin ist seine Ausstrahlung auf andere afrikanische Länder, ist seine Beispielwirkung, ist aber auch die Deckung, die ein solches Extrembeispiel für die „weniger argen“ Diktatoren bedeutet, die in seinem Windschatten oft kaum weniger große Verbrechen begehen — aber unauffälliger.

Idi Amin isoliert wäre, über das traurige Schicksal seines Landes und seiner Opfer hinaus, keiner Betrachtung wert. Das Schreckliche an Idi Amin ist die Tatsache, daß er, abgesehen von seinern Analphabetentum, seinem vielzitierten „Mangel an grauen Zellen“ (an dem man angesichts des Raffinements, mit dem er die Macht an sich riß und bewahrte, mittlerweile zweifeln sollte), abgesehen auch von seiner Verrücktheit, seinen Bizarrerien, in einem hohen Maße den gegenwärtigen Zustand afrikanischen Bewußtseins, afrikanischer politischer Reife, afrikanischer Humanität (oder besser: Nicht-Humanität) repräsentiert. Und, wie ein Blick auf die Unmenschlichkeit libanesischer Moslems und Christen, auf das Elend in indischen Gefängnissen, aber auch auf die Gleichgültigkeit gewisser, gewisse Giftgasausbrüche zunächst vertuschender und verharmlosender Konzerne lehrt, nicht nur afrikanische moralische Reife, afrikanische Humanität.

In dieser Welt, so wie sie sich gegenwärtig darstellt, fiele der Massenmörder Idi Amin ohne seine Exzentrizitäten kaum auf. Nur der komische Hampelmann Idi Amin fällt auf — und der Idi Amin, der allzu )ffen sagt, was sich mancher andere — vielleicht — denkt. Seine bewun-lernden Äußerungen über Hitler und Jessen Massenmord an den Juden jtwa wurden nicht vom deutschen, sondern vom sowjetischen Botschaf-;er richtiggestellt. Die deutschen Botschafter in Kampala, ob sie Kopf leißen oder Ellerkmann, benehmen sich dort so, daß man ihnen die kritiklose Bewunderung Idi Amins mittlerweile glaubt. Ihre würdelose Anbiederung hat Ausmaße erreicht, welche die Beteuerung, damit solle nur Übles von den Deutschen in Uganda abgewendet werden, völlig unglaubwürdig erscheinen läßt.

Jenem deutschen Wesen, an dem änst die Welt genesen sollte, muß [di Amin in mancher Beziehung wie sine Karikatur Hitlers erscheinen. Mit dem Unterschied, daß der Abstand zwischen Amins Bildungs- und [nformationsniveau und dem seines Volkes nicht so groß ist wie der zwischen Hitler und jenem Teil der deutschen Intelligenz, der nichtsdestoweniger auf ihn hereinfiel. (Was man von der ugandischen Intelligenz nicht behaupten kann — sie ist dem Vernehmen nach geradezu geschlossen Amin-feindlich einT gestellt, soweit sie noch nicht den Krokodilen vorgeworfen wurde.)

Aber die Menschheit hat offensichtlich noch nicht jenen Entwicklungsstand erreicht, an dem Intelligenz und Wissen fahrplanmäßig in Humanität umschlagen sollten. Idi Amins größter Förderer, politischer Mentor und engster Verbündeter ist jener Ghadaffi, der sich zwar, auf höherem Niveau, aber ansonsten wie Amin, durch Exzentrizität und Radikalität, nicht aber durch die Gleichgültigkeit gegenüber humanitären oder gar demokratischen Normen von den politischen Verhaltensregeln der „Dritten“, der Welt der Diktatoren zwischen Demokratie und Kommunismus, unterscheidet.

Mag sein, daß in der westlichweltweiten Empörung über Amin ein gerüttelt Maß an schlechtem Gewissen mitschwingt. Grund wäre dazu

»enügend vorhanden. Denn dieser idi Amin ist ja prinzipiell nichts anleres als jener König Mutesa I., der m vorigen Jahrhundert über einen reil des heutigen Uganda herrschte md über den der Historiker Alan Moorehead auf Grund der Aufzeichnungen des Afrikaforschers John Hannings Speke schreibt (der Afrika-Korrespondent des „Spiegel“ zitiert is in seinem soeben bei Zsolnay erschienenen Buch „Idi Amin — ein Held von Afrika?“): „Er war ein grausames, blutrünstiges Ungeheuer, rast jeden Tag wurden auf seinen Befehl Leute umgebracht... gleichsam als eine Art Spiel. Ein Mädchen jeging einen Verstoß gegen die Etikette, indem es zu laut sprach, ein Page versäumte es, eine Tür zu öffnen oder zu schließen, und sie wurden auf ein Zeichen Mutesas abgeführt und enthauptet... Folter durch lebendiges Verbrennen, Verstümmelung von Opfern durch Abschneiden von Händen, Ohren und Füßen, das Eingraben lebender Ehefrauen mit ihren Gatten — all diese Dinge wurden -als natürlich empfunden. Mutesa löschte Leben aus, wie ein Kind ein Insekt zertritt, ohne daß er auch nur einen Moment an die Konsequenzen dachte oder Mitleid empfand. Er fühlte keinen Schmerz außer seinem eigenen.“

Mutesa verhielt sich, wie alle seine Vorfahren sich verhalten hatten, und andere Stammesherrscher verhielten sich ähnlich. Als er sofort, nachdem er König geworden war, 60 seiner Brüder lebendig verbrennen ließ, wurde dies „als vollkommen normale Vorsichtsmaßnahme gegen eine mögliche Rebellion akzeptiert“.

In Idi Amin aber sieht sich Europa keineswegs nur dem alten, vorkolonialen Afrika .konfrontiert. Dieses Europa hat nicht nur in der Kolo-nialzeit jeden Versuch unterlassen, Afrika zu entwickeln, nicht nur wirtschaftlich und technisch, sondern auch intellektuell und moralisch zu entwickeln, sondern die Lehren, die der Koch eines britischen Offizierskasinos und spätere Feldwebel Amin von den Weißen empfing, fügten sich nahtlos in König Mutesas Tradition. Idi Amin, der Diktator Ugandas, hat als Staatsoberhaupt zwar antibritische Ressentiments abreagiert, aber niemals gegen den Kern dessen, was er von seinen Ausbildern und Vorgesetzten gelernt hatte, verstoßen. Weiße tastet er ja nicht an. Und was das „Vernehmen“, sprich Foltern und Töten von Schwarzen betrifft — dafür war er als Mitglied einer Einheit zur Bekämpfung des kenyani-schen Mau-Mau (seither auch sein gespanntes Verhältnis zu Kenya und Kenyatta) ein hochgeschätzter Experte. Als er nach der Niederwerfung des Mau-Mau nicht sofort begriff, daß nun andere Normen herrschten, und im Wettstreit mit anderen Unteroffizieren, wem die Entwaffnung von mehr Viehdieben gelang, ein halbes Dutzend Dorfbewohner viehisch abschlachtete, kam er mit einer Verwarnung davon. So betrachtet, ist Idi Amin heute eigentlich ein größenwahnsinnig gewordener Musterschüler seiner alten weißen Herrn.

Von allen selbständig gewordenen afrikanischen Staaten haben heute keine fünf mehr die „demokratischen Strukturen“ ihres Gründungstages, und dafür sind die lokalen Potentaten noch nicht einmal ernsthaft verantwortlich zu machen, denn die Kolonialmächte haben es versäumt, vor der Entlassung dieser Länder in eine Karikatur-Demokratie demokratische Infrastrukturen zu schaffen, auch nur ein Minimum an Bildungsarbeit und Vorbereitung auf die Freiheit zu leisten. Das eigentliche Verbrechen, das die Weißen an Afrika begangen haben, ist nicht einmal der vielzitierte Kolonialismus, die wirtschaftliche Ausbeutung, sondern was Europa Afrika schuldiggeblieben ist: statt der läppischen „Entwicklungshilfe“ Hilfe bei der politischen und bewußtseinsmäßigen Entwicklung. Idi Amin ist auch hiefür ein gutes Beispiel. Seine gesamte Ausbildung für höhere Kommandofunktiönen bestand darin, daß ihm sein britischer Kommandeur einen Schreibtisch mit zwei Körben zeigte und erklärte: „In den einen gehören die hereinkommenden und in den anderen die hinausgehenden Schriftstücke!“

Amin ist freilich unter allen afrikanischen Staatschefs der Mann mit dem niedrigsten Bildungs- und Intelligenzniveau: Es spricht eher für seine Kollegen, daß er seine weltpolitische Starrolle (wie immer man sie bewertet) keineswegs den schwarzafrikanischen Staaten verdankt. An die Macht verhall ihm, in einer grotesken Fehleinschätzung seiner Person, nicht zuletzt Israel, das hoffte, Amin werde die Unruhen im Sudan weiter schüren und damit die ägyptische Front entlasten. Amin hat bei den schwarzafrikanischen Diktatoren eine ziemlich schlechte Presse, er gilt von Kinshasa bis Moskau und von Washington bis Peking längst als unkalkulierbarer Faktor der afrikanischen Politik. Zum Vorsitzenden der Organisation afrikanischer Staaten (er selbst ließ sich sofort als „Präsident Afrikas“ feiern) haben ihn nicht die Schwarzafrikaner, sondern dazu hat ihn Ghadaffi gemacht, und die Palästinenser, aber auch Saudi-Arabien, haben dabei mitgeholfen. Der somalische Grand Old Man Barre wollte die „Komödie des Jahres“ verhindern, Mobutu hielt sich verlegen abseits, und die Staatschefs von Tansania, Sambia und Botswana blieben seiner Inthronisation aus Protest fern.

„Die Dritte Welt“ wird zwar von Jahr zu Jahr diktatorischer regiert, aber weder Idi Amin noch Ghadaffi ist für sie wirklich repräsentativ. Amin ist jenseits seiner Verrücktheit ein Diktator unter anderen Diktatoren.

Nur eine kleine Minderheit von Staaten wird heute (noch?) demokratisch regiert. In immer größeren Teilen der Welt wird die Diktatur zur Norm. Nicht zuletzt die Parallelen, die sich zwischen Idi Amin und Hitler ziehen lassen, konfrontieren Europa mit der% Fehlern, die es in der Vergangenheit gemacht hat, und deren Spesen es heute bezahlt, denn die Gefahr, die durch die Ausbreitung der Diktaturen droht, ist unverkennbar — die durch Kurzsichtigkeit und Gewinnsucht unterbliebene Heraufhebung Afrikas auf das europäische politische Entwicklungsniveau kann nun nicht mehr nachgeholt werden.

Oder geben wir uns etwa bezüglich eben dieses eigenen Niveaus Illusionen hin? Idi Amin, der Verrückte, der Exzentrische, der Despot, der seine Gegner mit Knüppeln erschlagen, grauenhaft verstümmeln, Krokodilen vorwerfen läßt, sagt manchmal schreckliche Wahrheiten. Etwa: „Hitler konnte nur so viele Länder erobern, weil die deutsche Armee und das deutsche Volk hinter ihm standen.“

Hier hat der Narr wohl recht logisch gedacht. Idi Amin wird von vielen — auch und gerade in Afrika — als „ein Hitler Afrikas“ gesehen. Läßt man jenen Hitler, der andere Länder überfiel und zerstörte, außer Betracht und beschränkt sich auf den Diktator Deutschlands, den brutalen Massenmörder, werden tatsächlich frappierende Parallelen sichtbar. Freilich, Hitler ist seit dreißig Jahren tot. Aber sind dreißig Jahre Entwicklungsvorsprung in Sachen der Humanität Grund, sich als Europäer über Amin erhaben zu fühlen? Unsere Aggressionen gegen Amin haben viel vom Haß gegen das eigene, unverfälschte Spiegelbild an sich.

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