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Eine Kärntner Tragödie

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Es ist eine schwerfällige Bauernart, die in den Kärntner Gebirgstälern zwischen den östlichen Ausläufern der Karawanken zu Hause ist. Bis hoch hinauf sind in diesem südlidisten Zipfel Österreichs die Berghänge mit Einzelsiedlungen bedeckt; hart und schwer ringen die Bewohner slowenischer Muttersprache dem kargen Boden ihre Nahrung ab. Die meisten suchen ihren Verdienst als Holzarbeiter und Fuhrleute.

Viel ist in letzter Zeit über diese Gegend, das Kärntner Jaun- und Vellachtal gesdirie-ben worden, aber die Gesdiichte der unverdienten Leiden dieser braven, sdiliditen Menschen ist bisher kaum angedeutet worden und doch hat kaum irgendwo österreichisches Volk so viel erduldet wie hier.

Es ist nicht die Art dieser Bauern, ihre Leiden auf den Markt zu tragen und um Mitleid zu “betteln. Aber es muß sich ein Anwalt finden, der für diese Ärmsten spricht.

Verschüchtert, in richtigem Instinkt naturverbundenen Bauerntums, verstört, oft allerdings wohl auch durch marktschreierische Phrasen und Versprechungen geblendet, aber trotz allem auch mißtrauisch genug, ließ der Velladitaler Bauer und Keuschler die Ereignisse des März 1938 auch über sein Tal hinwegbrausen. Ganz plötzlich war er nun zum „Deutschon Gebirgsbauer“ an der südlichen Grenze des „Großdeutschen Reidies“ geworden. Die Berliner Politik begann ihn zu umwerben: Goldene Berge wurden der in kargen Verhältnissen lebenden slowenischen Bevölkerung versprochen. Immer wieder kam das Gelöbnis, daß Eigenart, Sprache, die tiefe Religiosität der Vellachtaler Bauern werde geachtet werden. Ja, noch mehr, in nie geahnten Mengen wurden in slowenischer Sprache gedruckte Bauerngebetbücher, Sdirif-ten aller Art, allen nur denkbaren, den Bauern zusagenden Inhaltes verteilt. Zum Teil verfehlten diese Methoden ihre Wirkung nicht. Der slowenische Bauer begann auf diese neuen Herren zu hoffen. Es sollte eine grimmige, eine furchtbare Enttäuschung werden.

Es kam der 6. April 1941, der Tag des Oberfalles Hitlers auf Jugoslawien. Denn die Erwartung Berlins, daß Jugoslawien sich zur Bundesgenossenschaft verleiten lassen werde, hatte sich als irrig erwiesen. Mit einem Schlag wurde es nun anders. Die Maske fiel. Keine Rücksicht war mehr notwendig auf den südlichen Nachbar, keine Rücksicht mehr auf irgendwelche kulturelle Ansprüche einer Minderheit, denn ein ganzes Volk w*r

Mindertteit und unter die Partner der „Adisf/** aufgeteilt worden. Nun begann ein radikrtlej' Wüten in den Vellacher Tälern, in difnen Teile dieser so unerwünschten -Mind erheit lebten! Der „Führer“ hatte schon \,bei seiner Besichtigung Oberkrains den Auftr i g gegeben, ihm „dieses Land deutsch zu mr&chen“! Um so mehr galt dieser Befehl für nun „südlichste Gemeinde des

Großiileutschen Reiches“.

Übta- die Gemeinde V e 11 a c h und den von cBieser Gemeinde umschlossenen Markt Eise (ikappel brachen die ersten Aussiedlungen im Frühling 1942 herein. Bfnnen 20 Minuten mit 20 Kilo Gepäck wurden| sie von Haus und Hof, Männer, Frauen, | Kinder, Greise, vertrieben, Leute, die nklHts verbrochen hatten, als daß nicht Deutsth ihre Muttersprache war. Aber freilich, sila waren auch freie Bergbauern! Vom Vater auf den Sohn seit Jahrhunderten vererbt, t[t'pflegt, bearbeitet waren die in oft unglau bücher Steilheit unter der Hube oder Keusch fe abfallenden ärmlichen Gersten- oder Kartof feläcker. Immer wieder — Jahr für Jahr — tUieu mit dem Mist der mageren Kuh gedüngt wurde das von Gewittcrwolken-brüchemi von den steilen Lehnen abge-schwerritmte Erdreich im „Kosch“, dem Tragkotrib, am gekrümmten Rücken berg-wärts gK schleppt, immer wieder diese Heimaterde g!(gen die unbarmherzige Bergnatur verteidigt und mit ihr diese so kärglichen, aber sauberen, mehr als das eigene Leben geliebten; Huben. Nun sollten diese Heimstätten alter Bauerngeschlechter anderen, landfremden, aber auch zwangsweise in diese Gejjend verpflanzten, angeblich deutschen .Siedlern überlassen werden, im Vellacher.im Gailtal — weithin.

Mit eiligem tiefen Seufzer und einem letzten Bl\ick auf den heimischen Hof zog man also 'ifort — zu den Lastautos der Gestapo! l(c.h sehe heute noch einen alten Bauern von, mir, wie er — gebrochen von all dem Lad — niederkniet, den Ackerboden, dem er die Schwielen seiner Hände verdankt, mit diesen Händen in letztes Mal berührt, und einen verschämten letzten Kuß auf diese Er.3 drückt. Sich aber dann erhebt, strafft, und '.stolz, wie ein Bauer nur sein kann, hodicihoben das Haupt mit der scharfen Adlernase, den wasserblauen Augen und dem eisgrauen Schnauzbart, als Erster sich mit seäjKm Rucksak auf das düstere Gefährt schwingt, das grau und unheimlich brulminend bereitsteht — ein Schinderkarrert. 1er modernen Zeit...

Nun bleibt'sfc zunächst ruhig. Die Ruhe vor dem Sturm. /Axr' dann kam es. Nachriditen über das erb;vrnnungswürdige Los der Ausgesiedelten in di'n Umsiedlungslagern trafen ein. Sie berichiriten von empörenden, unmenschlichen EMebnissen der Vertriebenen. Hunderte flüchteten jenseits der Karawanken in die Wälder wiid ihnen folgten andere, di sich von ähnlicheiptj Schicksal bedroht fühlten.

In den sücflidhen Randgebieten Kärntens jagten nun Schnee!:, Erbitterung, Haß die Menschen aus Ihnen Heimstätten. Unter denen, die vor , dbm Terror der Gestapo und SS flüchteten, *raren Studenten, Richter, Arbeiter, Lehrer„ aelbst Geistliche, Ärzte, Offiziere. Nun begannen sich Partisanengruppen zu bildten.) Es dauerte nicht lange und sie machtent siieh ernstlich bemerkbar. Und schon hörte laiain diesseits der Karawanken flüstern, bald\jd?a, bald dort, hätten sich soldie Gruppen jge zeigt. Dann ging der Höllentanz los! Da Kein Parteihäuptling, dort ein Verräter, da ein i.Bauernschinder mit dem Parteiabzeichen im | Knopfloch, dort ein

Fremder, der ahnungslos den Hof eines Ausgesiedelten erworben hatte und nun der Fehme verfiel. Vieh, Lebensmittel wurden requiriert, „beschlagnahmt zum Dienst an guter Sache“. Gefechte da, Gefechte dort mit Zollwache und Gendarmerie. „Deutsche Polizei“ wird scharenweise in die Gemeinde verlegt, raubt und plündert selber, wo sie kann. Nichts hilft, der Strom ist nicht mehr aufzuhalten. Schließlich ergreift die Partisanenfurcht alle mit schlechtem Gewissen behafteten Mitschuldigen des Systems.

Wieder werden strenge Verordnungen herausgegeben, die Gendarmerie- und Polizeiposten werden verstärkt, alle Männer vom 16jährigen Buben bis zum Greis müssen in der Bevölkerung erfaßt, geschult und ständig zur Verfügung der Gendarmeric gehalten werden. Und die einzeln in Gehöften lebenden Bauern werden auf das strengste dazu verpflichtet, jede Wahrnehmung von Partisanen sofort zu melden! Diese unglückliche, schwer mißhandelte Bevölkerung, der man wahrlich die Aditung vor dem nazistischen System mit Gewalt ausgetrieben hatte, sollte jetzt gegen ihre eigenen Landsleute zu Angebern werden! Und da diese aufrechten, schlichten Menschen dafür nicht zu haben waren, setzte ein blutiges Schredsensregiment an. Üble Subjekte wurden als Spione und Anzeiger verwendet. Und es regnete Anzeigen. Nachgeprüft wird nichts von der Gestapo. Das berüchtigte „Annahmegesetz“ rechtfertigt alles. „Es wird angenommen, daß der Soundso sich staatsfeindlich betragen würde, wenn er sich auf freiem Fuße befände!“ Der Mann nach Auschwitz, die Frau nach Ravens-brück, die Kinder — wer weiß, bestenfalls in die sogenannte Obhut und „Betreuung“ der NSV. Bei erster Gelegenheit aber in die Kinderlandverschickung nach dem Osten oder sonstwohin ... Ganze Familien wurden so ausgerottet.

Es kam zu Greueln, die nationalsozialistische Bürgermeister und — zu ihrer Ehre sei es gesagt — auch nicht wenige Kärntner Nationalsozialisten, die ein naiver Idealismus zu dieser Partei geführt hatte, zu entrüsteten Protesten veranlaßten. Auf einer schönen Hube im hintersten Leppengraben, einem östlichen Seitentälchen des Velladitales, leben der Bauer, seine Frau, zwei Töchter und der alte, fast 90jährige, lahme Großvater. Eines Tages erscheinen ein paar Partisanen. Bei denen ist die Familie etwas verrufen, als mit den Nazi sympathisierend. Tatsächlich hängt an der Wand ein Hitlerbild, das man halt vom Ortsgruppenleiter kaufen mußte, und sich nicht getraute, dann ins Feuer zu stecken. Jetzt ist es zu spät. Der Anführer hält eine slowenische Ansprache, die die Familie zitternd anhört. Man beteuert seine Unschuld, schließlich gelingt es, die ungebetenen Gäste zu überzeugen, aber Strafe muß sein! Der Bauer muß niederknien vor dem Hitlerbild. Dieses wird aus dem Rahmen gerissen und der Bauer muß es aufessen. — Nachdem es endlich hinuntergewürgt ist und die Partisanen sich inzwischen an etwas Besserem ihren Hunger gestillt haben, empfehlen sich die Herren mit nochmaliger Verwarnung.

Ein paar Monate später, im Jänner 1943, ziehen wegen eines Partisanenüberfalls Gendarmerie- und SS-Streifen durch die Wälder zu Vergeltungsexpeditionen. Eine solche Streife kommt auch zu dem Bauern in Leppen, der seinen „Führer“ verspeisen mußte. Ohne viel Worte wird der alte Großvater von seiner Liegestatt gezerrt. Man sperrt ihn, den Bauer und die Bäuerin in eine nahe Keusche. Ihre Kinder hören furchtbare/Todesschreie und, ganz erstarrt, be-

obachteii sie, wie an dfe rfatte Pener gefegt

wird Dann entfernt sich die Mörderbande. Die Kinder finden mir mehr verkohlte Leichen.

Noch im März 1945 wurden wegen angeblichen Zusammenarbeitens mit den Partisanen eine Bauernfamilie Unter der Petzen, Mutter, Töchter, Knecht und Magd, größere, kleine, }Z Wickelkinder an der Mutterbrust gemordet.

Diese paar Beispiele mögen genügen, um d Zustände in der Gemeinde Vellach zu schildern, wie sie sich von 1942 bis zur Kapitulation tagtäglich abgespielt haben.

War es ein Wunder, daß diese ruhigen, friedlichen Menschen alles taten, um das verhaßte Joch des Nationalsozialismus abzuschütteln? Endlich nahte die „Befreiungsarmee“, der viele, viele Österreicher angehörten. Die Kärntner Slowenen in diesen Gebirgstälern waren die ersten Österreicher, die wirklidi befreit wurden, befreit nach all der Qual, dem furchtbaren Leid und den namenlosen Opfern,

Was sich in dieser am schwersten heimgesuchten Gemeinde des Landes abgespielt hat, möge folgende Aufstellung beleuchten.

Vollstreckte Todesurteile: 4 Personen (3 Männer, 1 Frau).

Vom Volksgerichtshof verurteilt: 17 (schwere Zuchthausstrafen).

Ins KZ gebracht: 64 Personen. N

Davon im KZ verstorben: 40 Personen.

Von der „Deutschen Polizei“ e r-schossen: 16 Personen, davon 7 Kinder (!).

Ausgesiedelt: 50 Personen.

Zusammen: Opfer des Nazfterrors m

der Gemeinde Vellach: 151 Personen.

(Zeitweise in Gestapo-Gefangnissen Internierte sind nicht inbegriffen.)

Niedergebrannte oder gesprengte Bauernhöfe: 5.

Arbeiterwohnhaus: 1.

Bauernhuben: 3.

Unbebaute Äcker ungefähr: 160 bis 200 Hektar.

Vor dem Kriege zählte die Pfarrgemeinde Eisenkappel-Vellach etwa 3500 bis 3700 Seelen.

Heute etwa: 1900 Seelen.

Hinterbliebene dieser aufgezählten Kriegsopfer: etwa 80 Personen, davon 46 Kinder (Voll- oder Halbweisen).

Diese Ziffern mögen für das erschütternde Leid sprechen, das durch die siebenjährige Zwängsherrschaft und den Krieg in dieser Gemeinde zurückgelassen wurde. Daß nämlich außerdem noch fast 100 Männer gefallen oder an Kriegsverwundungen gestorben sind, sei nebenbei bemerkt.

Die Ziffern mögen ein Appell sein an alle verantwortlichen, mit sozialer Fürsorge befaßten Stellen des Landes und des Bundes. Sie mögen Österreich daran erinnern, daß hier Österreicher anderer Zunge geopfert und gelitten haben, um ihre Heimat, die österreichisch ist, wieder frei zu machen.

Der Vellachtaler Bauer vertraut seinem angestammten Vaterland! Laßt ihn nicht umsonst vertrauen! Vaterland — vergiß nicht auf deine Kinder an der Grenze! Beweise ihnen, daß ihr Glück diesseits der Karawanken liegt!

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