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Innitzer und die Juden

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Mit dem soeben erschienenen achten Band der großen Aktenpublikation des Vatikans wird jene Reihe fortgesetzt, die der Band 6 eröffnete: was tat der Vatikan für die Opfer des Zweiten Weltkrieges; vielleicht die brennenste Frage, die dem Heiligen Stuhl im Zusammenhang mit diesen katastrophalen Jahren jent-gegengehalten wird.

Der erste Band dieser Serie behandelte die Zeit vom März 1939 bis zum Dezember 1940; der neue Band, 806 Seiten stark, umfaßt die Monate von Jänner 1941 bis Dezember 1942. Noch zwei weitere Bände sollen diesem Thema gewidmet werden.

Die Herausgeber räumten mit Recht ein, daß die vom Vatikan im ersten Band berichteten Resultate

, Erzbischöfliches Palais, 1938: Hilfe dem Leser eine Enttäuschung bereiten könnten: unendliches Leid auf der einen Seite, auf der anderen intensives, starkes Bemühen, aber sehr geringer Erfolg. Doch damals, in der im ersten Band behandelten Zeit, handelte es sich um die Periode, in der die Möglichkeit einer Emigration für die Kriegsopfer zur Diskussion stand. Diese Zeit ist nun vorüber: an die Stelle der Emigration ist jetzt die Deportation getreten. Um diese von den Opfern, vor allem den Nicht-ariern, abzuwenden, geht das Bemühen der Organe des Vatikans, im römischen Staatssekretariat sowohl, wie der Nuntien im Ausland — sie alle unter den Direktiven Pius' XII., der in diesem Bande nur selten selbst hervortritt. Manche dieser päpstlichen Diplomaten, deren aller Aufgabe eine äußerst schwierige und nur wenig Erfolg versprechende war, beeindrucken durch ihre Energie, wie der Nuntius in Vichy, Valerio Va-leri, während der Vertreter des Heiligen Stuhles in Berlin, Cesare Orse-nigo, auch in diesem Zeitraum in seiner zögernden Blässe verbleibt, ein Beispiel für das Danteske: „guarda e passa.“

Aber in diesen mehr als 800 Seiten sind es eigentlich zwei Gestalten, deren Persönlichkeiten dem Leser ganz lebendig im Gedächtnis blieben: der eine ist Monsignore Domenico Tar-dini, der Sekretär der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten. Seine kaustischen, ins Schwarze treffenden Notizen hatten schon den früheren Bänden der Edition einen besonderen Wert und auch einen besonderen Reiz verliehen; sie finden sich auch jetzt wieder, so etwa, wenn er im Juli 1942 über Pater Tiso, den Hitler-gläubigen Präsidenten der Slowakei, notierte: „Jedermann versteht, daß der Heilige Stuhl es nicht vermag, Hitler zur Raison zu bringen; aber wer soll begreifen, daß er nicht einmal einem Priester Zügel anlegen kann?“ (Seite 598).

Doch auf ganz anderer Ebene bewegen sich und von ganz anderer Intensität zeugen die in diesem Band veröffentlichten Schreiben, die Kardinal Innitzer an Papst und Staatssekretär gerichtet hat. In ihnen ruft der Wiener Kardinal immer wieder die Hilfe, für die vom Äußersten Bedrohten an, vor allem für die nichtarischen Katholiken seiner Diözese, in einer Sprache, die alle Schranken des Kurialstils überspringend nur die Sache der Menschlichkeit redet. Früher als andere Kirchenifürsten hat Innitzer die heraufziehende Gefahr der Deportation erkannt, während die Emigrationspläne und Emigrationshoffnungen sich immer mehr verflüchtigten. „Nach einer mir von zuverlässiger Seite zugekommenen Information“, — heißt es in dem Briefe des Kardinals vom 20. Jänner 1941 an den Papst — „sollen in den

für die nichtarischen Katholiken nächsten Wochen sämtliche in Wien lebenden Juden — etwa 60.000 — deportiert werden. Möglichst viele diesem furchtbaren Schicksal zu entreißen, ist darum meine dringendste Aufgabe.“ (Seite 79). Auf den Tag genau ein Jahr .darauf sollte in der Konferenz von Wannsee auf den Vorschlag von Heydrich „die Endlösung“, der Massenmord beschlossen werden. Am 4. Februar 1941 erneuerte der Wiener Kardinal seine Bitte vor allem für die 12.000 nicht-arischen Katholiken seiner Diözese, „die in diesen Tagen in der Furcht vor dem Schlimmsten meine Unterstützung erbitten ... Man wird (in Rom) meine Vorschläge vielleicht als allzukühn und gewagt bezeichnen. Wer aber unsere eigene Ohnmacht zu helfen und das unbeschreibliche Leid der Betroffenen kennt, wird meinen Freimut verstehen...“ (Seite 91). Drei Wochen drängt Innitzer von neuem: „Viele gute Katholiken nichtarischer Abstammung haben seit Monaten und Jahren all ihre Hoffnungen auf die Anstrengungen der kirchlichen Organisationen gesetzt und sehen sich heute furchtbar enttäuscht, ihre Enttäuschung wächst durch die immer größer werdende Notlage, zumal sie sich einerseits von ihren christlichen Glaubensgenossen im Stiche gelassen fühlen, anderseits von den jüdischen Rassegenossen als Abtrünnige betrachtet und so von jeglicher Unterstützung ausgeschlossen und dazu noch wegen ihres Ubertritts zur katholischen Kirche mancherlei Kränkungen erdulden müssen. Nicht wenige unter den nach Polen evakuierten Katholiken tragen ihr hartes Los mit bewunderungswürdigem Starkmut und gehen in das ungewisse Schicksal ihrer Verbannung mit christlichem Heldenmut, an dem sich sogar mosaische Juden erbaut haben.“ Der Kardinal dankt für gewährte päpstliche Hilfe und bittet um die Ermöglichung der Emigration in die spanischen und portugiesischen Kolonien, und vor allem nach Brasilien. Aber die angefügte Notiz des Staatssekretariats lautet, „che non c'e nulla da fare.“ (Seite 119).

Einige Schreiben Kardinal Innit-zers hat bereits Viktor Reimann in seinem Buch „Innitzer, Kardinal zwischen Hitler und Rom“ (Wien, 1967) als Anhang veröffentlicht.

Kardinal Innltzers ständige Besorgtheit in der jüdischen Frage läßt ihn auch Klage führen über die Furchtsamkeit des Berliner Nuntius, der „non si interessava di tante gravi cose.“ (Seite 534).

Den drängenden Bitten des Wiener Kardinals stehen die unzähligen Berichte der Nuntien gegenüber, die von ihren zumeist erfolglosen Versuchen berichten, den Verfolgten Hilfe zu bringen und oft — zum Beispiel bei Laval und Tiso — auf die uneingeschränkte offene Zurückweisung jedes solchen Bemühens stoßen. Wenn französische Bischöfe entschlossenen Widerstand leisteten, hielt der Ministerpräsident Vichys mit Drohungen nicht zurück.

Seit dem Frühjahr 1942 mehren sich die Meldungen von Massenexekutionen, von Massenmorden an Juden ohne Rücksicht, ob sie getauft waren oder nicht. Berlin begnügte sich mit der Erklärung, daß „das Taufwasser das jüdische Blut nicht verändere und daß das Deutsche Reich sich verteidige gegen die nicht-arische Rasse und nicht gegen das religiöse Bekenntnis der getaufen Juden.“ („... la solita risposta che 1' acqua battesimale non muta il san-gue giudaico e che il Reich germani-co si difende dalla razza non ariana, non dalla confessione religiosa dei giudei battezzati.“ Seite 608. Bericht des Berliner Nuntius, 28. Juli 1942).

ACTES ET DOCUMENTS DU SAINT SIEGE RELATIFS A LA SECONDE GUERRE MONDIALE. Vol. VIII (Libereria Editrice Vati-cana. 1974). Le Saint Siege et les Victime de la Guerre. Janvier 1941/ Decembre 1942.

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