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Die gerupfte Einheit Afrikas

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Wer denkt heute noch an Biafra? Die Bilder der verzweifelten Mütter und der Kinder mit den hungergeblähten Bäuchen in Biafra wurden mittlerweile von den Bildern aus der Sahelzone abgelöst; die Grausamkeit von Mensch gegen Mensch— durch die Grausamkeit der Natur. Und der verzweifelte Kampf der Ibo in den sechziger Jahren für Selbstbestimmung und Unabhängigkeit ist längst vergessen. Und wie ist das heute in Äthiopien, wo in Eritrea eine Unabhängigkeitsbewegung kämpft?

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Wer denkt heute noch an Biafra? Die Bilder der verzweifelten Mütter und der Kinder mit den hungergeblähten Bäuchen in Biafra wurden mittlerweile von den Bildern aus der Sahelzone abgelöst; die Grausamkeit von Mensch gegen Mensch— durch die Grausamkeit der Natur. Und der verzweifelte Kampf der Ibo in den sechziger Jahren für Selbstbestimmung und Unabhängigkeit ist längst vergessen. Und wie ist das heute in Äthiopien, wo in Eritrea eine Unabhängigkeitsbewegung kämpft?

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Die Niederlage Biafras wurde damals von Dakar bis Daressalam als ein Sieg der Afrikanischen Einheit gefeiert. Denn, so hieß es, das heilige Recht auf Selbstbestimmung mußte dem höheren Out der afrikanischen Einheit weichen. Afrikanische Einheit, oder nigerische Einheit? Jedenfalls gelang es damals der Regierung in Lagos, ihren Kampf gegen die Sezession der fleißigen und produktiven Ibo und für die Erhaltung der Ölfelder Biafras unter nigerischer Kontrolle als einen Krieg im Interesse ganz Afrikas darizustellen. Denn wo bliebe denn das heutige Zaire, wenn die Bakongo sich mit ihren Stammesbrüdern in Angola vereinigen und einen Nationalstaat aus- rufen würden? Wie wäre Algieren ohne die Berber denkbar, Ober- Volta aiuf die Mossi-Region reduziert, oder Äthiopien ohne Eritrea?

Die Organisation für Afrikanische Einheit hat ihren administrativen Sitz und ihr spirituelles Heim in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens. Und nichts könnte passender sein, denn Äthiopien ist das einzige Land Afrikas, das niemals von Europäern kolonisiert oder kontrolliert war. Die italienische Besetzung des Landes dauerte ja nicht länger als die deutsche Okkupation Frankreichs wähnend des Zweiten Weltkrieges. Nur ist es für die tragische Ironie des afrikanischen Schicksals bezeichnend, "daß Äthiopien wohl das unafrikandscheste Land des gän- zen Erdteils ist — mit Ausnahme natürlich der muselmanischen Länder an der Mittelmeerküste. Äthiopien mit seinem uralten Herrscherhaus, das seine Abstammung auf König David zurückführt; mit seiner christlichen Geschichte, die älter ist als die des Christentums in den meisten Teilen Europas. Hinter seinen Bergen verschanzt, konnte es jahrhundertelang seine Freiheit und Unabhängigkeit behaupten und blieb — eben auch jahrhundertelang — von der Umwelt und seinen afrikanischen Nachbarn und deren Schicksal isoliert. Erst Mussolinis „römisches Reich“ und der Zweite Weltkrieg mit der darauffolgenden westlichen Politik der Entwicklungshilfe brachte dieses alte Land in die Welt des 20. Jahrhunderts. Mit der Akquisition Eritreas optierte Äthiopien bewußt für den Anschluß an die moderne Welt und gegen die Fortsetzung seiner traditionellen Isolation.

Jedoch, so wichtig die neuerworbene Provinz Eritrea für Äthiopien war, gelang es wie, sie zu „äthiopi- sieren“. Ethnisch, kulturell, religiös — und außerdem als ehemalige Kolonie — blieb Eritrea ein Fremdkörper im Äthiopischen Reich, genauso wie die Ibo Biafras sich eben nicht als Nigerier betrachten wollten oder konnten. Es ist verständlich, daß die Regierung in Addis Abeba in der Niederlage Biafras einen Sieg für die Einheit Afrikas sah, oder doch zumindest für die Einheit Äthiopiens. Nur war dieser

Sieg kein Endsieg; und sieben Jahre sind eben eine lange Zeit.

Während Haile Selassie, der die Einigkeit Äthiopiens persoaifizierte, nunmehr entmachtet, ein Gefangener der gegenwärtigen Militärregierung ist, kämpfen die derzeitigen Machthaber in Addis Abeba längst nicht mehr für die Einheit Afrikas, sondern einfach um die Erhaltung einer Provinz: um Äthiopiens Zugang zum Meer, um die einzige Ölraffinerie des Landes, um einen wichtigen Teil des modernen Sektors der äthiopischen Wirtschaft. Mehr noch, für Äthiopien handelt es sich um seinen physischen Kontakt mit der Welt des 20. Jahrhunderts oder um eine Rückkehr zur Isolation vergangener Zeiten. Geographisch isoliert und militärisch gedemütigt, ohne Erdöl oder Chrom, könnte Äthiopien heute kaum mehr Sympathie von der restlichen Welt erwarten, als ihm vor 40 Jahren zuteil wurde, als Mussolinis Truppen das Land mit Giftgas eroberten. Damals richtete Haile Selassie prophetische Warnungen an die Mitgliedsstaaten des Völkerbundes in Genf. Die Stimme seiner Nachfolger dringt nicht einmal bis Asmara.

Biafra hätte keine Freunde unter den Großmächten oder in den Vereinten Nationen, während die Zen- tralregierung in Lagos Unterstützung von Großbritannien und von Rußland erhielt. Heute hat Äthiopien keine Freunde — weder in Afrika noch anderswo —, von denen es Hilfe erwarten kann. Und während die Berichte über die zahllosen Opfer in Biafra damals bestenfalls die Zeitungsleser des Westens das Gruseln lehrten, werden heute bereits Anschuldigungen des Völkermordes gegen Äthiopien erhoben. Unter diesen Umständen ist es bemerkenswert, daß das erste Vermitt lungsangebot vom Präsidenten des Sudan, Numeiri, kam. Denn es ist noch nicht sehr lange her, daß seine mohammedanische Regierung des Völkermordes im christlichen Süden des Sudan beschuldigt wurde. Aber die Welt und mit ihr die Begriffe von Recht und Unrecht und „unse ren höchsten Gütern“ haben sich eben seit dem Biafra-Krieg geändert. Damals handelte es sieh um einen Kampf für die Einheit Afrikas. Heute spricht man von Völkermord. Damals fühlten sich die Nachfolgestaaten verpflichtet, die zur Zeit der Aufteilung Afrikas in Berlin gezogenen Grenzen mit ihrem Blute zu verteidigen. Heute pocht die Befreiungsfront Eritreas auf ihr Selbstbestimmungsrecht. Und während vor sieben Jahren noch Äthiopien Afrika, seine Tradition und seinen stolzen Willen zur Freiheit und Unabhängigkeit verkörperte, spricht heute Libyen für Afrika und ver leiht seinen Worten Nachdruck mit seinen Ölrevenuen. Denn wenn die Libyer auch bloß geographisch zu Afrika gehören, so sind die Einwohner Eritreas doch Muselmanen und können dem islamischen Kul- turkreis zugezählt werden.

Kriege sind immer tragisch. Das

Tragische an diesem Krieg ist die Tatsache, daß Äthiopien wohl viel zu verlieren, Eritrea aber nichts zu gewinnen hat. Ohne das äthiopische Hinterland verliert das Rote Meer — der Hafen von Asmara — beträchtlich an Bedeutung. Und die Ölraffinerie, die bis jetzt dem gesamtäthiopischen Markt gedient hat, hätte eine imwirtschaftliche Exzeßkapazität für ein unabhängiges Eritrea. Politisch kann Eritrea kaum mit einer realeren Unabhängigkeit rechnen als der eines Klientenstaates mit labilen Loyalitäten. — Wann aber waren Kriege jemals Sache logischer Überlegungen?

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