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Abwegige Entwicklungshilfe

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Die umfassende schwedische Entwicklungshilfe, die nun durch 25 Jahre an Äthiopien gegeben worden ist, kann als ein Musterbeispiel dafür dienen, wie die Gutgläubigkeit und die Großmütigkeit eines Spenders mißbraucht werden kann, wie ein Bemühen um menschlichere Verhältnisse schließlich zur Zementierung der Unmenschlichkeit und zur Korruption auch der Helfer führen kann. Was den Ärmsten des Landes dienen sollte, dient heute einer Handvoll feudaler Machthaber dazu, einen großen Teil der Bevölkerung des Landes mit brutalster Gewalt niederzuhalten.

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Die umfassende schwedische Entwicklungshilfe, die nun durch 25 Jahre an Äthiopien gegeben worden ist, kann als ein Musterbeispiel dafür dienen, wie die Gutgläubigkeit und die Großmütigkeit eines Spenders mißbraucht werden kann, wie ein Bemühen um menschlichere Verhältnisse schließlich zur Zementierung der Unmenschlichkeit und zur Korruption auch der Helfer führen kann. Was den Ärmsten des Landes dienen sollte, dient heute einer Handvoll feudaler Machthaber dazu, einen großen Teil der Bevölkerung des Landes mit brutalster Gewalt niederzuhalten.

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Die von Schweden gegebene Hilfe war bereits vor Jahresfrist in das Kreuzfeuer der einheimischen Kritik geraten, als sich herausstellte, daß viele Millionen Kronen für ein großes Schulbauprogramm sinnlos verpulvert worden waren, da die äthiopischen Behörden, von den nächsten Verwandten dės Kaisers in Addis Abeba angefangen bis zum letzten Dorfgewaltigen, ihren Teil des Bauprogramms nicht erfüllt hatten. Ein großer Teil des Materials „verschwand“ auf dem Wege zu den Baustellen, ein anderer Teil wurde falsch oder überhaupt nicht verwendet, und für die Schulen, die dennoch gebaut worden waren, hatte man keine Lehrer. Es gab harte Kritik in Schweden, doch die Leiter der staatlichen Hilfsorganisationen, der mächtigen SIDA, wehrten sich erbittert gegen alle Anschuldigungen der Verantwortungslosigkeit und Gutgläubigkeit und führten alle Angriffe auf eine von vornherein böswillige Einstellung gegenüber jeder Entwicklungshilfe zurück.

In den letzten Tagen des vergangenen Jahres kamen nun schwedische Missionare aus Eritrea zurück und berichteten, daß Militärflugzeuge Haile Selassies wahllos Dörfer mit vermeintlichen „Aufrührern“ bombardiert und Polizei- und Militärverbände des Kaisers tausende Bewohner der ehemals italienischen Kolonie niedergemetzelt hatten. Einer der bisher totgeschwiegenen Kolonialkriege geriet nun auf einmal in das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Nun erinnerte man sich plötzlich wieder daran, daß bereits vor zehn Jahren der Botschafter des Kaisers in Stockholm, der mutige Teferi Chareou, die Herrschaft Haile Selassies als ein brutales und korruptes Regime bezeichnet hatte, das die Bewohner des Landes in Unfreiheit und Elend halte. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hungere jahraus und jahrein, gehe halb nackt und schlafe auf der Erde, während der Kaiser 60 Prozent der Staatseinkünfte in die eigene Tasche stecke und den Rest an willfährige Heiducken des Hofes verteile. Das Volk besitze nicht die Spur von politischen Rechten, und das äthiopische Volk sei nur deshalb so unvorstellbar arm, weil eine dünne Schicht von Ausbeutern unverschämt reich sei!

Teferi Chareou hatte natürlich sein Ränzel packen müssen und war in Stockholm durch einen Verwandten Haile Selassies ersetzt worden. Zehn Jahre später erfährt man nun, daß es in Äthiopien nicht um einen Deut besser geworden ist, daß man im Gegenteil die Unterdrückung und Vernichtung der Mißliebigen nur noch perfektioniert hat. Und das geschah mit schwedischer Hilfe, die Äthiopien seit 35 Jahren schon in einem ungewöhnlich und unbegreiflich hohen Ausmaß zuteil geworden ist!

Der Aufbau der äthiopischen Luftwaffe wurde vor allem mit schwedischer Hilfe und mit schwedischem Material durchgeführt. Den Beginn machte die Überführung von 14 schwedischen Luftwaffenoffizie ren — unter Führung Carl-Gustaf von Rosens — und 16 Bombenflugzeugen des Typs B 17.

1946 begann die Aufstellung einer Polizeitruppe des Kaisers unter der Führung schwedischer Polizeioffiziere, von denen einige auch nach durchgeführtem Auftrag im Dienste des Kaisers blieben. Der Polizeioffizier Curt-Erik Dalborn organisierte den äthiopischen Sicherheitsdienst, die politische Terrororganisation des Kaisers. Als Haile Selassie 1960 die Revolte einiger Offiziere niederschlug, war auch dieser Schwede noch im Dienst. Befehlshaber der Luftwaffe war in diesen Tagen der Schwede Knut Lindahl.

Haile Selassie hat heute 34.000 Mann unter Waffen. In der Luftwaffe befinden sich 47 schwedische Flugzeuge, die von SAAB gebaut worden sind. Schweden sorgt für die Betreuung der Flugzeuge und für die Ausbildung der Piloten. Von den Staatseinnahmen des Landes sollen jetzt 50 Prozent für die Erhaltung des Militärs und der Polizei ausgegeben werden, jedoch nur 6 Prozent für Gesundheitspflege — und diese Feststellung ist sehr wichtig, denn hohe schwedische Millionenbeträge werden gerade für die Gesundheitspflege zur Verfügung gestellt. Hunger und Krankheit plagen die Menschen, von denen nur zehn Prozent lesen und schreiben können, also weniger als vor zehn Jahren.

Und gegen dieses Volk setzt nun Addis Abeba Flugzeuge ein, die Schweden bezahlt und die mit Piloten bemannt sind, die Schweden ausgebildet hat… Eben meldet man in Stockholm, daß für die Äthiopienhilfe von neuem 37 Millionen Kronen bewilligt worden sind, neue Millionen, die seltsame Früchte tragen werden…

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