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Wo die Gefallenen ruhen ...

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WENN HEUER, wie alljährlich zu Allerseelen, unsere Friedhöfe von Tausenden besucht, geschmückt und mit Kerzen erleuchtet werden, so sind unter diesen Tausenden sehr viele, die, während sie ihrer frommen Pflicht an den Gräbern ihrer Angehörigen genügen, ihre Gedanken in Liebe und Trauer doch in die Ferne schicken müssen, denn der vielleicht liebste Mensch, Sohn, Gatte, Vater oder Bruder, liegt nicht in dem von ihnen geschmückten Grab. Er starb als Soldat irgendwo in der Ferne, irgendwo in einem fremden Land ist er der Erde übergeben worden. Was ist unterdessen mit seinen Gebeinen geschehen? Bezeichnet ein Kreuz die Stelle, wo er ruht, oder ist sie unbezeichnet, von Unkraut überwuchert, in Dünensand versunken, geht der Pflug über sie hin?

ZWEI GROSSE ORGANISATIONEN nahmen sich der ernsten und schweren Aufgabe an, den Toten zweier Weltkriege würdige Ruhestätten zu schaffen. Es ist in Oesterreich das „Schwarze Kreuz“ und in Deutschland der „Volksbund für deutsche Kriegsgräberfürsorge“.

Im ersten Weltkrieg waren zwei Millionen deutscher Soldaten gefallen, die meisten lagen in den Ländern der ehemaligen Gegner verstreut. Der Staat konnte sich nicht um sie kümmern, da sprang die private Organisation des Volksbundes in die Bresche. Mail, nahm mit den fremden Behörden Kontakt auf und erhielt nach langwierigen Verhandlungen die Erlaubnis, mit der Arbeit zu beginnen. Zuerst mußten die Gräber festgestellt werden. Zumeist waren die Gefallenen an Ort und Stelle von der eigenen Truppe oder von dem nachrückenden-Feind in aller Eile der Erde übergeben worden. Unzählige lagen auf offenem Feld, im Wald, in Gärten, in, Fabrikgeländen, manche auf Zivilfriedhöfen. Es war nicht möglich, sie da ruhen zu lassen, es hätte bald die Mittel jeder Organisation überstiegen, die weitverstreuten und oft auf privatem Grund liegenden Grabstätten zu betreuen. Dazu kam, daß die Genfer Konvention dem Soldaten das ewige Ruherecht verbürgt, daß also der fremde Gefallene auf den oft beengten Gemeindefriedhöfen kein gern geduldeter Gast ist. So mußte man die Toten sammeln, zusammenbetten, wie der Fachausdruck heißt. Zu diesem Zweck erhielt man Land übereignet, den ganzen ungeheuren Gürtel der Weltkriegsfront entlang legte man Friedhöfe an, in Frankreich, Belgien, Italien, Jugoslawien, in Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Polen, ja auch in Afrika und Palästina; auf manchem Friedhof ruhen nur Hunderte, auf anderen viele Tausende, in der Champagne ist einer, der 250.000 beherbergt.

Selbstverständlich — und das war das zweite große Anliegen des Volksbundes und des eng mit ihm zusammenwirkenden Schwarzen Kreuzes — mühte man sich, die Persönlichkeit der Toten festzustellen und, wo möglich, die Angehörigen zu verständigen. Ungebeten und häufig auch unbedankt gab man den Familien genaue Nachricht über Lage und Zustand des Grabes. Man beantwortete unzählige Anfragen, man gab Gelegenheit, Bilder von Grabstätten anfertigen zu lassen, und organisierte billige Gemeinschaftsreisen, um auch mittellosen Angehörigen die Möglichkeit zu geben, abgelegene Friedhöfe aufzusuchen.

NUN SOLLTEN DIE FRIEDHÖFE auch gestaltet werden; das war bei der Größe der Anlagen und angesichts der Tiefe und Schmerzlichkeit der Aufgabe kein leichtes. In der Form sollte sich eine Gesinnung spiegeln. Doch welche Gesinnung? Die Siegermächte des ersten Weltkrieges kultivierten ihre Soldatenfriedhöfe als Stätten, die den Triumph der Waffen verkünden sollten; den Siegern schien der Sinn des Soldatentodes im letztlich errungenen Erfolg gegeben.

Dieser billige Weg war dem Unterlegenen verschlossen. Er mußte dem Tod seiner Soldaten einen anderen, tieferen Sinn unterlegen können, ehe er daran denken konnte, die Stätte der Toten zu gestalten. Der Besiegte mußte dahin gelangen, erfüllte Pflicht und ertragenes •Leid in ihrer ganzen Tiefe fühlbar zu machen. Es ehrt den Volksbund, daß seine Wahl in den meisten Fällen auf eine Form fiel, der das gelang und die damit ein religiöses Gepräge erhielt und fem von jeder Kundgebung des Nationalismus doch einen spezifisch deutschen, den besten deutschen Wesenszügen entsprechenden Charakter hatte. Die Siegermächte, etwa Amerikaner und Kanadier, setzten mit Marmor überladene und in riesenhaften Denkmälern aufgipfelnde Anlagen als fremde, vergewaltigende Elemente in die sanfte nordfranzösische Landschaft. Der deutsche Entwurf hingegen nahm sein Gesetz aus der umgebenden Landschaft. Die Idee war, das Friedhofsgelände von vornherein in seine Umgebung einzuschmelzen und anzuverwandeln. Zugegeben, aus Not, nicht nur aus Tugend, war man zu ' dieser Lösung gekommen. Die Anlagen sollten billig erstellt werden können, da es an Geld mangelte. Ueberdies war man — etwa in Frankreich — an ein bestimmtes Baumaß (nicht mehr als vier Meter über der Erdoberfläche) gebunden. Man könnte sich auch, auf keinen W& lärtniHscfiefrffifWand einfassen, ja? sogar mit dem Brauch, jedes. Grab als einzelnen Hügel beizubehalten, mußte man brechen: so hatte man große, in sich geschlossene Flächen zu bestellen. Man konnte sie nicht besser beleben als mit dem natürlichen Pflanzenwuchs, der Landschaft.

So legte man in der Heide Heidefriedhöfe an, so ließ man in waldigem Gelände Tannen und Fichten die Gräber beschirmen, so ließ man im Felsgelände der Alpen und des Karstes Fels und Mauer ihre eindringlich-ernste Sprache sprechen. Man richtete sich nach der Landschaft; mit Recht, denn die Landschaft war denen, die hier ruhten, zum Schicksal, zum Verhängnis, aber vielleicht auch zur Stätte ihrer Erlösung geworden. Man setzte in vielen Fällen jedem Toten sein Kreuz, doch man erkannte, daß die Massen-haftigkeit des Kreuzzeichens seine Eindringlichkeit herabsetzte. So ging man daran, einzelne Kreuze oder Kreuzgruppen zu setzen und die Fläche durch sie aufzugliedern. Man setzte auch einzelne schwerere Akzente: hier einen Sarkophag, dort eine Kapelle, kleine Anlagen, zumeist, gruft- oder kryptaähnlich in die Erde gesenkt, ernste, schwere, gleichsam wortkarge Formen, doch immer in echtem, handwerkgerecht bearbeitetem Material. So entstanden eine lange Reihe würdiger Totenstätten, die niemand ohne Ergriffenheit betreten und durchwandern kann. In vielen Fällen verdienen sie, echte Gesamtkunstwerke genannt zu werden. Auch ein österreichischer Architekt, Otto Mayr, hat sich um Entwurf und Bau solcher Anlagen, wie Que'ro am Piave und Feltre, verdient gemacht.

AUCH NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG fuhr man fort, der tragischen Aufgabe zu dienen. Es galt, neue Opfer zu bestatten, auf neuen Kriegsschauplätzen neue Friedhöfe zu bestellen. Die zuerst erarbeiteten Methoden erwiesen sich als brauchbar. Lange, ehe diplomatische Vertreter in die ehemaligen kriegführenden Länder verschickt werden konnten, bemühte man sich um Fühlungnahme und erbat sich das Recht, die Gefallenen würdig zu betten.

Leider war im Osten jede Bemühung vergeblich. Dort werden die meisten Gräber längst aufgelassen und unkenntlich gemacht worden sein. Doch dringen immer wieder Stimmen auch von dorther zu uns, die versichern, daß da und dort von einzelnen einfachen Menschen der 8Liebesdienst am toten Gegner geleistet wird.

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