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Größtes Flüchtlingsreich

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Jede Studie über das Flüchtlings­problem interessiert heute in erster Linie Afrika. Dieser Kontinent ist das größte Flüchtlingsreich der Welt. 1988 waren es offiziell sieben Millionen, heute - nach einigen neuen Konflikten - sind es schon mehr als achteinhalb Millionen. Eine unüberschaubare Tragödie.

Zu dieser Tragödie führten Bür­gerkriege, eine schlechte Dekolo-nialisierung, Kriege zwischen den Staaten. Das Problem erweist sich als so schwierig, daß die Organisa­tion für Afrikanische Einheit (O AU) 1969 eine Regionalkonvention für Flüchtlinge und 1974 einen eigenen Tag des afrikanischen Flüchtlings, am 20. Juni, schuf.

Seit dem Algerienkrieg 1958 hat sich die Flüchtlingsauf teilung auf dem afrikanischen Kontinent un­gleichmäßig entwickelt. Im südli­chen Afrika gibt es eine halbe Mil­lion Flüchtlinge, dazu kommen sechs Millionen Umgesiedelte. In dieser Region kommen die meisten Flüchtlinge aus Angola, Mozambi-que, Südafrika und bis vor kurzem auch aus Namibia. Die Angolaner und Mozambiquer sind Opfer zwei­er Bürgerkriege, an denen Pretoria eine maßgebliche Mitschuld hat.

Die mozambiquischen Flüchtlin­ge in Malawi sind in einem hoff­nungslosen Zustand. Die UNO rich­tete deshalb einen dringenden Appell an die Weltöffentlichkeit. In Mozambique sind dreieinhalb Millionen Menschen umgesiedelt worden, in Angola mehr als 1,7 Millionen. Alle wirtschaftlichen Strukturen sind zugrundegerichtet. Mehr als eine Million Menschen lebt ohne Hilfe in den Städten..

In Mozambique wurden 300.000 Familien verstreut. 200.000 Kinder sind ihrem Schicksal überlassen. Mit seinen 15 Millionen Einwoh­nern wird Mozambique allmählich ein Flüchtlingsstaat aus Einheimi­schen, Flüchtlingen und Umgesie­delten.

Am Horn von Afrika hat die Flüchtlingsbewegung zwei Ursachen: Zuerst die Naturkatastro­phen, dann die Bürgerkriege und Rebellionen in Somalia, Äthiopien und im Südsudan. Diese Region hat zwei Millionen Flüchtlinge, unge­fähr 800.000 in Somalia, 300.000 in Äthiopien und 500.000 im Sudan. Das sudanesische Flüchtlingselend ist so gravierend, daß hier ein gan­zes Volk verschwindet.

Des Bürgerkriegs und der Hun­gerkatastrophe wegen haben zwei Millionen Dinkas ihre Heimatre­gion Bahr el-Ghazal verlassen. In einigen Lagern, wie zum Beispiel Süd-Kordofar, sind im vergange­nen Sommer pro Woche 450 Perso­nen ums Leben gekommen.

In Ostafrika gäbe es 1988 650.000 Flüchtlinge. Aber nach dem Mas­saker zwischen Tutsis und Hutus in Burundi 1988 und dem heutigen sogenannten Befreiungskrieg der beiden Stämme in Ruanda sind zusätzlich etwa eineinhalb Millio­nen Flüchtlinge dazugekommen.

In Westafrika gab es bisher nur etwa 20.000 Flüchtlinge; aber nach dem Konflikt zwischen Maureta­nien und Senegal und dem Bürger­krieg in Liberia schätzt man den Flüchtlingsstrom auf etwa 750.000 Menschen. In Zentral- und Nord­afrika spricht man von „nur" 350.000 beziehungsweise 250.000.

Kann es für dieses Problem über­haupt eine Lösung geben? Es scheint so. Somalia und Äthiopien haben vor einigen Jahren einen Friedens­vertrag geschlossen. Damit konn­ten die Probleme in Eritrea, Tigre und im Südsudan eine friedliche Lösung finden. Im südlichen Afri­ka sollte Pretoria die Rebellen von RENAMO in Mozambique und die UNITA in Angola nicht mehr un­terstützen, dazu noch den Apart­heidstaat abschaffen.

In den anderen Regionen Afrikas müßten die Afrikaner wieder ihre traditionelle Toleranz gelten lassen zwischen Stämmen und Regionen beziehungsweise Religionen.

Zur Zeit wird Afrika vom UNO-Flüchtlingshochkommissariat un­terstützt.

Die gesamte UNO-Hilf e wird aber von einigen afrikanischen Staaten erschwert, weil sie zwar die Kon­ventionen der UNO und der OAU

unterzeichnet haben, in der Praxis aber kein diesbezügliches Engage­ment erkennen lassen.

Im südlichen Afrika und am Horn von Afrika schicken beispielsweise einige Regierungen die Flüchtlinge wieder zurück oder erkennen sie nicht als Flüchtlinge an.

Die 700 Millionen Dollar an in­ternationaler Hilfe, die Afrika wäh­rend der „Zweiten Internationalen Flüchtlingskonferenz für Afrika" 1984 gewährt wurden, reichten bei weitem nicht, um die humanitäre Hilfe der UNO in benötigtem Aus­maß wirksam werden zu lassen.

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