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Der Kaiser und sein Wesir

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An einer der letzten Stunden des Jahres 1960 betrat im schwedischen Hafen Hälsingborg ein schmalgesichtiger, dunkelhäutiger Mann, der von zwei jungen Mädchen begleitet war, das bereits wartende Fährschiff nach Helsingör und begab sich sofort, ohne sich noch einmal umzuschauen, hinab in die Aufenthaltsräume im Innern des Schiffes.

Eine Minute später wurde die Brücke eingezogen, die laufenden Motoren kamen auf Touren und das Schiff nahm Kurs auf die dänische Küste.

Einige unauffällig in der Nähe der Anlegestelle postierte, zivilgekleidete Männer atmeten erleichtert auf, entspannten ihre Mienen und sammelten sich in einer kleinen Gruppe vor dem Büro der Hafenpolizei. Einer von ihnen hob bereits drinnen in der Wachstube einen Hörer ab und meldete, daß der frühere Botschafter des Kaiserreiches Äthiopien in den skandinavischen Län- dfrn, ;M:n T#«ri Chäreot# ohne Zwischenfall schwedischen Boden verlassen hatte. Damit war für die Staatspolizei und das Außenamt dieser Fall erledigt. Draußen auf dem Sund aber verschwand in diesigem Wetter das Fährschiff nach Helsingör; drei von seinen Fahrgästen waren seit fünfzehn Minuten heimatlose politische Flüchtlinge. Drei kleine Tropfen im Flüchtlingsmeer dieser Welt, was bedeutet das schon? Doch wie sich in einem einzigen Tropfen oft eine Welt offenbaren kann, so spiegelt sich in diesem einzelnen Schicksal die ganze Fragwürdigkeit, der ganze Jammer der Inkonsequenz und das ganze Elend der vielfach durchlöcherten politischen Moral der westlichen Welt. Und daß unser so demokratisches Schweden das Exempel lieferte, gibt dieser Geschichte erst ihre erregende Aktualität!

Einer freute sich zu früh

Wenn einer der alten Herrscher des Morgenlandes einen seiner hohen Beamten besonders auszeichnen wollte, dann gab er ihm ‘ einen ehrenvollen Titel und ein kostbares Festgewand, füllte seine Taschen mit Goldstücken und schickte ihn mit einer Kamelkarawane an den Hof eines anderen Königs, damit er dort die Interessen seines Herrn wahrnehme. Und ebenso handelte mitunter der Herrscher, wenn er aus mancherlei Gründen einen einflußreichen Wesir vom Hofe entfernen wollte. Da konnte es jedoch auch geschehen, daß dieser Abgesandte erst einmal sicher vor den Krummsäbeln der Palastwache, laut und deutlich erklärte, daß sein Herr keineswegs ein Muster an Weisheit, Klugheit und Güte sei, wie es die Hofsänger täglich verkündeten.

Durch einige Ausläufer der äthiopischen Tragödie wurde uns wieder einmal vordemonstriert, daß dies alles auch heute noch geschehen kann. Der Name des Herrschers ist bekannt und in die Rolle des abtrünnigen Wesirs brauchen wir nur den Minister der äthiopischen Majestät, Mr. Teferi Chareou, einzusetzen. Es ist alles genau wie vor tausend Jahren. Was fehlt, ist nur die Kamelkarawane. Doch Zyniker behaupten, daß es nicht einmal an Kamelen fehle. Nur zögen es diese vor. leicht verklei

det auf der Bühne der Geschichte zu erscheinen.

Haile Selassie verdankte sein großes politisches und moralisches Guthaben in der westlichen Welt der brutalen Aktion Mussolinis im Jahre 1935. Allzu vereinfachte Schlußsätze führten zu der Auffassung, daß das Opfer eines faschistischen Diktators ein fortschrittlicher, humaner Landesvater sein müsse. Doch das Bild unserer Welt ist gar nicht so einfach, und hinter den Aushängeschildern, auf denen Demokratie, Fortschritt, Abendland, westliche Gesinnung und Sozialismus steht, spielt sich manches Trauerspiel ab, das andere Titel verdienen würde. So werden nach den Begriffen auch die Worte abgewertet, die sie decken sollen!

In seiner Freude über den Aufstand der Leibgarde des Kaisers schrie der Minister hinaus, daß alles ganz anders war, als man bisher geglaubt hatte.

Doch die Wahrheit ist immer un- . bequem! Der Kaiser Meß durah-seinen Bf ¡Schifter ln ndon vöm “schwedischen Außenamt verlangen, daß es weitere Angriffe verhindere und dem rebellierenden Wesir verbiete, sich weiter politisch zu betätigen. Dieser Wunsch war verständlich und er entsprach der Auffassung des Kaisers von den politischen Zuständen in seinem Reich.

Unverständlich für die schwedische Öffentlichkeit war, daß diesem Wunsch entsprochen wurde. Dem Botschafter wurde nahegelegt, seine Angriffe einzustellen und sich jeder politischer

Betätigung zu enthalten. Die Zeitung „Stockholms Tidningen“ knüpfte an diese Meldung die Frage, auf welches Gesetz sich eigentlich das Außenamt mit dieser Forderung stütze.

Unbegreiflich blieb auch, daß Haile Selassie die Chancen für die Erfüllung seiner politischen Forderung besser gekannt hatte als die schwedische Presse selbst. Der ungetreue Wesir hat den Boden des befreundeten Königreiches verlassen müssen und ist nun ein Flüchtling wie Millionen andere. Kehrt er in sein Land zurück, dann wird er im besten Fall zwischen dem Strick und dem Säbel des Henkers wählen können.

Zwischen Stockholm und Addis Abeba

Schweden hat für Äthiopien schon viel getan. Seine Luftwaffe ist von Schweden geschaffen worden, ihr Kommandeur ist der schwedische Brigadegeneral Lindahl, viele ihrer Piloten

und Instrukteure sind, Schweden dbrlss’it rdsi nun tv sä, „Löwen von Juda stehen noch manche andere schwedische Offiziere, Ärzte, Lehrer, Techniker, Architekten, Juristen und Polizeibeamte. Man hat viel friedliche Aufbauarbeit geleistet, aber man hat auch jene Polizei- und Militärkräfte ausgebildet, die jetzt die Rebellion niedergeschlagen haben.

Vielleicht war es kein Zufall, daß gerade in Stockholm von einem Sprecher der Rebellen so laut „Es lebe die Demokratie! Es lebe die Freiheit!“ gerufen wurde.

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