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„Innitzer nach Dachau!“

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Am 7. Oktober 1938 — also vor dreißig Jahren — hielt Kardinal Innitzer eine kleine Feierstunde im Stephansdom mit der katholischen Jugend Wiens. Bei dieser kleinen Feier, die ganz unerwartet von außerordentlich vielen Jugendlichen besucht war, hielt der Kardinal eine Rede, die in ihrer Art ein öffentlicher Akt der Resistance gegen das NS- Regime war. Der Kardinal begeisterte die Jugend derart, daß sie nach der Andacht vor seinem Palais eine spontane Kundgebung veranstaltete. Diese Kundgebung reizte das NS-Regime und ließ es zwei Tage später die ihm ergebenen Jugendlichen zu einem Sturm auf das Palais in der Rotenfurmsfraße antreten, das hiebei außerordentlich große Zerstörungen erlitt. Der Kardinal konnte rechtzeitig in das erzbischöfliche Archiv gebracht werden und entging so den Insulten der aufgeputschten Menge. Aus dem Buch von Dr. Viktor Reimann „Innitzer —- Kardinal zwischen Hitler und Rom" drucken wir mit Bewilligung des Molden-Verlages Wien die Kapitel über diese Tage ab, die sowohl ein Heldenlied des Kardinals wie der katholischen Jugend Wiens darstellen, aber auch Zeugnis geben, wie sehr die Kirche im Driften Reich verfolgt wurde.

Die Lage der katholischen Kirche in Österreich vom Tag der Volksabstimmung bis in die Sommermonate hinein war dadurch gekennzeichnet, daß die nationalsozialistischen Behörden zwar laufend Maßnahmen gegen die Kirche trafen, der Klerus im allgemeinen und die Bischöfe im besonderen jedoch wesentlich besser behandelt wurden als die katholischen Laien. Darin offenbarte sich ein raffiniertes System, das darauf abzielte, einen Bruch zwischen Hirt und Herde herbeizuführen. Doch dieses Spiel vereitelte Innitzer selbst, zum Teil durch die Hart- näckigkeit, mit der er Bürckels Pläne durchkreuzte, zum Teil aber auch durch die zunehmende Offenheit, mit der er in seinen Predigten die Lage der Kirche in Österreich darstellte.

Füi den 7. Oktober ruft der Kardinal die katholische Jugend Wiens in den Stephansdom. Es handelt sich um eine Tradition, weil zu Beginn des Schuljahres bisher im Dom immer eine Jugendfeier stattgefunden hat. Dieses Mal erwartet der Kardinal keine allzu große Teilnahme — in den Kirchen konnten nur bescheidene Ankündigungen angeschlagen werden, die Presse muß vollends darüber schweigen. Jugendseelsorger Martin Stur rechnet mit höchstens 2000 Teilnehmern und läßt deshalb auch nur 2500 Texte mit Liedern und Gebeten drucken.

Zur Überraschung der staatlichen upd kirchlichen Stellen kommen ganze Züge junger Leute aus den verschiedenen Bezirken der Stadt, und der Stephansdom ist bald bis zum letzten Platz gefüllt.

Der Anblick dieser jugendlichen Bekennerschar erfüllt den Wiener Erzbischof mit dem Feuer des Pfingätwunders. Er besteigt mit Mitra und Stab die Kanzel und spricht Worte, die aus übervollem Herzen strömen.

Innitzer ist kein guter Prediger. Seine Worte besitzen weder Bildkraft noch die Geschliffenheit wohl- durchdachter Satzkonstruktionen. Er springt Vielmehr von einem Gedanken zum anderen, verliert bisweilen auch den Faden und bemüht siich gar nicht um äußere Wirkung. Das Volk jedoch hört ihn gern, gerade wegen der Schlichtheit seiner Predigt. Am 7. Oktober aber gehlt Innitzer vollends aus sich heraus, wird von der Stimmung dies Augenblicks mitge- ri.ssen.

Es sind Gedanken- und Satzfetzen, die ihr Bischof auf der Kanzel kundtut, doch die Jugend versteht sie und läßt sich in Begeisterung hineinsteigern!

„Meine liebe katholische Jugend Wiens, wir wollen gerade jetzt in dieser Zeit um so fester und standhafter unseren Glauben bekennen, uns zu Christus bekennen, unserem Führer und Meister, unserem König und Seiner Kirche… Gewiß, der Glaube ist nicht jedermanns Sache von Natur aus, aber ihr, die ihr mit euer Jugend Ihm zugetan seid, wißt es, was Er für ein Gut, für ein Kleinod ist. Das gebt ihr nicht her, da müßt und dürft ihr schon etwas wagen, weil unser Glauben froh, weil unser Glauben stark macht… Ihr lieben jungen Freunde, bewahrt den Glauben, laßt euch nicht abreden vom Glauben, wenn auch noch so viele gleißende Worte fallen. Nur er kann uns glücklich machen für Zeit und Ewigkeit.

Ich habe dieses Vertrauen zu euch. Mein Herz ist erfüllt mit Dankbarkeit und Genugtuung, daß ihr heute so zahlreich gekommen seid. Ich grüße euch … und wie ich Vertrauen habe zu euch für die Zukunft, meine lieben jungen Menschen, so sollt auch ihr Vertrauen haben zum Bischof… Vielleicht haben so manche von euch, ihr lieben jungen Katholiken, in den letzten Monaten nicht alle verstanden, was die Bischöfe getan haben. Ihr wißt, um was es sich handelt, aber wir können Zeugen sein, daß es den Bischöfen sehr am Herzen gelegen ist, nur das zu tun, was sie mit bestem Wissen und Gewissen tun konnten … Ihr wißt es selbst, und das muß uns trösten in unseren Tagen! Es gibt noch eine ideale begeisterte katholische Jugend, die sich nicht so leicht irremachen läßt… Unser Glaube muß eine Ehre sein …

Der heutige Abend soll euch und allen den Vorsatz erwecken, daß wir unsere Pflicht treu erfüllen, soll uns sagen, daß wir zuerst dem Herrgott geben müssen, was Ihm gehört, und dann werden wir auch die anderen Pflichten erfüllen, dann wird Er uns die Kraft, den inneren Frieden, die Freude geben. Das Wort .Kraft durch Freude hat einen tiefen Sinn.

Das ist ein biblisches Wort. Das hat der Prophet Esdras in einer schweren Zeit zu den Israeliten gesagt, als sie beschlossen hatten, wieder zum Herrgott zurückzukehren. Da hat er ihnen gesagt: ,Die Freude im Herrn ist eure Stärke.. . Und mit einem aus dem Herzen kommenden Glaubensbekenntnis, einem Gelöbnis zum heutigen katholischen Glauben wollen wir schließen. Gott segne euch, eure lieben Eltern, grüßt sie alle von mir, und das soll meine Botschaft an sie alle sein. Amen.“

"Inzwischen wurde Hochwürden Star vom Ordnerdienst gemeldet, daß Hitlerjungen vor dem Tor Namen einzelner Kirchengänger aufgeschrieben und drohende Bemerkungen gemacht hätten. Deshalb wollte er gleich nach der Predigt des Kardinals die Jugend zur Ruhe und zum sofortigen Heimgang auffordern. Er kam jedoch nicht dazu, da sofort nach dem Amen des Erzbischofs die Orgel aufbraüste und alle zu den Toren strömten.

Unter dem begeisterten Jubel der ihn dicht umdrängenden Jungen und Mädchen kehrte Innitzer ins Palais zurück, doch die Jugend wollte nicht heim und rief in Sprechchören: „Wir grüßen unseren Bischof!“, „Wir wollen unseren Bischof sehen!“ Der Kardinal zögerte, doch schließlich gab er dem Wunsch der Tausenden nach und zeigte sich kurz am Fenster. Da stimmte ein Teil der Anwesenden das Herz-Jesu-Bundes- Lied „Auf zum Schwüre“ an, und der Rest fiel begeistert ein. Die Jugend sang mit einer Hingabe, als wollte sie dem Bischof ihr Herz in die Hände legen.

Als sich die Massen zerstreut hatten, marschierten einige hundert Hitlerjungen zum erzbischöflichen Palais, schlugen auf das verschlossene Tor und riefen: „Unser Glaube ist Deutschland! „Innitzer nach Dachau!“

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