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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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RES AD TRIARIOS VENIT. Diese vier Worte der alten Römer besagen in klassischer Sauberkeit und Nüchternheit: es geht ums Letzte. Mit ihnen hat der Erzbischof-Koadjutor Dr. Franz Jachym die „Situation der Kirche in ö st er- r ei ch“ auf einer Vorveranstaltung des Katholikentages Umrissen, zu der der Kardinal von Wien einlud. ln einer Sprache, bar jeder Rhetorik und Ekstatik, stellte Dr. Jachym fest: Auch der einfache Mann und Mensch spürt heute bereits, daß ein Zeitalter im Vergehen, daß wahrscheinlich ein anderes im Werden, in der Geburt steht, In dieser Situation kann die Kirche nicht „der Nachtwächter einer unter gehenden, oder sich selbst aufgebenden Gesellschaftsordnung sein". Sie wird die ewigen Werte vielfach mit neuen Mitteln den Menschen darzubieten haben. Tatsachen sprechen eine zu deutliche Sprache: die katastrophale Überalterung des Klerus, der viel zu geringe Naehiouchs, der Abfall vom Christentum auf dem Lande, das fast schrankenlose Umsichgreifen des Kollektiven gerade auch in Österreich. Mitten in diesem Vergehen ist aber Neues, Echtes im Wachsen: man bedenke nur, was etwa 1900 und was heute von einem Katholiken erwartet wird. Sehr deutlich kam dann der Vortragende auf einen gewissen Josephinismus sozialistischer Prägung zu sprechen, der die Staatskirchenherrschaft unter Maria Theresia und Joseph II. mit geänderten Vorzeichen fortsetzen will. Die Kirche ist der Überzeugung, daß sie iw Verteidigung ihrer Rechte auch im Interesse aller Andersgläubigen handelt, denen Freiheit und Menschenwürde Werte sind, die gegen alle Totalitarismen gehalten werden müssen, soll der Mensch Mensch bleiben. Diese Rede des Erzbischof-Koad-. jutors wird iw die österreichische Kirchengeschichte ein gehen: unüberhörbar ihr Emst, ihre Mahnung; unüberhörbar aber auch — der intime Humor, der sie durchpulste: er kam aus einem sicheren Wissen um die Kleinheit des Menschen und des Menschlichen und um die Größe des Herrn, bei dem Freiheit und Würde des Menschen allein in sicherer Hut sind.

IM ALTER VON SECHZEHN BIS NEUNZEHN JAHREN stehen die drei räuberischen Wegelagerer, die dieser Tage nach einem Raubüberfall bei Stammersdorf dingfest gemacht werden konnten. Es gehört heute sozusagen zum Räuber- und Einbrechergewerbe, daß man sechzehn bis neunzehn Jahre alt ist, und es gehört auch dazu, daß man Leser der Raub er-„Literatur“ ist, die in Gestalt von Gangsterromanen die Zeitungsstände überfüllt. Uber tausend derartige Druckerzeugnisse fand man bei den dreien von Stammersdorf. Diese Schundpresse ist Gift für viele Jugendliche. Das weiß jedermann. Unsere Gesetzgeber haben deshalb mit einem strengen Gesetz Maßregeln gegen das Schundromangewerbe und seine gedruckten Erzeugnisse getroffen. Das war trefflich unternommen von dem Herrn Minister Tschadek und dem Nationalrat, der den Gesetzesantrag des Justizministers annahm. Aber... ja, das große Aber ist, daß die zur Anwendung des Gesetzes Berufenen auf ihre Obliegenheit vergessen haben. Nur selten wird zugegriffen, und die Jugendämter, die ihre Aufgabe ernst nehmen, begegnen bei dem Verfolg der Schundpresse solchen Schwierigkeiten von seiten der anderen zur Mitwirkung Berufenen, daß sie zu ermüden scheinen. Also geht die Verbrecherzüchtung unter der Jugend weiter...

DER ÖSTERREICHISCHE EXPORT ist eine der tragenden Säulen des österreichischen Wirtschaftslebens. Durch ihn und durch den Fremdenverkehr allein können wir, wenn die Auslandshilfe endgültig versiegt ist, jene Devisen erwerben, die es ermöglichen müssen, die lebensnotwendigen Einfuhren zu begleichen. Und was steht in einem rohstoffarmen Lande wie Österreich nicht alles auf der Bedarfsliste: von Getreide und Futtermitteln angefangen bis zu Baumwolle und Kohle. Die internationale Konjunkturabschwächung und die scharfe Auslandskonkurrenz haben nun den Ausfuhrhandel auf einen Tiefstand gedrückt. Das „Institut für Wirtschaftsforschung“, dessen Feststellungen — und auch Kritiken! — nicht übersehen werden sollten, berichtet, die österreichische Ausfuhrziffer habe im vergangenen April jene des Jahres 1937 um acht Prozent unterschritten. Rückgang der Produktion durch die Unmöglichkeit des Bezuges von Rohstoffen bedeutet aber Freisetzung von Arbeitskräften. Das Programm der Vollbeschäftigung, dem so viele Opfer gebracht wurden, könnte dadurch nicht unwesentliche Störungen erleiden. Die Förderung der österreichischen Ausfuhr und die volle Erfassung aller ihrer ausländischen Gegenwerte, über deren Lückenhaftigkeit schon oft Klagen laut wurden, sind heute neben der noch immer nicht ernstlich ins Werk gesetzten Ver waltung sreform die dringlichsten Anliegen der österreichischen Volkswirtschaft. Was wird zu ihrer Erfüllung geschehen?

DER „VIZEKÖNIG VON NEAPEL“ wird Achille Lauro, der freigebige Finanzier der italienischen Monarchisten (1,5 Millionen Dollar) und Sieger im Wahlkampf um Neapel, voß Freunden und Feinden oft genannt. Wer ist dieser Mann und welchen Weg will er gehen? Zurückgewinnen, das ist Lauros Parole. Denn ein präzises Programm hat der neue Bürgermeister von Neapel nicht. Aber er fühlt mit den Süditalienern, weiß, daß sie einem „Idol“ anhängen wollen. „Lauro ist groß, reich und lebendig, Mussolini dagegen nur tot“, schrieb nach dem 25. Mai 1952 eine italienische Journalistin über die Lage in Neapel, wo Monarchisten und Neofaschisten heute die Stadtverwaltung führen. Lauro und seine 60 Schiffe mit ihren über 300.000 Bruttoregistertonnen, Lauro und sein Kampf für den „vernachlässigten Süden“, Lauro und sein Fehdehandschuh, den er der Bürokratie und den Nichtfachministern hingeworfen hat, Lauro und der im Exil zu Portugal sitzende König Humbert — das sind die großen Trümpfe. Viele können sich Lauros Aufstieg zu den Höhen der Politik nicht erklären, weil sie nicht verstehen, daß ein Milliardär sein Geld in die unsichere Politik steckt. Vor dem Abessinienkonflikt kaufte der „Kommandant“ — dies isttsein Spitzname — in allen Häfen des Erdballs Totenschiffe auf, die er beim Boom zu hohen Frachtsätzen einsetzte. Mit fünf Schiffen ging er 1943 aus dem Krieg heraus und in das Internierungslager Padua für 22 Monate hinein. (Lauro war nämlich faschistischer Nationalrat.) Abadan war für ihn die zweite große Gelegenheit seines Lebens. Die Tankerflotte Lauros bringt heute Millionen und Millionen. Einmal für seine Angestellten und Arbeiter, die am Verdienst mitbeteiligt sind, zum anderen aber für die Partito Nazionale Monarchico, die es sich zum Ziel gesetzt hat, „unseren lieben König Humbert“ wieder an die Spitze der Nation zu stellen. Und das Programm dieser monarchistischen Partei, die in der Kammer 1953 mit über 50 Abgeordneten zu vertreten zu sein hofft und die in Lauro den dritten Mann der italienischen Politik sieht? Atlantiktreue nach außen, Fachminister und Bürokratiebereinigung, Referendum „Republik oder Monarchie?“ im Innern. Und natürlich Patriotismus für die Mittelschicht, die dem „Laurismus“ vor allen Dingen im Süden nicht abgeneigt erscheint. Aber erst will Lauro einmal Bürgermeister von Neapel sein, seine Stadt vom Elend und damit von über 150.000 Beschäftigungslosen säubern und ein Stadion bauen, in dem der FC Napoli endlich die italienische Meisterschaft erringt. In einem Lande, dos wie kein anderes die Feuerwerke liebt, ist diese Absicht von außerordentlicher Wichtigkeit,

GLUBB PASCHA, der als Nachfahre eines E. T. Lawrence mithalf, Englands Position im Nahen Osten zu unterbauen und festzuhalten, ist zu Unrecht „totgesagt“ worden. Der energische, nicht hochgewachsene Kommandant der jordanischen Legion, der einzigen schlagkräftigen militärischen Organisation im arabischen Raum, hat sein Spiel noch lange nicht aufgegeben. Und dank der traditionellen britischen Ausdauer beginnt es sich zum Besseren zu wenden. Glubb Pascha war eine Stütze der realistischen Politik König Abdullahs, der mit dem neuen Staat Israel einen Fuß gegenseitiger Duldung gefunden hatte. Dieser sicherte ihm die, wenn auch kleinere, Hälfte des Erbes nach dem Mandatsland Palästina. Weiter, bis zu einem richtigen Friedensschluß kam Abdullah nicht mehr. Als die Fanatiker im arabischen Lager für ihr Konzept diese Gefahr erkannten, wurde Abdullah ermordet. Nach einem kurzen Zwischenspiel kam der jetzige, schwer kranke König Talal zur Herrschaft, der als wenig englandfreundlich bekannt ist. Damit schien die Rolle des britischen Prokonsuls in Amman ausgespielt, wenn sich auch die Nachrichten von seiner Entlassung als irrig erwiesen. Aber nun hat sich die Krankheit Talais verschlimmert, und sein Sohn, Kronprinz Hussein, rückt ins Blickfeld. Dieser siebzehnjährige Prinz besucht die bekannte britische Schule in Harrow, wo auch sein gleichaltriger Vetter, König Faisal II. von Irak, studiert. Man erinnert sich der maßgebenden Rolle, die durch Jahrzehnte die in England erzogenen indischen Fürsten in der britisch-indischen Politik spielten. Im autokratisch regierten Nahen Osten besitzt noch auf längere Zeit der den größten Einfluß, der mit den Staatsoberhäuptern in gefestigter Verbindung steht. Und so scheint es, daß England trotz vieler düsterer Prognosen noch immer nicht aus dem arabischen Sattel zu stechen ist.

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