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Das grofte Samariterwerk der Kriegszeit

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Rom, Mitte August

Der letzte Krieg hat früher nicht vorstellbare Grausamkeiten, aber auch Beispiele von Menschenliebe gebracht, die all das in den Schatten stellen, was frühere Epochen aufweisen konnten. Die Tätigkeit der UNRRA, die hetrte fast die Hälfte der Menschheit ernährt nd vom Hungertode rettet — dar-, unter auch die ehemals feindlichen Länder — ist überall bekannt. Dagegen wußte man bisher wenig vom stillen, alles Aufsehen vermeidenden Wirken, das die Kirche seit Kriegsbeginn entfaltet, abgesehen etwa von dem Päpstlichen Informationsbüro zur Vermittlung von Auskünften und Nachrichten von Kriegsgefangenen und Internierten, ein Apparat, der ein kleines Heer von Priestern, Schwestern und Laien beschäftigte, eine Kartothek für Millionen von Gefangenen verwaltete und schließlich eine tägliche Korrespondenz von mehreren tausend Anfragen zu bewältigen hatte. Der Geschäftsumfang übertraf bei weitem den des Roten Kreuzes.

Noch größer war aber die Tätigkeit der „Päpstlichen Hilfskommissio n“, deren Interessengebiet sich während des Krieges auf Italien beschränkte, nach dessen Beendigung aber auf das gesamte Europa ausgedehnt wurde. Deren Leiter war übrigens bis tot kurzem der ehemalige Rektor des Kollegs „Stella Matutina“ in Feldkirch. Ursprünglich war die Hilfskommission zur Hilfeleistung bei Evakuierungen der Bevölkerung ausgebombter Gebiete geschaffen worden. Infolge der systematischen Beschießungen war das Verkehrswesen Italiens vollständig desorganisiert, viele Gebiete waren ganz isoliert. Da setzte der Vatikan ein: Im Nu war eine Autokolonne geschaffen, die die Evakuierung der Unglücklichen durchführte, sie in weniger gefährdete Gebiete brachte, um auf dem Rückwege Lebensmittel und Bedarfsartikel in Notstandsgebiete zu bringen. Es gab Zeiten, in denen die Verpflegung gewisser Distrikte Ton den weiß-gelben Autokolonnen abhing. Eine Anzahl Flüchtlingslager wurde errichtet und auf Kosten der Kommission erhalten. Immer mehr wuchsen die Aufgaben: Lebensmittel mußten aus dem Auslande herangeschafft werden; Malaria, Dysentherie, Typhus drohen: Riesenmengen von Chinin und anderen Medikamenten, die überhaupt nicht oder nur auf dem Schwarzen Markte aufzutreiben waren (Penicillin, Insulin), wurden besorgt; die italienischen Spitäler waren ohne Verbandsmaterial, ohne chirurgische Instrumente geblieben: in Eile wurden ganze Spitalseinrichtungen aus A tnHS rika beschafft

Sofort nach Beendigung der Feindseligkeiten wurde die Hilfeleistung auf das g e-samte notleidende Europa ausgedehnt: Die Gefahr von Seuchen und Hungersnot infolge Zusammenballung Millionen Evakuierter, von Unterernährung der Kinder in Notstandsgebieten, mußte rasch gebannt werden. Die Heimbeförderung Kriegsgefangener mittelst Autokolonnen und eigener Eisenbahnzüge wurde organisiert; in neuester Zeit werden auch Kriegsgefangenenlager in immer steigendem Maße besucht, um den noch nicht Entlassenen die Post aus der Heimat und Liebesgabenpakete der Kommission zu überbringen.

Der Öffentlichkeit vollständig unbekannt ist die private und halboffizielle Hilfstätigkeit des Heiligen Stuhles. Alle Personen, alle Mittel.die diesem Zwecke dienen konnten, waren mobilisiert. Der Heilige Vater selbst bemühte sich oft und oft persönlich, in besonders verzweifelten Fällen durch Intervention des Staatssekretariates doch noch Hilfe zu schaffen. Der Heilige Vater war unermüdlich; seine Bemühungen zu Kriegsbeginn für die unglücklichen Polen, im weiteren Verlaufe seine Bemühungen um Belgien und Holland, um eine humanere Kriegführung, Vermeidung sinnloser Bombardements und ganz besonders am eine rasche Beendigung des Krieges sind bekannt. Selbst in den Gluttagen des römischen Sommers hat er nie seine Villa in Castel Gandolfo aufgesucht, um keinen Augenblick zu verlieren. Als im Sommer 1943 bei dem Bombardement auf das Viertel S. Lorenzo zu Rom die Schäden besonders schwer gemeldet wurden, erschien er, bevor noch die letzten Bomben gefallen waren, gefolgt von einer Autokolonne mit Medikamenten und Verbandsmaterial, in dem Stadtteil. Verwundete und Ausgebombte warfen sich ihm jammernd zu Füßen: „Heiliger Vater, Friede, gib uns den Frieden!*' Rechts und links stürzten Häuser krachend ein, Sterbende wurden herbeigebracht und das Blut Verletzter befleckte das weiße Kleid des Papstes. Nach dem Bombardement Castel Gandolfo s, bei dem der ganze Flecken zerstört wurde, wurde die gesamte Bevölkerung Monate hindurch in den Räumen und Gärten der päpstlichen Villa untergebracht und verpflegt. Dem Beispiele des Papstes folgten die Kirchenfürsten. Der Öffentlichkeit nicht unbekannt dürfte das Wirken des Erzbischofs Schuster von Mailand sein, der durch unermüdliche Interventionen bei der Regierung von Sal6 und dem deutsdien Kommando zahllose Geiseln gerettet, EinäscFiertmgen nnd Verschleppungen verhindert hat. In Rom wohl bekannt ist die Person eines Jesuitenpaters, der infolge seines Einflusses bei den faschistischen Zentralstellen unzähligen Personen Leben und Freiheit bewahrte. Während der deutschen Besetzung Roms entdeckte der vor kurzem verunglückte Generalobere der Sal-vatorianer, P. Pfeiffer, im Stadtkommandanten von Rom, General S t a h e 1, einen alten Studienkollegen. Diese alte Bekanntschaft wurde nun zum Anlaß ständiger Interventionen, so daß das Vorzimmer P. Peiffers von Hilfesuchenden oft überfüllt war.

Ein eigener Fonds für bedürftige Juden war vorhanden; als im Oktober 1943 die jüdische Kultusgemeinde Roms von den deutschen Behörden den Befehl erhielt, innerhalb 12 Stunden eine gewisse Menge Gold abzuliefern, widrigenfalls sämtliche Juden verschleppt werden sollten und diese Menge in der gestellten Frist nicht aufgebracht werden konnte, trat der Vatikan ein und stellte das Gold zur Verfügung. Wenige Wochen später fand die Razzia dennoch statt (ein Beitrag zur Moral der Gestapo!); die Juden suchten in ihrer Herzensangst Zuflucht in Kirchen und Klöstern und bald gab es in Rom buchstäblich kein geistliches Gebäude mehr, in dem nicht eine Anzahl Juden, Antifaschisten, Kommunisten und englischer Kriegsgefangener versteckt war. Nun kamen Gewalttaten gegen kirchuche Anstalten. Beim faschistischen ÜberflB auf das Orientalische Kolleg wurden zum Beispiel 40, beim Überfall auf die exterritoriale Basilika San Paolo 80 Personen ausgehoben. Anläßlich der Befreiung Roms durch die Alliierten sollen 200.000 Personen zum Vorschein gekommen sein, ein Großteil dieser aber war in geistlichen Instituten versteckt. Wenn sich ein Verfolgter meldete, wurde nicht gefragt, ob er Jude oder Freimaurer war. Es genügte, daß er verfolgt wurde, dies war Legitimation genügend, um Hilfe zu erlangen.

Dankbarkeit hat der Vatikan nicht geerntet, aber auch nicht erwartet. Seinerzeit protestierte Deutschland heftig gegen die öffentliche Stellungnahme des Heiligen Stuhles zugunsten der verfolgten Polen, die faschistischen und nazistischen Zeitungen beschuldigten den Heiligen Stuhl der politischen Parteinahme für die andere Kriegspartei,heute aber wird der Vatikan wieder von einer gewissen Propaganda der Faschisten-und Nazistenfreundlichkeit bezichtigt. Man vergißt nur jene heute Regierenden z zählen, die in Lebensgefahr seinerzeit das Asyl des Vatikans genossen haben. Der Vatikan hat sich eben auf die Seite der Verfolgten gestellt.

Wie dem immer sei, wenn heute in der Welt Zeichen einer religiösen Neubelebung zu verzeichnen sind, so gehen wir wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, daß in der Seele von Millionen von Menschen die von echt evangelischem Geiste beseelte Tätigkeit der Kirche tiefere Spuren zurückgelassen hat, als oberflächliche Anzeichen schließen ließen.

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