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Die Öffnung der Ordenshäuser

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In Rom hatten wir reichlich Gelegenheit, mit jüdischen Behörden und Rabbinern über die Ereignisse der Kriegsjahre zu sprechen. Nach dem Bericht des Präsidenten der jüdischen Gemeinde Roms, Dr. Ugo F o a, der in den Heften Oktober, November und Dezember 1952 der Zeitschrift „La Voce della Communita Israelitica di Roma“ veröffentlicht wurde, sowie nach anderen Augenzeugenberichten ergibt sich folgendes Bild:

Am 26. September 1943 wurden den Juden Roms 50 Kilo Gold abverlangt, zu liefern innerhalb 36 Stunden, widrigenfalls 200 Juden deportiert würden. Bei dieser Gelegenheit erklärte Kappler — Herbert Kappler war Mitglied der Deutschen Botschaft und Chef des SD (Er wurde später in Rom vor ein italienisches Kriegsgericht gestellt und zu lebenslänglicher Haft verurteilt.) — den heranbeorderten Vertretern der römischen Judengemeinde: Jude ist, wer Judenblut in sich hat; ob er sich zur jüdischen oder zur christlichen Religion bekennt, ist gleichgültig.

Was die Aufbringung des Goldes angeht, erbot sich Papst Pius XII. von selbst, das etwa fehlende Gold zut Verfügung zu stellen. Das päpstliche Anerbieten brauchte jedoch nicht in Anspruch genommen zu werden. Die Übergabe des Goldes geschah am 28. September in dem berüchtigten Hause der Gestapo in der Via Tasso.

Am 16. Oktober 1943 begann die Razzia, das Aufspüren und Zusammentreiben dei

Juden, zuerst derer des Ghettos bei der Tiberinsel, dann der Juder außerhalb des Ghettos nach den Re- gierungslisten von 193 8. Abtransportiert wurden von Rom 1127 Juden 327 Männer, 800 Frauen und Kinder meistens Leute aus mittleren und kleinen Verhältnissen. Wo blieben di« anderen Juden Roms? Sie haben siel zu Tausenden in die Häuser der re ligiösen Orden und in die anderer kirchlichen Institute geflüchtet

Pius XII. hatte wissen lassen, die kirchlichen Häuser könnten und sollten flüchtigen Juden Unterkunft gewähren. Wir sahen eine Liste der Ordenshäuser, die damals Juden verborgen hielten, mit Angabe der Zahl der Untergebrachten. Es sind darnach 102 Schwesternhäuser, in denen Juden verborgen waren; Häuser italienischer, französischer, spanischer, englischer,

amerikanischer und auch deutscher Schwestern. Die Zahl der in den einzelnen Häusern Aufgenommenen schwankt zwischen 10 und 187. Die letztere Höchstzahl beherbergten di« Schwestern der Notre-Dame de Sion.

Die Zahl der Häuser von Ordensmännern, die Juden beherbergten, beläuft sich auf 45 Dazuzurechnen ist noch die Aufnahme von 630 Zufluchtsuchenden in kirchlichen Häusern. Zum ganzen kommen noch die im Lateran und Vatikan Versteckten. Einmal fanden nicht weniger als 8000 Menschen Obdach in Castel Gandelio. Als sich im Jahre 1944 die Verfolgungen verschärften! - schickte der Papst einen Brief an die Bischöfe, in dem er sie anwiös, die Klausur der Nonnen- und Mönchsklöster aufzuheben, damit diese eine Zufluchtsstätte für Juden werden können.

Drei rettende Buchstaben

Den Juden stand auch das Vatikanische Informationsbüro zur Verfügung. Der deutschen Sektion dieses Büros war eine Sonderabteilung für Juden angeschlossen. Die Anfragen belaufen sich für 1941/45 auf 102.026 Fälle; die vom Vatikanischen Informationsdienst erledigten auf 36.877 Fälle. Die Differenz zwischen den eingelaufenen und den erledigten Fällen ist dem Umstand zuzuschreiben, daß man innerhalb Deutschlands natürlich keine normalen Suchmethoden' anwenden durfte, wenn man nicht die Gesuchten in Gefahr bringen wollte. 1943 konnten immerhin 20.375 Anfragen erledigt werden. Der drei Buchstaben U. I. V. (Uffizio Infor- mazioni Vaticano) erinnern sich noch heute viele Tausende, die sie zum erstenmal in Verbindung mit vermißten, internierten oder deportierten Angehörigen hörten.

Daß die Einstellung des Papstes Pius XII. in der Judenfrage eine humane und nicht eine doktrinäre war, habe ich aus dem Mund seines Nachfolgers — Johannes’ XXIII. — gehört. Ein doktrinärer Papst hätte vielleicht ostentativ gehandelt; ein humaner mußte die stille Rettung der Verfolgten dem Posaunenruf einer leeren Enzyklika vorziehen.

Im Jahre 1958 hatte ich die Ehre, als israelischer Konsul in Mailand meinen ersten Anstandsbesuch bei Kardinal Roncalli, dem Patriarchen von Venedig, zu machen. Im Laufe des Gesprächs drückte ich ihm die Anerkennung unserer Regierung aus für seine wertvolle Hilfe, die er als Apostolischer Delegat in der Türkei während der Kriegsjahre vielen Hunderten von jüdischen Flüchtlingen aus Europa leistete. Oberrabbiner Herzog war ihm besonders verbunden, fügte ich hinzu, jedoch der zukünftige Papst Johannes XXIII. ließ mich nicht beenden. Er habe sich in allen diesen peinvollen Angelegenheiten an den Heiligen Stuhl gewandt, erklärte er mir, und dann einfach nach dem päpstlichen Bescheid gehandelt: An erster Stelle Menschenleben retten!

Papst Pius XII., der die Mentalität der damaligen deutschen Führerschicht aus jahrelanger persönlicher Erfahrung kannte, mußte wissen, daß ein Vabanquespiel — also ein lauter Anti- Auschwitz-Appell — ganz leicht ähnliche Resultate haben könnte, wie sie der öffentliche Appell der katholischen Bischöfe Hollands im Jahre 1942/43 hatte.

Also: Ein Appell, so wie Hochhuth sich wünscht, hätte nicht nur zwecklos, sondern sogar schädlich gewesen sein können, sowohl den Juden — auch den christlichen Juden — als auch der katholischen Kirche.

Ein solcher Appell, falls er gescheitert wäre — wie anzunehmen ist —, hätte zweifelsohne Dutzende delikate diplomatische Interventionen wie die folgenden unmöglich gemacht:

Angelo Roncalli (der spätere Johannes XXIII.) griff laut den Instruktionen Papst Pius’ XII. in der Türkei, in Griechenland und in Bulgarien energisch ein, und es gelang ihm

— dank seiner Freundschaft mit König Boris —, fast die ganze bulgarische Judenheit zu retten.

Dem Apostolischen Nuntius in Rumänien "- Erzbischof Arrdrėa»'CtrB-* s u 1 o —1gelang es unter vollem Einsatz seines persönlichen Einflusses — auf Anordnung des Heiligen Stuhls —, in Bukarest viele Deportationen zu vermeiden und andere zahlenmäßig zu vermindern. Darüber berichtete der Oberrabbiner der jüdischen Gemeinde in Rumänien, Dr. Safran,

Am 15. Mai 1944 wandte sich der Nuntius in Ungarn — Erzbischof Angelo R o 11 a — in einer diplomatischen Protestnote an die ungarische Regierung, worin er ausführte: „ … den tiefen Schmerz des Heiligen Vaters… über die unmenschliche Weise, in der die jüdische Frage behandelt wurde … in grausamer Verletzung des göttlichen und natürlichen Rechtes…“ Am 25. Juni 1944 telegraphierte der Papst persönlich an Regent Horthy, um die Deportationen sofort einzustellen. Im Fall der Ablehnung wurde mit einem Interdikt gedroht. Am 21. August 1944 — als Resultat einer Sitzung, die in der Nuntiatur stattfand — wandten sich die diplomatischen Vertreter des Heiligen Stuhls sowie Schwedens, Portugals, Spaniens und der Schweiz in einer gemeinsamen Note an die Budapester Regierung, sofort alle geheimen und getarnten Deportationen einzustellen.

Vor einigen Wochen fand hier in Jerusalem eine öffentliche „ökumenische“ Gedenkfeier für den verstorbenen Papst statt. In brüderlicher Harmonie sprachen von demselben Podium Jesuiten und Anglikaner, Rabbiner, Mönche und ein russischer Archimandrit, zwei jüdische Professoren der hebräischen Universität und der Unterzeichnete über Johannes XXIIL, in dem wir alle einen edlen Menschen, einen großen Brückenschläger verloren haben. In Kürze wird

— hoffentlich — während des Zweiten Vatikanischen Konzils die lang erwartete Annäherung in den christlichjüdischen Beziehungen auf der Tagesordnung stehen. Beide Ereignisse sind Frucht des neuen ökumenischen Geistes, der endlich den Haß der Vergangenheit aus der Welt schaffen und alle Gottesgläubigen miteinander zu versöhnen sucht. Nichts ist leichter und eitler, als diese neue und noch sehr zarte Eintracht durch Hochhuth- Hypothesen zu trüben wie die: „Was wäre gewesen, wenn ..

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