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Ein namenloser Kardinal
Alle haben sie ihre Straßen, Gassen und Plätze in Wien, die Exzellenzen und Eminenzen, die auf Wiens Bischofs- und Erzbischofsthron saßen: Johann Faber und Anton Wolf rath, der Graf Migazzi und der bürgerliche Ganglbauer, der Herr Joseph Othmar von Rauscher und Friedrich Gustav Piffl. Sogar ein Weihbischof, der bei Hof schlecht angeschrieben war, hat seine „Verkehrsfläche”: Gottfried Marschall. Nur einer nicht: Theodor Kardinal Innitzer.
Was hat er verbrochen? Er hat im März 1938 einen Aufruf zur Nazivolksabstimmung erlassen und mit „Heil Hitler” unterschrieben. Ähnliches und noch mehr haben andere auch getan. Zum Beispiel Karl Renner: Er begrüßte den „Anschluß” mit einer öffentlichen Erklärung, obwohl er damals - zum Unterschied vom Kardinal - keine öffentliche Person mehr war. Er machte sich sogar anheischig, im Radio eine Ansprache zu halten: man ließ ihn nicht. Hätte man ihn gelassen, er hätte es gewiß getan, mit allem ihm eigenen Pathos. Und doch hat er, der von Stalin ausersehene erste Staatschef der Zweiten Republik, sein Denkmal, seinen Ring. Warum auch nicht? Er war ein großer Staatsmann und hat sich auch um die Erhaltung des alten Vielvölkerösterreich bemüht.
Warum aber hat Innitzer noch keine Gasse, keinen Platz? Weil es sich noch nicht bis ins Rathaus herumgesprochen zu haben scheint, was er - außer dem Wahlaufruf - vor und nach 1938 sonst noch für Wien und die Wiener getan hat:
Da stellte sich der Rektor der Wiener Universität Innitzer - übrigens der erste, der es vom Arbeiter bis zu dieser Würde gebracht hat! - schützend vor die jüdischen Studenten, die „Völkische” aus der Aula hinausprügeln wollten. Da gab derselbe Rektor erst mals den Sozialistischen Studenten das Auditorium Maximum für eine ihrer Veranstaltungen frei. Da betrieb der geistliche Herr, der als Minister ins Sozialministerium eingezogen war, das just ein Habsburger - Kaiser Karl - gegründet hatte, ein Lebtag lang Sozialarbeit auf seine Weise: er lief durch die Stadt, zog seinen Mantel aus, kramte aus den Taschen den letzten Groschen hervor und verschenkte alles.
Da ging der Kardinal im grausigen Februar ‘34 ins Landesgericht und bot den gefangenen Schutzbündlern seine Hüfe an. Da weigerte sich der gleiche Innitzer, das Requiem im Stephansdom nur für die Toten der Exekutive zu zelebrieren: er tat es, wie er in seiner Predigt sagte, „für alle Opfer”. Da stieg der Kardinal am 7. Oktober 1938 auf die Kanzel des Meisters Pilgram und erklärte vor 10.000 jungen Wienern Christus zu „unserem Führer”. Am Abend danach stürmten andere junge Wiener sein Palais, verwüsteten seine Wohnung, verbrannten seine Bücher, zerfetzten seine Kleider, raubten ihm Ring und Kreuz.
Da stürmte in Königsbrunn am Wagram ein Rudel Verhetzter auf ihn ein und bewarf ihn mit Steinen und faulen Eiern: nicht weil er de’r „Heil Hitler”-, sondern weil er der „Christus-ist-un- ser-Führer-Kardinal” war. Innitzer predigte gegen die Nazis, lange bevor Graf Galen, der „Löwe von Münster”, zu brüllen begann. Da half der Geschmähte den Ärmsten der Verfolgten, den „Judenchristen”: er versteckte sie in seinem Haus, speiste sie, verschaffte ihnen Ausreisemöglichkeiten, Aufenthaltsgenehmigungen. Innitzers „Hilfsstelle” war ein ebenso grandioses Werk der Nächstenliebe, das sich in den Dienst politisch Verfolgter stellte, wie die „Rote Hilfe”.
Aber das alles dürfte im Wiener Rathaus nicht bekannt sein. Dort scheint man auch vergessen zu haben, was alle wissen und alle sehen können: Innitzers Leistung beim Wiederaufbau des Stephansdomes, der heuer im April die Vollendung des 25. Jahres nach seiner völligen Wiederherstellung feiern wird.
Die Theodor-Kardinal-Innitzer-Ge- sellschaft - aus Männern und Frauen gebildet, die Zeugen der Predigt des Kardinals am 7. Oktober 1938 waren und heute im öffentlichen Leben stehen - hat im Frühsommer des Vorjahres einen Antrag auf Verkehrsflächenbenennung im Rathaus eingebracht. Erstaunlich lange beschäftigte man sich auf Beamtenebene mit der Erforschung von Innitzers Biographie - als ob sie nicht hinlänglich bekannt wäre. Jetzt liegt die Entscheidung im engsten politischen Kreis um’ den obersten aller Rathausmänner, Leopold Gratz. Aus Politikermund vernimmt man, daß es ein heikles Politikum sei. Dem ist nicht so. In Wien endlich eine Verkehrsfläche nach Kardinal Innitzer zu benennen, bedeutet Erfüllung einer Dankesschuld.
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