"Fragen, was sie brauchen"

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Afrika-Kenner Karlheinz Böhm im Gespräch über die Ursachen des Entwicklungsrückstandes von Afrika.

Die Furche: Herr Böhm, es tut sich bei der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der afrikanischen Staaten wenig - was auch kürzlich wieder dem Weltentwicklungsbericht der UNO zu entnehmen war, worauf führen Sie das zurück?

Karlheinz Böhm: Meiner Meinung nach ist der Kolonialismus schuld, über den sehr ungern gesprochen wird, und der ausnahmslos den gesamten Kontinent über 487 Jahre unterdrückt hatte. Ich sage ausnahmslos, denn es gibt ja mit Äthiopien eine scheinbare Ausnahme, das nur kurz unter der italienischen Herrschaft war. Aber es war 2000 Jahre unter einer Feudaldiktatur, und das war auch eine Art Kolonialherrschaft. Und zwar von Kaisern aus verschiedenen Familien, die diesen Vielvölkerstaat unterjocht haben. Das Ende der Kolonialzeit setze ich für Äthiopien mit dem Jahr 1991 an, als die von der UdSSR gestützte sozialistische Militärdiktatur unter Mengistu Haile Mariam endete. Zu dieser Zeit endete der Neo-Kolonialismus der USA und der UdSSR (politische Einflussnahme der großen Blöcke des Kalten Krieges; Anm.) und viele Staaten Afrikas erhielten erst damit ihre wirkliche Unabhängigkeit.

Die Furche: Das heißt, Afrika braucht einfach noch mehr Zeit?

Böhm: Führen Sie sich die Entwicklung von Österreich und Deutschland nach dem Sturz der Kaiserreiche vor Augen. Zuerst versuchte man eine Art Demokratie, die zu nichts anderem führte als zu Adolf Hitler mit seiner Militärdiktatur inklusive des Zweiten Weltkrieges. Erst mit der Gründung der UNO entstanden wieder Demokratien. In Afrika aber erwartet man, dass sich mit dem Ende des Kaisers sozusagen oder der Kolonialherrschaft innerhalb kürzester Zeit demokratische freie Staaten entwickeln. Und man fragt sich, warum es so viele Probleme gibt. Wie lange hat es bei uns gedauert, bis sich wirkliche demokratische Strukturen entwickelt haben? Wir können von den Staaten Afrikas nicht erwarten, dass sie in nur wenigen Jahren funktionierende Demokratien auf die Beine stellen.

Die Furche: Alles Nachwirkungen der Kolonialzeit …

Böhm: Ja. Doch das wird in der Berichterstattung über Afrika ausgeklammert. Aber, dass die Kolonialmächte einen ganzen Kontinent ein halbes Jahrtausend kontrolliert haben, und die Menschen als Sklaven behandelten, die Rohstoffe der Länder ausbeuteten und den Afrikanern den Weg zur Bildung nicht ermöglichten, wird heute nicht mehr angesprochen. Doch darin begründen sich die heutigen Probleme Afrikas. Und nicht zu vergessen die willkürlich am Schreibtisch gezogenen Grenzen, die gar nichts mit den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung zu tun haben bzw. auf Stammesgebiete keine Rücksicht nehmen.

Die Furche: Und warum wird darüber nicht gesprochen?

Böhm: Weil es einigen Ländern in Europa ziemlich zu denken geben würde, wenn man sie in die Pflicht nimmt, und ihre Taten als Kolonialmächte hinterfragt. Das macht mich auch in Bezug auf den Lissabonner EU-Afrika-Gipfel so wütend. Wie kann der britische Premierminister Gordon Brown seine Teilnahme absagen, nur weil Simbabwes Präsident Robert Mugabe anreist. Simbabwe - damals Rhodesien - war ein britischer Kolonialstaat. Und jetzt, wo die Menschen dort erst langsam ihre Entwicklung selbst in die Hand nehmen können, wird geschimpft, dass Mugabe ein Diktator ist. Gut, das stimmt, aber dass die noch weit von einer Demokratie entfernt sind, die sich die Menschen in Europa auch über Jahrhunderte erkämpfen mussten, ist doch klar, und daran hat Großbritannien eine erhebliche Schuld. Deshalb ist es lächerlich von europäischer Seite darüber zu schimpfen, dass die afrikanischen Staaten noch nicht weiter entwickelt sind, wenn es doch europäische Mächte waren, die die Menschen in Afrika über Jahrhunderte an ihrer Entwicklung hemmten.

Die Furche: Man misst also mit zweierlei Maß …

Böhm: Man geht vor allem nicht auf Augenhöhe miteinander um. Der Norden glaubt immer noch, alles besser zu wissen, was in Afrika passiert, ohne dass dabei nach den Ursachen der heutigen Situation gefragt wird.

Die Furche: Ist die Entwicklung, die die europäischen Staaten gemacht haben, die einzig richtige?

Böhm: Das ist eine wichtige Frage. Die europäische Gemeinschaft geht immer davon aus, dass der Weg den sie gegangen ist, der einzig wahre ist. Und diese Einstellung würde ich mit sehr vielen Fragezeichen versehen. Nach dem Ende des Kolonialismus, sollte man nicht erwarten - und das tun die Europäer aber immer -, dass die Afrikaner von heute auf morgen so sein müssen wie wir. Dass es aber vielleicht ganz andere Formen der staatlichen Entwicklung gibt, das wird nicht in Betracht gezogen. Es wird noch viele Grenzkonflikte geben, und vielleicht werden die Volksstämme dann doch wieder in gemeinsamen, von ihnen selbst definierten Staaten zusammenleben.

Die Furche: Was ist Ihrer Meinung nach der beste Weg, um Entwicklungshilfe zu betreiben?

Böhm: Nach den 26 Jahren, die ich jetzt in Äthiopien tätig bin, muss ich sagen, habe ich heute eine andere Perspektive. Neben dem Aufbau eines Gesundheitssystems und der Hilfe bei der Agro-Ökonomie haben wir begonnen, unser Budget zu zwei Drittel für den Aufbau von Schulen zweckzuwidmen. Denn vor vier Jahren hat mich eine von der äthiopischen Regierung veröffentlichte Zahl fast wahnsinnig gemacht, aber ich musste sie glauben. Von der Gesamtbevölkerung von geschätzten 71,5 Millionen Menschen, können 46,7 Prozent der Kinder keine Schule besuchen. Wenn die Menschen aber nicht einmal die Grundlagen von Wissen - Rechnen und Schreiben - erwerben können, so kann ja gar keine Entwicklung stattfinden. Darum haben wir heute einen Bildungsschwerpunkt. In den vergangenen drei Jahren haben wir 200 Schulen gebaut.

Die Furche: Welche Rolle spielt für Sie die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika?

Böhm: Eine bedeutende, denn man muss den Kontinent Afrika mit seinen 43 Staaten als einen neuen Wirtschaftspartner betrachten. Zum Beispiel ist Äthiopien reich an Kaffee, und jetzt wurde auch begonnen, Tee anzubauen. Die Goldressourcen sind leider schon weg, sei es von den ehemaligen Kaisern bzw. den Sowjets ausgebeutet. Ich habe auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gesprochen, sie hat mich da sehr gut verstanden, dass ein fairer Handel mit den afrikanischen Staaten ein Meilenstein in der Entwicklungszusammenarbeit werden muss.

Die Furche: Stehen sich da nicht ungleiche Partner gegenüber?

Böhm: Darum ist es wichtig, dass die Unterstützung bei der eigenen Entwicklung auch den Aufbau eines wirtschaftlichen Systems beinhaltet. Heute gibt es bereits in Äthiopien eine Wirtschaftsschicht, die für so eine Partnerschaft notwendig ist.

Die Furche: Besteht nicht die Gefahr, dass Afrika in eine neue Kolonialzeit schlittert? Und - salopp gesprochen - als Rohstofflieferant am Gängelband von einzelnen Konzernen hängt und nicht mehr an dem von Staaten.

Böhm: Da würde ich vorsichtig sein. In allen Ländern der Welt ist es so, wenn man Handel aufbaut, dass es zur einen oder anderen Art der Beeinflussung kommt. Das ist nur normal. Wichtig ist vielmehr, wie die Bevölkerung darauf reagiert. Und im Falle von Äthiopien glaube ich nicht, dass die Gefahr besteht, dass man in eine neue Abhängigkeit hineinrutscht.

Die Furche: Sind Sie heute noch überzeugt, dass Ihr Weg der Hilfe zur Selbstentwicklung der richtige ist?

Böhm: Ich bin zu hundert Prozent davon überzeugt, dass wir richtig gehandelt haben. Wir erreichen zirka acht Prozent der Bevölkerung Äthiopiens - direkt oder indirekt. Dabei sind unsere ersten Ansprechpartner Vertreter der politischen Administration. Weiter arbeiten wir mit 730 Mitarbeitern vor Ort zusammen, und davon sind nur vier Europäer, die in Fachbereichen arbeiten, die wir in Äthiopien einfach nicht haben. Wir haben den Menschen nie Dinge aufgezwungen, sondern sie immer gefragt, was sie brauchen. Das heißt, wir haben selbstbestimmte Projekte für die eigene Entwicklung unterstützt. Und diesen Weg gehen wir weiter.

Das Gespräch führte Thomas Meickl.

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