6626897-1956_14_08.jpg
Digital In Arbeit

Zwei Obelisken werfen ihre Schatten...

Werbung
Werbung
Werbung

Rom, im März 1956

Der Schatten zweier Obelisken fällt auf die italienisch-äthiopischen Beziehungen; er ist lang und schmal, aber immer noch breit genug, um die von den beiden Ländern angestrebte Freundschaft zu verdunkeln. Der eine dieser Steinkolosse steht an einem der schönsten Punkte Roms, dort, wo sich in antiken Zeiten die Porta Capena befunden hatte, vor dem modernen Monumentalbau des ehemaligen Afrikaministeriums, das heute Sitz der FAO ist. Wer die Geschichte Roms nur oberflächlich kennt, könnte glauben, dieser Monolith gehöre zu den übrigen dreizehn Obelisken, die von den römischen Kaisern in Aegypten „gefunden“ und zum Schmucke der Weltstadt und zur eigenen größeren Ehre nach Rom gebracht worden waren.

Der Obelisk am Beginn der berühmten „Passeggiata Archeologica“ aber ist ein viel jüngerer Gast der Urbs. Die 24 Meter hohe, vierseitig gemeißelte Steinnadel stammt aus der heiligen Stadt Axum in Erythräa, wo Aethio-piens Kaiser gekrönt wurden und deren legendärer Ursprung sich im Dunkel der Zeiten verliert. Man hat der Stele ein Alter von 24 Jahrhunderten zugeschrieben. Mussolini ließ sie im Jahre 1935 nach Rom bringen und hier zum Schmucke der Stadt und zum eigenen größeren Ruhme am 28. Oktober des Jahres XVI der faschistischen Aera (1938) aufstellen.

Die Regierung in Addis Abeba hat nun die Rückgabe des Obelisken von Axum verlangt. Eher war man bereit, sich einige von den Dollarmillionen abhandeln zu lassen, die Italien auf Grund des 1947 unterzeichneten Friedensvertrages zu bezahlen hat, als Reparationen für die in seinem Aggressionskrieg 1937 in Abes-sinien verursachten Schäden. Aber auf das Monument wollte man nicht verzichten; in diesem Punkte blieb die Regierung des Kaisers Haile Selassie fest. Vergeblich hat das italienische Außenministerium versucht, die Aethio-pier davon zu überzeugen, wie unpraktisch und unbequem der Rücktransport eigentlich sei. Praktisch oder nicht, die Aethiopier bestehen auf ihrer Forderung, und ein kürzlich zwischen Rom und Addis Abeba erreichtes Uebereinkom-men sichert ihnen die Rückgabe zu.

Das Abkommen setzt die von Italien zu entrichtenden Reparationen endgültig fest. Ursprünglich war die Summe im Friedensvertrag mit 25 Millionen Dollar bestimmt worden, zugleich wurde den Italienern jedoch das Recht eingeräumt, die von Aethiopien eingezogenen Werte italienischer Staatsbürger abzuziehen. Die Verhandlungen über die Festsetzung des Wertes italienischen Privateigentums haben sich seit dem November 1951 hingezogen, mehr zum Schaden Italiens als Aethiopiens; denn inzwischen hat der Wettlauf der Nationen um die Sicherung wirtschaftlicher Positionen in Aethiopien eingesetzt, von dem Italien ausgeschlossen blieb. Zwar durfte es einen diplomatischen Vertreter nach Addis Abeba entsenden, aber die offene Frage der Reparationen lastete auf den Beziehungen. Die ungeklärte Situation wirkte sich auch auf die in Aethiopien verbliebenen Italiener nachträglich aus, und von dieser Seite kamen denn auch die heftigsten Kritiken an der Politik der zugeknöpften Tasche. In Rom wieder behauptete man, der Wert des eingezogenen italienischen Besitzes überträfe bei weitem jene 25 Millionen Dollar, von denen der Pariser Vertrag spricht. Erst vor wenigen Monaten, nach einer endlosen Reihe von Mißverständnissen, Polemiken und Verstimmungen, ist der endgültige Betrag der Reparationen mit 16 Millionen Dollar festgelegt worden. Italien wird die Summe bei einer Bank deponieren und aus ihr Aufbauwerke und Lieferungen finanzieren. Unter anderem werden die italienischen Techniker das Stauwerk von Koka, ein altes italienisches Projekt, erbauen, das der äthiopischen Hauptstadt und ihrer Umgebung den Strom liefern wird.

Die Barentschädigung an Aethiopien hat jedoch in der öffentlichen Meinung Italiens weniger Eindruck hervorgerufen als der drohende Verlust des Obelisken von Axum, Symbol der, freilich nur vorübergehenden und bald wieder verlorenen, imperialen Größe Roms. Entgegen weitverbreiteten Meinungen hängen die Menschen mehr an Symbolen als am Geld. Trauer und Angst herrschen in Italiens Hauptstadt wegen des bevorstehenden Verlustes. Einer der Stadtväter hat im römischen Senat gegen die Herausgabe des Obelisken protestiert. Der Abgeordnete De Totto hat auch an den Außenminister die schon unvermeidliche parlamentarische Anfrage gerichtet, ob an den Geruchten, die von einer baldigen Rückgabe des Obelisken an die äthiopische Regierung wissen wollen, etwas Wahres sei.

Dem Abgeordneten war entgangen, daß der Text des zwischen Italien und Aethiopien abgeschlossenen Vertrages bereits veröffentlicht worden ist. Und hätte es sich nur um den Obelisken allein gehandelt! Aber im Annex B des Vertrages befindet sich eine ganze Liste von Dingen, die die Heimreise in das Ursprungsland antreten sollen, allerdings heißt es, „wenn und wann sie gefunden werden“, Denn manches davon ist im Zuge der Geschehnisse verschwunden und derzeit unbekannten Aufenthalts,: die Archive der kaiserlichen Regierung Aethiopiens, die Statue des „Löwen von Juda“, vier Throne des „Oberen Palastes“, zwei Throne des „Unteren Palastes“, elf Staatskarossen für die Krönungszeremonien, sechs Kronen. Marschallstäbe, hunderte goldene und silberne Krüge, Tafelsilber, ein Fliegenwedel mit goldenem Griff,Pretiosen, goldene Schilde, Schwerter. Teppiche, edelsteingeschmückte Lanzen, Krönungsmäntel und eine Menge Kaiserbilder, darunter Geschenke des letzten deutschen Kaisers und Kaiser Franz Josephs. Die italienische Regierung verpflichtet sich, nach allen diesen Dingen zu suchen.

Mit dem Obelisken beschäftigt sich ein eigener Annex C. Italien muß den Steinkoloß von Neapel innerhalb eines halben Jahres vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Protokolls, fein säuberlich verpackt, an die Aethiopier ausliefern. Nur die nicht aus Aethiopien stammende Basis darf es sich behalten. Sogar das Schiff, auf dem der Obelisk nach Aethiopien zurückgebracht werden soll, darf Addis Abeba bestimmen.

Aber wir haben eingangs von dem Schatten zweier Obelisken gesprochen. Vor kurzem, während des Krönungsjubiläums Haile Selassies, ist in Addis Abeba ein Denkmal enthüllt worden. Auch dieses hat die Form eines Obelisken. Es ist aber außerdem mit bronzenen Skulpturen geschmückt, die einige von den durch die Italiener in fünfjähriger Besetzungszeit in Aethiopien verübten Greuel für die Nachwelt festhalten wollen. Daß der Künstler ausgerechnet Jugoslawe ist, hat den Unmut der italienischen Nationalisten nicht'verringert. Die ganze Problematik des unnützen Aggressionskrieges Mussolinis gegen Aethiopien ist aus diesem Anlaß wieder an die Oberfläche gekommen. Die einen wollen nur die schönere Seite der Medaille sehen, die riesigen Investierungen des Faschismus mit italienischen Steuergeldern, die Erschließung des Landes durch ein modernes Straßennetz, das selbst den Gegnern Bewundrung abgenötigt hat. Reparationen? Italien hat in Aethiopien mehr aufgebaut als zerstört. Wenn überhaupt, müßte Addis Abeba an Rom Gelder abführen. Die anderen weisen auf die Kehrseite der Medaille hin: in einigen Publikationen, die bewegendste stammt von einem Priester in der katholisch inspirierten Zeitschrift „Orizzonti“, wird zum erstenmal vor der bisher im Dunkeln gebliebenen italienischen Oeffent-lichkeit das Maß von Blut und Tränen, von Greueln und Mord gewogen, das der faschistische Eroberungskrieg und die „Befriedung“ Aethio-piens nach sich gezogen hat.

Das offizielle Italien von heute hat weder mit dem einen noch mit dem anderen zu tun. Rom hat seit Kriegsende beharrlich und überzeugend zu erkennen gegeben, daß seine Afrikapolitik nur noch wirtschaftliche Ziele hat. Und gerade darum liegt ihm an der Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zu Addis Abeba, auch wenn ihretwegen auf ein Symbol vergänglicher Größe, auf den Obelisken von Axum, verzichtet werden soll. Aethiopien wieder hat mehr Mäßigung gezeigt als man erwarten durfte. Es hat die Italiener im Lande nicht vertrieben und nicht mit Haß verfolgt, es läßt ihnen gerade soviel Spielraum und Einfluß, wie sie für ihre Arbeit oder kommerzielle Tätigkeit nötig haben, aber nicht mehr. Auch Addis Abeba ist an einem guten Verhältnis mit Italien interessiert. Die Handelsbilanz spricht eine eindeutige Sprache: gegenüber einer Einfuhr aus Italien im Werte von 1438 Millionen Lire stand im Jahre 1954 eine Ausfuhr nach Italien für 2392 Millionen Lire. Und wenn sich Italien der Reihe der hilfebietenden, investierenden Nationen -anschließen will, um so besser.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung