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Geheimvisite des Nuntius

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Osterreichs Kardinalerzbischof Innitzer verfehlte als erster die Richtung. Ja, er kam Hitler sogar auf halbem Weg entgegen, als er dem der Hauptstadt sich nähernden Führer eine Grußbotschaft sandte und ihm mitteilte, daß die Kirchen angewiesen waren, Hakenkreuzfahnen zu hissen und zur Feier des Ereignisses die Glocken zu läuten.”

Dies schrieb der englische Journalist und Historiker Gordon Brook-Shepherd in seinem 1963 erschienenen Buch „Der Anschluß”. Daß diese Darstellung dem neuesten Stand der Forschung nicht standhält, weist nun der Grazer Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann nach, der in verschiedene, dunkel gebliebene Vorgänge der „Anschluß”-Tage Licht fallen läßt.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Osterreich gestaltete sich für manche Bischöfe durchaus unfreundlich: Fürsterzbischof Sigismund Waitz in Salzburg wurde unter Hausarrest gestellt, Fürstbischof Ferdinand Pawlikowski in Graz verhaftet. Oberösterreichs Bischof Johannes Gföllner weigerte sich, Hitler zu begrüßen, als dieser am 13. März den Dom besichtigen wollte.

In Wien hatte Kardinal Theodor Innitzer am Samstag —12. März — in einem Aufruf die Katholiken aufgefordert, am Sonntag Gott für den „unblutigen Verlauf der großen politischen Umwälzung” zu danken und für eine „glückliche Zukunft für Osterreich” zu beten.

Liebmann sieht diese Formulierung im Zusammenhang mit den Abschiedsworten Kurt Schu-schniggs, der jedes Blutvergießen vermeiden wollte: „Innitzer forderte damit keineswegs zum Dankgebet für den Anschluß auf, sondern bloß für dessen unblutigen Verlauf”.

Und dann kam am 15. März der historische Besuch Innitzers beim

„Führer” im Wiener Hotel Imperial, „dessen Wertung in der Literatur von .Huldigungsbesuch' bis zu .Canossagang' reicht”, und über den auch die Angaben über den Ablauf auseinandergehen.

Entgegen anderen Darstellungen, war Innitzer schon am Vormittag bei Hitler, bevor dieser sich auf dem Heldenplatz zujubeln ließ.

Während der letzte deutsche Gesandte und frühere Vizekanzler Franz von Papen sich in seinen Erinnerungen gutschrieb, diesen Besuch vermittelt zu haben, kommt Liebmann nun zu dem Schluß, daß Innitzer selbst dem neuen Staatsoberhaupt einen Höflichkeitsbesuch abstatten wollte — und zu dieser Absicht durch einen Besuch des Nuntius in Berlin, Cesare Orsenigo, veranlaßt worden war. (Was nicht ausschließt, daß die Bemühungen eines kleinen Kreises katholischer Illegaler, eine Aussöhnung zwischen Kirche und NSDAP zu erreichen, mitgewirkt haben können).

Orsenigo war am Samstag vormittag überraschend am Flughafen Aspern gelandet und nach einer kurzen Unterredung mit Innitzer wieder abgeflogen. Im erzbischöflichen Palais wurde er von mehreren Zeugen gesehen; ihnen gegenüber bemerkte der Kardinal anschließend: „Ich wollte nach Kranichberg fahren... Nun muß ich auf Weisung Roms hier bleiben und zu Hitler gehen, wenn er nach Wien kommt.”

Hitler erklärte dem Kardinal in seiner monologisierenden Art, er hoffe auf einen Wendepunkt im Verhältnis von Kirche und Reich, und daß sich das auch auf das „andere Deutschland” auswirken möge. „Allerdings müsse sich die Kirche restlos hinter den Staat stellen”, hielt der Kardinal-Sekretär Jauner Hitlers Worte fest. Die Kirche werde auch ihr Vertrauen nicht zu bereuen haben.

Innitzer betonte, die Katholiken seien bereit, loyal zum neuen Staat zu stehen, „solange und soweit der Kirche die in den Konkordaten verbriefte Freiheit gewahrt sei”, erinnerte sich der ebenfalls anwesende Papen.

Wenn Innitzer tatsächlich von „den Konkordaten” (in Mehrzahl) — also des österreichischen und des deutschen — gesprochen hat, mußte er sich in diesem Moment als Sprecher aller deutschen Katholiken fühlen. „Es erscheint undenkbar”, kommentiert Liebmann, „daß Innitzer diese kraftvolle Sprache, die eine indirekte, aber massive Drohung in sich ler gehen” barg, ohne Auftrag Roms geführt hat.”

Aber wieso wurde Innitzer dann wenige Tage später nach Rom zitiert, um sich im Vatikan wegen seiner Verhandlungen mit Hitler zu rechtfertigen?

Scheinbare Kollaboration

Der berühmte Ethnologe P. Wilhelm Schmidt SVD, der den Kardinal nach Rom begleitete, berichtete, daß die Vorhaltungen des Staatssekretärs Eugenio Pa-celli — des späteren Papstes Pius XII. - nicht den Besuch selbst betrafen, sondern lediglich die mangelnde Absprache mit dem Vatikan. Pacelli meinte — schrieb Schmidt anschließend nieder -, er verstehe nicht, wie Innitzer es für möglich gehalten habe, ohne Kontakt mit Rom zu fassen, in Verhandlungen mit Leuten einzutreten, die so oft Treu und Glauben getäuscht hätten, und in Sachen, die... ganz Osterreich und darüber hinaus ganz Deutschland betrafen.”

Der Vatikan war skeptisch — und versuchte doch, mit dem Diktator ins Gespräch zu kommen, eine Strategie, die sich eine Generation später gegenüber den kommunistischen Regimen des Ostens wiederholen sollte.

Daß die Skepsis berechtigt war, sollten Österreichs Bischöfe wenige Tage später dokumentiert bekommen.

Ein Hirtenwort, das der Kardinal unmittelbar nach der Unterredung mit Hitler an die Presse gab. wurde von der Zensur unterdrückt. Gauleiter Josef Bürckel gab stattdessen eine Erklärung im Sinn der Machthaber aus.

Innitzer protestierte gegen die Unterdrückung der Pastoralanweisung, Bürckel ließ nun seinerseits eine Erklärung basteln, die die Bischöfe unterschreiben sollten. In mehrfachem Hin und Her und etlichen Korrekturen gelang es den Bischöfen, die Erwähnung der NSDAP aus dem Text zu entfernen.

Vertröstet durch die Versicherung, Bürckel werde nach der Volksabstimmung am 10. April über alle Wünsche der Kirche verhandeln, paraphierten die Bischöfe den von Bürckel zuletzt als nicht mehr veränderbar bezeichneten Text, der am 27. März von den Kanzeln verlesen werden sollte und die Katholiken zur Stimmabgabe mit „Ja” aufforderte.

„Man glaubte”, notierte Waitz, „den Versuch machen zu sollen, in unwichtigen Sachen entgegenzukommen, um Größeres zu erwirken, mitzuhelfen, daß die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche im Frieden erfolge.”

Obwohl nur für den österreichischen innerkirchlichen Bereich bestimmt, prangte die „Feierliche Erklärung” samt einem Vorwort am 28. März auf allen Anschlagsäulen des Großdeutschen Reichs und dokumentierte die scheinbare Kollaboration der österreichischen Bischöfe mit dem NS-Regi-me...

KARDINAL INNITZER UND DER AN-SCHLUSS. Kirche und Nationalsozialismus in Österreich 1938. Von Maximilian Liebmann. Grazer Beiträge zur Theologiegeschichte und kirchlichen Zeitgeschichte. RMDruck- und Verlagsgesellschaf t, Graz 1982; 162 Seiten, öS 168,-.

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